Wie lange ist es her, dass die in Sachsen regierenden Parteien FDP und CDU sich gegenseitig auf die Schulter klopften und ein "Schulschließungsmoratorium" feierten? Ganze drei Jahre. 2010 war das, als sie vollmundig erklärten, vorerst auf die Schließung von Schulen im ländlichen Raum verzichten zu wollen. Ein Jahr später war das "Moratorium" schon Makulatur. Wie gehabt, drückte der Freistaat Schulschließungen durch - auch dort, wo Eltern, Kommunen und Landkreise um ein "Stopp!" kämpften.

Das endete in den meisten Fällen mit einem Gang vors Gericht, wo sich in der Regel schnell herausstellte, dass das Moratorium nicht das Papier wert war, auf dem es stand. Aber wieder einmal ist Wahlzeit. Und siehe da: Das seltsame Moratorium erlebt seine Auferstehung. Es heißt nur ein bisschen anders: “Moratorium gegen neue Mitwirkungsentzugsverfahren”.

Kultusministerin Brunhild Kurth sowie Umwelt- und Landwirtschaftsminister Frank Kupfer legten dazu am Freitag, 20. September, in Dresden ein Konzept vor, mit dem Schulstandorte trotz rückläufiger Schülerzahlen gesichert werden sollen. Einige der darin vorgeschlagenen Maßnahmen setzen – es war 2010 ja nicht anders – eine Änderung des Sächsischen Schulgesetzes voraus.

Ein solches Gesetzänderungsverfahren gibt es noch nicht. Vielleicht legen CDU und FDP ja noch vor der Landtagswahl einen solchen Gesetzänderungsantrag vor? Die Anträge von Linken, SPD und Grünen erlebten ja in den vergangenen Jahren stets den Weg in den Papierkorb – abgelehnt von Schwarz-Gelb.

Obwohl die Probleme nun seit mehr als drei Jahren vor sich hinköcheln. Landkreise kämpfen um ihre Schulstandorte, weil sie genau wissen, dass man nur mit einer funktionierenden Schule im näheren Umkreis die Bevölkerung stabil halten kann. Und Regierungsinstanzen stellen sich jedes Mal stur, vom Moratorium kein Wort. Und auch einzügige Grundschulen sind kein Thema.

Und weil das Gesetz so ist, wie es ist, starr auf Mindestschülerzahlen fixiert, schlagen die Minister bis zum Inkrafttreten einer solchen Gesetzesänderung ein Moratorium gegen neue Mitwirkungsentzugsverfahren bei Grund- und Oberschulen vor. Gleich mal mit der deutlichen Einschränkung: Beschlossene und rechtskräftige Mitwirkungsentzüge bleiben davon unberührt. Auch das erinnert an 2010: Wo man sich schon fetzt mit den Landkreisen, bleibt man stur beim starren Verfahren. Und nur ganz hypothetisch könnten weitere Schulen, die die Mindestschülerzahlen unterschreiten, verschont bleiben.

“Weitere Schließungen von Schulen können nicht mehr die Antwort sein auf sinkende Schülerzahlen im Ländlichen Raum. Wir müssen neue Wege gehen, um den demografischen Wandel in ländlichen Regionen zu gestalten. Gute Bildung darf sich zukünftig nicht nur auf die großen Städte beschränken, sondern muss es in ganz Sachsen geben”, erklärte Kultusministerin Brunhild Kurth am Freitag.

Und auch was Landwirtschaftsminister Frank Kupfer erklärte, klang bildhübsch: “Unser gemeinsames Ziel ist ein lebendiger, lebenswerter Ländlicher Raum. Ich will, dass die Menschen dort weiterhin genauso gern und gut leben wie in den Ballungsräumen”. Ein wohnortnahes Schulangebot sei nicht nur für Familien ein berechtigter Wunsch. “Auch für Unternehmen ist die vorhandene Schule ein Standortvorteil, wenn es um die Suche nach Fachkräften geht.”Aber wirklich begriffen, um was es geht, scheint Sachsens Regierung auch im September 2013 nicht zu haben.

Die Pressestelle meldet zwar: “Mit dem Maßnahmenkonzept reagieren die beiden Minister auf die demografische Entwicklung im Ländlichen Raum. Zwar werden die Schülerzahlen insgesamt in Sachsen wieder steigen. Doch von dieser Entwicklung werden fast ausschließlich die Ballungszentren profitieren.”

“Im Ländlichen Raum hingegen und vor allem in den grenznahen Regionen des Freistaates werden die Schülerzahlen weiter zurückgehen. Grund- und Oberschulen werden in erster Linie davon betroffen sein”, stellen die beiden Minister in ihrem Konzept fest. Können sich aber zu einem Schließungsstopp nicht durchringen.

Um Grundschulen zu erhalten, schlagen Kurth und Kupfer nun jahrgangsübergreifenden Unterricht vor. Dieser sei zunächst in den Klassenstufen eins und zwei sowie drei und vier vorstellbar und mit dem derzeit geltenden Schulgesetz möglich. Für den jahrgangsübergreifenden Unterricht werde das Kultusministerium einen Leitfaden erstellen, um die Lehrerinnen und Lehrer bei der Erstellung der pädagogischen Konzepte zu unterstützen. Was natürlich auch nichts ändert, wenn man auch bei Grundschulen an den alten Mindestschülerzahlen festhält. Schon dieser Punkt zeigt: Das Gesetz muss geändert werden. Und auch CDU und FDP müssen über ihren Schatten springen, wenn sie überhaupt noch funktionierende Schulstrukturen im ländlichen Raum erhalten wollen. Stichwort: einzügige Grundschule.

Darüber hinaus sollten die Kommunen häufiger als bisher bei der Bildung von Schulbezirken kooperieren. So könnten die gesetzlich geforderten Mindestschülerzahlen erreicht und damit Grundschulstandorte gesichert werden, glauben Kurth und Kupfer das Dilemma lösen zu können. Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden müsse deutlicher über die Vorteile der interkommunalen Zusammenarbeit aufgeklärt werden. Als wenn nicht genau das schon seit Jahren passiert, zwangsweise immer dann, wenn die Staatsregierung bei einzelnen Schulen ihre Mitwirkung entzieht und darauf drängt, Schulen zusammenzulegen – was die Zusammenlegung von Schulbezirken zwangsweise zur Folge hat.

Zumindest um Oberschulstandorte zu erhalten, schlagen die Minister die Möglichkeit von einzügigen Oberschulen vor. Bisher sieht das Schulgesetz Klassenstufen mit mindestens zwei Klassen und 40 Schülern vor. Aber das hat wieder mit ihrem “Maßnahmepaket” nichts zu tun. Denn auch das bedeutet wieder: Änderung des Schulgesetzes.

Aber selbst da sind die beiden Minister eher mutlos.

Bei einer Änderung des Schulgesetzes könnten dann – so Kurth und Kupfer – Ausnahmetatbestände für die Abweichung von der Mindestschülerzahl zugelassen werden. In der Folge sollte die Unterrichtung auch in nur einer Klasse pro Klassenstufe möglich sein. Dieser Modellansatz führe ausschließlich zu einer Reduzierung der Wahlmöglichkeiten im Neigungskurs- und Vertiefungskursbereich. Der Kernbereich der Oberschule, auch was die äußere Differenzierung betrifft, bleibe erhalten.

Die Eltern werden sich freuen: Eine neue Unsicherheit.

Und dann machen auch Kurth und Kupfer deutlich, wie sehr ihnen die starren Zahlen wichtig sind. Die Meldung zum letzten Vorschlag: “Weiterhin sprechen sich die Minister für Oberschulen in Tandem aus. Bei diesem Ansatz arbeiten eine zwei- und eine einzügige Oberschule zusammen, die sich in geographischer Nähe befinden oder einen gemeinsamen Träger haben. Auch diese Variante zur Sicherung der Oberschulen im Ländlichen Raum muss schulgesetzlich verankert werden. Der einzügige Oberschulteil muss den Richtwert zur Klassenbildung und damit 25 Anmeldungen erreichen, um in diesem Schulteil bei Veränderungen der Schülerzahl nicht unter die Mindestschülerzahl zu fallen. Für den zweizügigen Oberschulstandort gelten weiterhin die bestehenden Parameter von Mindestzügigkeit und -schülerzahl.”

Warum sie so starr an den Zahlen festhalten, ist natürlich auch klar: Für andere Modelle fehlen in Sachsen schlicht die Lehrer. Und selbst mit der bestehenden Zahl von Schulen ist der Unterricht nicht komplett gewährleistet. Die Spielräume, am bestehenden System der starren Mindestzahlen und der unübersehbaren Denkbarrieren festzuhalten, existieren praktisch nicht mehr. Sachsens Bildungssystem ist längst in der Defensive.

Das kann dann auch der Lobgesang der beiden Regierungsparteien nicht übertünchen.

Aber dazu gleich mehr.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar