Manchmal sind es Nuancen, ein paar veränderte Worte, und aus dem Inhalt einer Nachricht wird das glatte Gegenteil. "Drei Viertel der Deutschen haben keine Angst vor NSA", schmetterte "Spiegel Online" am 2. November. Es war nicht einmal eine eigene Meldung. Man hatte sie von der "Wirtschaftswoche". Die hatte ihre Meldung so betitelt: "Mehrheit der Deutschen sieht sich durch NSA-Attacken nicht bedroht." Hatte das Meinungsforschungsinstitut tatsächlich so gefragt?

Jeder kennt das aus diversen Umfragen, von denen es ja in der Bundesrepublik zuhauf gibt: Man bekommt eine Frage gestellt, die so formuliert ist, dass durchaus auch Interpretationsspielräume bestehen. In besseren Umfragen ist dann neben “Ja” und “Nein” auch möglich “eher” oder “eher nicht” anzukreuzen. Das war auch bei der Umfrage möglich, die das Allensbach Institut für die “Wirtschaftswoche” machte. Da konnte man seine Aussage dann mit “etwas” oder “sehr” abschwächen oder verstärken.

Was man nicht konnte: Man konnte weder seine Angst vor der NSA-Ausspähung formulieren noch sein Bedrohungsgefühl. Danach hatte das Institut gar nicht gefragt.

Aber warum kommen Journalisten, die die Meldung dann formulieren, auf Angst und Bedrohung, als wären das adäquate Gefühle zu Besorgnis und Betroffenheit? Ist das in den Redaktionsstuben von “Spiegel Online” und “Wirtschaftswoche” schon eine Soße? Fehlt den Redakteuren schon jedes Gespür für Unterschiede? Oder ist es das, was Giovanni die Lorenzo, Chefredakteur der “Zeit” als “permanente Skandalisierung” bezeichnet? Die faktische Nachricht zählt nicht mehr, man hebt die Information auf die Ebene der höheren emotionalen Aufregung und suggeriert einen Alarmzustand, den es gar nicht gibt?

In diesem Fall sogar im umgekehrten Sinn: Man behauptet einfach, die befragten Umfrageteilnehmer hätten sich zu Angst und Bedrohung geäußert – und stellt dann knochentrocken fest: Sie fürchten sich nicht.

Dabei hat Allensbach durchaus einfache und keineswegs mit Bedrohung und Angst operierende Fragen gestellt – einmal die, ob die Bundesbürger wegen der NSA-Ausspähaktionen besorgt sind (was etwas völlig anderes ist als Angst haben oder Bedrohungen spüren), und zum anderen die, ob sie sich persönliche Nachteile durch die Ausspähung erwarten.
In gewisser Weise wich schon Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, von diesem Befragungsmuster ab, als sie in der “Wirtschaftswoche” sagte: “Die Betroffenheit hält sich in Grenzen, auch wenn die Vorgänge von der Mehrheit kritisch gesehen werden.”

Auch Besorgnis und Betroffenheit sind zwei durchaus unterschiedliche Kategorien. Und welche der beiden Fragen meint Köcher eigentlich, wenn sie meint, die Betroffenheit halte sich in Grenzen?

Die Besorgnis jedenfalls tut es nicht, auch wenn die Bundesbürger augenscheinlich nicht gerade wie aufgeschreckte Hühner durch die Gegend laufen.

“Dennoch sind 24 Prozent der Deutschen über die Abhöraktion der NSA ‘sehr besorgt'”, schreibt die “Wirtschaftswoche”, “32 Prozent ‘etwas besorgt’. 44 Prozent halten die aktuelle Diskussion hingegen für überbewertet. Sie können sich nicht vorstellen, dass irgendetwas aus ihrem Leben für den amerikanischen Geheimdienst interessant sein könnte.”

Heißt ja wohl im Klartext: Eine Mehrheit ist besorgt. Und die 44 Prozent der wohl eher weniger Besorgten, hat gar nicht zur Besorgnis Auskunft gegeben, sondern wohl eher eine Antwortmöglichkeit wie “Das Problem ist überbewertet” bejaht. Was ja Besorgnis nicht ausschließt.

Und zur zweiten Frage nach der Betroffenheit: “Nach einer Umfrage für das Magazin können sich 76 Prozent der Bundesbürger nicht vorstellen, dass ihnen durch die Abhöraktion des US-Geheimdienstes persönliche Nachteile entstehen.”

Ist das wirklich der von Renate Köcher benannte generelle “Fatalismus, der sich im Zuge der technologischen Entwicklung in der Bevölkerung breitgemacht habe”? So nach dem Motto, wenn im Internet Alle Alles ausspionieren, kann der NSA nicht schlimmer sein als der Rest der ganzen dubiosen Akteure?

In den Antworten auf diesen dritten Fragekomplex kommt etwas ganz Anderes zum Vorschein, nämlich echte Besorgnis und echtes Misstrauen. Die “Wirtschaftswoche”: “57 Prozent befürchten, ihre Daten seien im Internet nicht geschützt. Nur 17 Prozent der Bundesbürger vertrauen darauf, dass der Staat sorgsam mit ihren Daten umgeht. Lediglich 16 Prozent der Internet-Nutzer halten es daher für unbedenklich, persönliche Daten ins Netz zu stellen.”

An dieser Stelle kippt das Ergebnis der Studie völlig und der NSA-Ausspähskandal reiht sich ein in eine ganze Reihe von – staatlich geduldeten oder sogar forcierten – Eingriffen in den Persönlichkeitsschutz der Bundesbürger. “Die meisten misstrauen hier der Wirtschaft ebenso wie dem Staat”, zitiert die “Wirtschaftswoche” Renate Köcher.

Und die zentrale Aussage lautet nicht, wie auf “Spiegel Online”, “Drei Viertel der Deutschen haben keine Angst vor NSA”, sondern: 84 Prozent der Deutschen misstrauen dem Staat und den im Internet operierenden Konzernen und halten es für bedenklich, persönliche Daten überhaupt ins Internet zu stellen. Der NSA-Skandal ist dabei nur ein kleiner Teil des Problems. Den eigenen Schlapphüten traut man genauso wenig über den Weg.

Wie’s “Spiegel Online” formuliert hat:
www.spiegel.de/politik/deutschland/dreiviertel-der-deutschen-haben-keine-angst-vor-us-geheimdienst-nsa-a-931382.html

Wie’s die “Wirtschaftswoche” formuliert hat:
www.wiwo.de

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