Was hat das "Kommunistische Manifest" mit der Himmelsscheibe von Nebra zu tun? - Sie gehören jetzt beide zum"Gedächtnis der Menscheit", dem "Memory of the World". Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt verkündet es mit Stolz. Immerhin ein Trostpflaster nach dem Wüten der Juni-Flut. Und natürlich noch ein Grund mehr für alle Weltreisenden, einen Abstecher in die Region Halle / Leipzig zu machen. Hier kann man Geschichte sehen.

Die UNESCO hat am 18. Juni das Lorscher Arzneibuch und die Himmelsscheibe von Nebra in das Weltregister des Dokumentenerbes aufgenommen. Zudem wurden in das Register zwei Gemeinschaftsnominierungen aufgenommen, an denen Deutschland beteiligt ist: das Kommunistische Manifest und der erste Band des Kapitals von Karl Marx als deutsch-niederländischer Eintrag sowie das Verfassungsdokument “Goldene Bulle” von 1356 als deutsch-österreichischer Eintrag.

Insgesamt wurden 54 Dokumente aus 40 Ländern neu in das UNESCO-Weltregister aufgenommen. Damit folgte Generaldirektorin Irina Bokova der Empfehlung des Internationalen Komitees “Memory of the World”, das vom 18. bis 21. Juni im südkoreanischen Gwangju tagt, teilt die Landesregierung in Magdeburg mit.
Die Himmelsscheibe wurde vor etwa 3.600 Jahren auf dem Mittelberg bei Nebra in Sachsen-Anhalt vergraben und zeugt von einem außergewöhnlich großen Verständnis für die Astronomie in einer schriftlosen Zeit. “Die Himmelsscheibe ist ein Beleg dafür, dass die Menschen in der Bronzezeit über exaktes Wissen kosmischer Zusammenhänge verfügten. Vor ihrer Entdeckung ließen bisher nur monumentale Errichtungen wie Stonehenge verschlüsselte Rückschlüsse auf frühes Wissen zu”, sagt Professor Joachim-Felix Leonhard, Vorsitzender des Deutschen Nominierungskomitees “Memory of the World”.

Entdeckt wurde die goldverzierte Bronzescheibe 1999 bei einer Raubgrabung. Dem folgte ja bekanntlich ein wahrer Krimi, bei dem die Himmelscheibe für das Landesarchäologie von Sachsen-Anhalt gesichert wurde. Seit ihrer Sicherstellung ist die 32 Zentimeter große Himmelsscheibe im Landesmuseum Halle zu sehen. Und ganze Forschungsprojekte haben sich seither mit der Gescchicvhte und der Bedeutung dieses einmaligen Fundstücks beschäftigt, das auch der sichtbarste Beleg für die Zivilisation ist, die vor 3.600 Jahren im Gebiet von Saale und Weißer Elster siedelte. Nur die Landesgrenze verhindert aus sächsischer Sicht oft das Wahrnehmen dieser gemeinsamen Geschichte.

Ein anderes Stück deutscher Geschichte erzählt das Arzneibuch des Klosters Lorsch. Es entstand um 795 bei Worms während der Herrschaft Karls des Großen. Es ist ein bedeutendes Zeugnis der mittelalterlichen Klostermedizin und besteht aus rund 500 zum Teil antiken Rezepten zur Kräuterheilkunde. “Das Lorscher Arzneibuch ergänzt die herausragenden medizinischen Handschriften, die bereits aus Korea, der Türkei, Aserbaidschan, Indien und China in das Gedächtnis der Menschheit aufgenommen wurden. Gemeinsam bilden sie ein einzigartiges Ensemble von Zeugnissen der Heilkunst und des wissenschaftlichen Fortschritts verschiedener Kulturen dieser Welt”, sagt Joachim-Felix Leonhard. Die Verfasser des Arzneibuchs verteidigten die Heilkunde in der Einleitung nachdrücklich gegen Kritiker, die das Heilen seinerzeit als Eingriff in die Pläne Gottes sahen. Das 150 Seiten umfassende Werk befindet sich heute in der Staatsbibliothek Bamberg.

Und dann kommt dieser Bursche mit dem Rauschebart, der so gern missverstanden wird: Auch die Schriften von Karl Marx wurden in das UNESCO-Dokumentenerbe aufgenommen, weil diese weltweit einen großen Einfluss auf soziale Bewegungen hatten, so die Begründung. Das Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 und der erste Band des Kapitals von 1867 wurden in fast allen Sprachen weltweit veröffentlicht. Vom kommunistischen Manifest exisitiert heute noch eine handschriftliche Seite, die in einem Amsterdamer Archiv lagert, ebenso die von Karl Marx persönlich kommentierte Ausgabe des ersten Bands des Kapitals. Nebst mittlerweile Millionen Stück an Neudrucken insbesondere seit dem großen Finanz-Crash von 2008. Denn wie das ganze Ding mit dem Kapital, dem Zins, dem Mehrwert und den Krisen funktioniert, hat ja keiner so gründlich erforscht wie der “Londoner Privatier” Karl Marx.

Die Gesetze gelten auch heute noch. Bis hin zu den von Dr. Marx anskizzierten Folgen – vom Fetischcharakter der Ware bis hin zur Entfremdung des Menschen von dem, was er tagtäglich tut. Nur wie man’s löst, das hat Dr. Marx nicht rausgekriegt. Aber das kann ihm nach 150 Jahren wirklich niemand zum Vorwurf machen. Da müssen sich andere auf den Hosenboden setzen und ihren Kopf zum Denken benutzen.

Die Goldene Bulle von 1356 war das wichtigste Verfassungsdokument des Heiligen Römischen Reiches bis zu dessen Ende im Jahr 1806. Es legte in lateinischer Sprache das Verfahren der deutschen Königswahl fest und war auf Initiative des römisch-deutschen Kaisers Karl IV. entstanden. Alle sieben Originalexemplare befinden sich in deutschen und österreichischen Archiven.

Seit 1992 sichert die UNESCO mit einem globalen digitalen Netzwerk den Erhalt historisch bedeutsamer Dokumente vor dem Vergessen. Es umfasst nun 299 Dokumente aus allen Weltregionen. Deutschland ist im Register jetzt mit 17 Einträgen vertreten, darunter mit der Gutenberg-Bibel, Beethovens Neunter Symphonie und dem Nibelungenlied. Die Herkunftsländer verpflichten sich, für die Erhaltung und Verfügbarkeit des jeweiligen Dokumentenerbes zu sorgen. Alle zwei Jahre kann jeder UNESCO-Mitgliedstaat zwei Vorschläge zur Aufnahme in das “Gedächtnis der Menschheit” einreichen.

Das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle.

Zur Website der UNESCO.

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