2012 feierte die Thomaskirche ihren 800. Geburtstag, obwohl es wohl nicht wirklich der 800. war. Aber auch die Nikolaikirche hat so ein kleines Problem, den Tag ihrer Grundsteinlegung genau zu justieren. Eigentlich ist es noch viel schlimmer: Dass die Leipziger 1215/1216 gegen Markgraf Dietrich - und damit auch gegen die Gründung des Klosters St. Thomas - rebellierten, ist belegt. Aber gegen den Bau der Nikolaikirche haben sie nicht rebelliert.

Es gibt auch keine Urkunde, die den Baubeginn dokumentiert. Erst recht natürlich keinen Pressebericht. Die Gründung der Kirche – und damit der Stadt Leipzig – liegt im Dunkel. Und um die Gründung der Stadt geht es, wenn die Nikolaikirchgemeinde ab 6. Dezember 2014 den 850. Gründungstag der Nikolaikirche feiert.

In Textform prägnant: “Im Jahr 2015 wird die Nikolaikirche Leipzig 850 Jahre alt. Anlässlich dieses Jubiläums gestaltet die Kirchgemeinde ein Festjahr. Von Nikolaustag 2014 bis Nikolaustag 2015 wird es Festgottesdienste und Friedensgebete, eine Buchpräsentation und Ausstellungen, Musik berühmter Nikolaiorganisten und Johann Sebastian Bachs, sowie eine Festwoche vor Pfingsten geben. Aus der Zeit um 1165 stammt der Bau der Stadt- und Pfarrkirche St. Nikolai als romanische Basilika, die 1513 spätgotisch und 1784 klassizistisch umgebaut wurde. Als Stadtkirche war sie Wirkungsort Johann Sebastian Bachs, der in dieser Kirche in sein Amt als director musices eingeführt wurde. Die seit 1982 stattfindenden Friedensgebete und die 1989 sich anschließenden friedlichen Demonstrationen begründeten die nationale, ja europäische Bedeutung der Nikolaikirche.”

Wie gesagt: die 850 ist eine reine Hypothese. Das hat mit dem ältesten Stadtbrief der Stadt Leipzig zu tun, über den die Historiker bis heute streiten. Denn das winzige Pergament-Schriftstück, das im Stadtarchiv Leipzig zu finden ist, kann nicht das Original sein. Man geht davon aus, dass es viel später entstand. Und die Frage ist: Ist es eine spätere Beurkundung einer schriftlich nicht beurkundeten Rechtsverleihung durch Markgraf Otto den Reichen, der so auch genant wurde, weil unter seine Regierung eine wahre Gründungswelle von neuen Städten in der Markgrafschaft Meißen geschah. Landesausbau hieß das damals. Die Gründung der Stadt Leipzig geht genauso auf Ottos Konto wie die von Markranstädt, Freiberg oder Pegau-Neustadt.Und auch für Leipzig war das, was da um 1165 angelegt wurde, eine Neustadt. Der alte Siedlungskern um den Burgward befand sich auf dem heutigen Matthäikirchhof. Östlich davon gründete der Landesherr auf einem geometrischen Straßenraster eine neue Stadt, der er das Hallesche und Magdeburger Stadtrecht verlieh, was dann auch den Marktplatz und den dazu gehörenden Stapelbezirk von einer Meile (ungefähr 15 Kilometer) im Umkreis bestimmt. Erst damit wurde Leipzig zur Marktstadt, war die Basis für die Messestadt gelegt. Der Marktplatz muss sich bei der zum selben Zeitpunkt gegründeten Nikolaikirche befunden haben, wenn er nicht gar (man sehe das Beispiel Krakow, das jüngst im Stadtgeschichtlichen Museum in 3D zu besichtigen war) mit dem Nikolaikirchhof identisch war.

Der kleine Stadtbrief aber kann alles Mögliche sein – entweder eine spätere Bestätigung der markgräflichen Kanzlei für einen nicht beurkundeten Rechtsakt. Oder eine Urkunde, die eine nicht offizielle Stadtgründung nachträglich bestätigte. Zumindest hat Dietrich der Bedrängte 1216 die Existenz der Stadt Leipzig mit ihrem Stadt- und Marktrecht nicht in Zweifel gezogen. Gründe genug, richtig sauer zu sein auf die Leipziger, hatte er ja. Er baute dann lieber drei Burgen in der Stadt, um den Aufmüpfigen vor Augen zu führen, wer in der Markgrafschaft das Sagen hat.

Die winzige Urkunde hat noch einen zweiten Nachteil: Sie trägt kein Datum. Die Zeit für die Gründung von Stadt, Markt und Kirche lässt sich nur aus der Erwähnung Otto des Reichen schließen. Also haben die Historiker die mögliche Gründung der (Neu-)Stadt Leipzig auf die Zeit zwischen 1156 (als Otto die Mark Meißen übereignet bekam) und 1170 datiert. Der Rest ist dann der Versuch, irgendein Jahr aus diesem Zeitraum als mögliches Gründungsjahr zu definieren. Man hat sich dann auf 1165 geeinigt.Und so lange keine anderen Urkunden auftauchen oder gar der Rasterplan, nach dem die neue Stadt Leipzig gebaut wurde, ist das wohl das Beste, was man daraus machen kann. Natürlich ist die 1165 auch ein kleiner Trick: Damit kommt man ganz problemlos in den Jubiläumsreigen um die eigentliche urkundliche Ersterwähnung von Leipzig, die sich 2015 zum 1.000 Mal jährt. Womit dann also die Ur-Stadt Leipzigs, das Nikolaiviertel mit Nikolaikirche, den Auftakt machen kann zum großen Jubiläumsreigen.

Im Dezember 2013 startet schon einmal die Vortragsreihe zu 850 Jahre Nikolaikirche unter dem Motto “Suchet der Stadt Bestes”.

Am 16. Dezember um 19.30 Uhr spricht der Historiker Enno Bünz zum Beispiel zum Thema “Geistige Zwangsherrschaft – Possenspiele – Verderbtheiten? St. Nikolai im mittelalterlichen Leipzig”. Am 13. Januar 2014 geht es im Vortrag von Heinrich Magirius dann um das Thema “Der Bau der Nikolaikirche zu Leipzig im Mittelalter. Von der spätromanischen Basilika zur spätgotischen Hallenkirche”.

Im Logo zum Festjahr findet der Betrachter eines der Palmblätter von den Säulen der Nikolaikirche, das nicht nur im biblischen Kontext für Frieden steht, sondern im Zusammenhang mit der Säule auf dem Nikolaikirchhof auch für die Friedliche Revolution. Die Wortmarke bietet dann einfach die Nikolaikirche Leipzig in handfesten Buchstaben. Und das Motto “Suchet der Stadt Bestes” nimmt Bezug auf das Alte Testament der Bibel (Jeremia Kapitel 29, Vers 7). Was auch wieder eine Botschaft ist: Sorgt dafür, dass es eurer Stadt gut geht, dann geht es auch euch gut. Was dann wohl der älteste Appell an die Solidarität und den Fleiß der Stadtbürger ist. Und es zeigt, wie eng Stadt- und Kirchgemeinde in Leipzig über Jahrhunderte auch zusammengehörten. Ganz unübersehbar in jener Friedlichen Revolution von 1989, als die Leipziger Stadtbürger aus ihrer Stadtkirche heraus die Dinge ins Rollen brachten.

Feierlich eröffnet wird das Festjahr der Nikolaikirche dann natürlich am 6. Dezember 2014 durch den Landesbischof, am Tag des Heiligen Nikolaus, der nicht nur Kindern die Stiefel füllt, sondern ganz historisch auch der Schutzheilige der Händler und Kaufleute war. Was für einige Historiker dann wieder der Beweis dafür ist, dass Kaufleute bei der Gründung der Kirche (wie bei anderen Nikolaikirchen auch) die Hauptrolle spielten. Es war eindeutig die Kirche einer vom Handel geprägten Stadt. Und da Leipzig wohl die erste Stadtgründung Otto des Reichen war, war es augenscheinlich auch ein gelungener Versuch, in seiner Markgrafschaft einen attraktiven Handelsplatz zu schaffen. Deswegen wird mit diesem Kirchen- und Stadtjubiläum zusammen meist auch das Messejubiläum gefeiert.

www.nikolaikirche-leipzig.de

Die Vorträge zur Geschichte von St. Nikolai als PDF zum download.

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