LeserclubWoher stammt Leipzigs Name, wenn er nun nicht von den Slawen stammt, sondern aus einer Zeit davor? Vor der slawischen Besiedlung? Oder, wie Karlheinz Hengst 2010 schrieb: "Damit gelangen wir in die germanische Zeit." Ins 5./6. Jahrhundert, schrieb er. Oder gar noch weiter zurück? In dieser Ecke Sachsens eigentlich gar kein Problem, was mittlerweile hunderte von Ausgrabungen belegen.

Und dabei beziehen wir uns jetzt einmal nicht auf die sensationellen Brunnen- und Siedlungsfunde aus der Zeit vor 7.000, 7.500 Jahren, die in den letzten Jahren die Herzen der Archäologen höher schlagen ließen. Sondern auf eine Zeit, die die Archäologen ältere und jüngere Römische Kaiserzeit nennen. Ja, die Römer. Limes und Varusschlacht, das sind meist die Stichworte, die man sich aus dem Geschichtsunterricht gemerkt hat. Mancher hat auch mitgekriegt, dass just vor fünf Jahren auch Funde einer Schlacht mit römischen Legionären am Harz von sich Reden machten. Mittlerweile wissen die Forscher, wie groß die Lücken selbst in der Überlieferung zur römisch-germanischen Geschichte sind.

Tacitus’ “Gemania” ist ja vor allem deshalb zum fast singulären Standardwerk für diese Zeit und diese Region geworden, weil so vieles andere schlicht verloren ist – von der einst peniblen römischen Buchführung auch über alle Aktionen in Germania Superior, Germania Inferior und (das wesentlich größere, nicht besetzte Stück) Germania Magna bis hin zu den biografischen und historischen Schriften. Die Reste – auch Tacitus’ “Germania” – haben das Bild eher verfälscht als geklärt.

Germania – wilde Krieger, die in Erdhütten hausten?

Sie haben auch das falsche Bild von wilden Kriegern, die in Erdhütten hausten und keine Kultur hatten, aufkommen lassen.

Germania Magna war zwar noch zum größten Teil von urzeitlichen Wäldern bewachsen – auch das heutige Sachsen. Was auch mit der dünneren Besiedelung zu tun hatte und mit der Tatsache, dass auch die damaligen Bewohner der Region sich zuallererst in Regionen ansiedelten, die leicht zu besiedeln waren, guten Zugang zum Wasser und fruchtbare Böden hatten. Aber da, wo die Lebensbedingungen gut waren und ein Stück land leicht zu kultivieren war, da entstanden lebendige Siedlungsinseln. Und das gilt im heutigen Sachsen vor allem für eine Gegend: Nordwestsachsen. Das ist die Region um Leipzig. Und selbst in der 2010 erschienenen Publikation zur “Ur- und Frühgeschichte Sachsens” staunen die sächsischen Archäologen, weil es nun einmal auffällt: Sowohl in der älteren römischen Kaiserzeit (vom Jahr 0 bis ungefähr 150), als auch in der jüngeren römischen Kaiserzeit (150 bis 375) gab es in ganz Sachsen keine Region, die dichter besiedelt war und reicher an Fundstücken ist.

Zur älteren römischen Kaiserzeit schreiben die Autoren: “Die wenigen Fundplätze der älteren Römischen Kaiserzeit konzentrieren sich eindeutig in Nordwestsachsen …” Gegenden wie Ostsachsen, Erzgebirge und das Gebirgsvorland: fundleer. Das darf man sich wirklich bildlich vorstellen: dichte, uralte Wälder auf dem größten Teil Sachsens, nur im Nordwesten rund um die Flusslandschaft von Elster, Pleiße, Parthe und Mulde ist Leben in der Bude. Irgendwo dort gibt es auch einen Handelsweg, auf dem man die Fluss-Auen durchqueren kann. Und an diesem Handelsweg liegt ein Ort, in dessen Namen so etwas wie dieses unverkennbare Lei oder *leih steckt.

Den finden wir noch. Keine Bange. Und auch zu dem Indiz, das es ziemlich sicher macht, dass der Ort genau hier liegt und schon da ist, kommen wir noch.

Jetzt haben wir es mit belegten Fakten zu tun, einigen tausend, wenn man die Fundstücke in den Archiven des Landesamtes für Archäologie einfach mal auflisten würde. In mehreren Ausgrabungsstätten wurde sichtbar, wie eng verflochten diese kleine Zivilisationsinsel mit anderen Regionen Europas und auch mit dem römischen Reich war. Fundstücke konnten – ihrer Herkunft nach – nach Böhmen verortet werden (wo das nicht unwichtige Markomannenreich sein Zentrum hatte), nach Pannonien und Norien.

Zur jüngeren Römischen Kaiserzeit schreiben die Autoren: “Neueste, systematische Feldbegehungen im Leipziger Land erbrachten für das 3. Jahrhundert n. Chr. eine unerwartet hohe Quellendichte und unterstreichen, dass der Leipziger Südraum eine der reichsten Siedlungs- und Fundlandschaften in Sachsen ist.” Sie sprechen sogar von einer “dicht gedrängten Siedlungskonzentration”. Und was hat man in den Gräbern gefunden: Importe auch wieder aus römischen Provinzen – darunter Schmuckstücke und Waffen.

Die archäologischen Funde sind Indiz Nr. 2. Sie belegen faktisch, dass die Leipziger Region vor 1.700 bis 2.000 Jahren dicht besiedelt war, dass sie immer einer der wichtigen Siedlungsorte im heute sächsischen Gebiet war und auch über gute Handelsverbindungen verfügte – in den Rest von Germania Magna genauso wie nach Böhmen und in die südlich gelegenen römischen Provinzen.

Sie belegen nur nicht, dass unter den um 300 dicht stehenden Siedlungen zwischen Pleiße und Mulde auch ein Ort war, der schon die Namensvorform des heutigen Leipzig trug.

Sie belegen aber etwas anderes: Dass nämlich ein reger Austausch mit dem Römischen Reich erfolgte und es im Römischen Reich zumindest im Bereich des Handels Leute gegeben haben muss, die den Ort am Handelsweg über Elster, Pleiße und Parthe kannten, weil sie ihn regelmäßig passierten. Die Frage ist nur: Hat sich ihr Wissen irgendwo verschriftlicht? Hat irgendjemand aufgeschrieben, was diese Reisenden aus dem kühlen Norden an Wissen mitbrachten?

Seit 2010 lautet die Antwort auf diese Frage tatsächlich: Ja.

Eigentlich schon länger.

Aber geholfen hat am Ende nur Mathematik. Wie das meist so ist.

Lesetipp zu Indiz Nr. 2: Ronald Heynowski und Robert Reiß: “Ur- und Frühgeschichte Sachsens”, Sächsische Akademie der Wissenschaften, Leipzig und Dresden 2010

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