Protzig stehen sie da, und ein Hauch Romantik umgeistert ihre Zinnen, Tore, Bäume und Parks von Schlössern, Burgen und Herrenhäusern, selbst dann noch, wenn sie längst verlassen sind. Manches Haus zeigt neuen Putz, frische Farbe, ausgebesserte Details an Skulpturen, Fenstern und Fassaden. Glück haben sie gehabt, diese alten Bauten, wenn sich jemand um sie kümmert.

Manche Tore sind verschlossen, Schilder warnen vor wachenden Hunden. Anderswo sind Besucher willkommen und schauen sich um (wie L-IZ.de), staunen oder lassen sogar ihre Fantasie spielen…

„Eine neue Burg ist erstanden“, so steht es, lateinisch, am Giebel an Leipzigs Neuem Rathaus, Richtung Süden. Hugo Licht als Architekt und mit ihm andere Berufsgenossen haben in einem Wettbewerb für das neue Leipziger Rathaus mit dem Thema „Burg“ gespielt. Doch was für einer Burg?

Zur Ausstellung „Mythos Burg“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 2010 kategorisierten die Wissenschaftler in: Gralburg, Minneburg, Himmelsburg, Höllenburg, Zauber- und Märchenschloss, Heldensitz, Herrschaftszentrum, Geschichtsmoment.

Ach, was. Den Begriff „Aktenburg“ haben sie ganz vergessen. Aber eine „Aktenburg“ steht in Leipzig, seit 1905. Wenn man von der Einweihung ausgeht. Einverstanden, das Zeitalter der Burgen, gar der Ritterburgen, ist das nicht mehr. Und was die anderen Burgen-Typen so betrifft… Immerhin, eine „Minneburg“ wäre möglich…

Geheimnisse der Pleißenburg

In Leipzigs Neuem Rathaus standen die Türen nicht immer jedermann so offen wie heute. Bis 1989 kam man nur bis zur Wache und Anmeldung. Wie war das aufregend, in den 1990er Jahren, als man zum Tag des offenen Denkmals erstmals wieder Führungen auf den Turm und die Keller anbot. Es wurden Eintrittskarten mit Uhrzeiten ausgeben, bei der Kellerführung konnte der Rathaus-Mitarbeiter bei seinen Erklärungen nur Vermutungen anstellen: „In diesem Rad lief früher ein Seil, mit dem man die leeren Weinfässer aus dem Keller herausgezogen und die vollen Weinfässer hinuntergelassen hat. Hier sieht man, Schienen, Gleise, hier brachte eine Art Grubenhunt die Fässer nach unten.“

Wein wurde da schon keiner mehr gelagert. Aber Leipziger erinnerten sich, dass der VEB Stadtkelterei Panitzsch Weinlager hier, im Neuen Rathaus, und in der Dessauer Straße in Leipzig-Eutritzsch hatte. „Aus Kesselwagen wurde der Wein abgepumpt…“, wusste man zu erzählen. Gab es da etwa auch ein Wortspiel von Panitzsch zu Panschwitz, auf Wein-Be-und-Ver-Arbeitung abhebend? Egal, vorbei. Einstige DDR-Import-Wein-Schlager wie „Gotnari“ und „Murfatlar“ sollen längst wieder gesichtet worden sein.

Seit Jahren gibt es im Neuen Rathaus Führungen unterschiedlicher Dauer und mehrerer Anbieter. Mal geht es um Geschichte der Leipziger Stadtverwaltung oder der Architektur mit Bezügen zu früheren Baustilen, mal geht es um den „Runden Tisch“ von 1989, der in Leipzig rechteckig war. Eine Zeit lang ersetzte er den Stadtrat! Mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ hatte das Volk im Rathaus Platz genommen.

Keine Burg ohne Turm: der Turm des Neuen Rathauses. Foto: Karsten Pietsch
Keine Burg ohne Turm: der Turm des Neuen Rathauses. Foto: Karsten Pietsch

Im Turm ist seit dem 100. Rathaus-Geburtstag auf der zweiten Ebene der Wendeltreppe eine Ausstellung über die Baugeschichte des Rathauses zu sehen, die die Geschichte des Schlosses und der Pleißenburg vermissen lässt. Leider kann man diese Tafeln und Exponate nur bei Turmführungen besichtigen.

Als Besucher des Ratskellers der Stadt Leipzig kann man nach Voranmeldung hinauf- und auch hinabsteigen. Da geht es durch das Werk des Baumeisters Hugo Licht in den Turm, der schon zu Zeiten des kurfürstlichen Baumeisters Hieronymus Lotter angelegt worden war, wenn auch längst nicht so hoch wie jetzt. Auch dieser Turm stand an der Stelle eines Vorgänger-Turms. Lotters Bauleitungstätigkeit, da mag die Planung und Zeichnungen gemacht haben, wer genau das am besten konnte, ist zu verdanken, dass man etwas von Schloss und Pleißenburg noch erlaufen, erfahren, erfühlen kann. Wie der Vater so waren auch zwei Lotter-Söhne als Baumeister mit am Bau beteiligt.

Acht Meter unterm Burgplatz

„Wir sind acht Meter unter dem Burgplatz“, sagte einst zum Tag des offenen Denkmals der Reiseleiter dieser Zeitreise in vielleicht schon 800 Jahre Leipziger Geschichte, als die erste Befestigung auf dem Geländesporn angelegt worden ist. „Das ganze Dreieck aus Rathaus, Stadthaus und Bankgebäude war unterkellert. Wir gehen nur durch ein Drittel hindurch. Mit dem Baugeschehen rund um den Burgplatz wurde immer wieder umgebaut.“

Man sieht es, Zwischenwände wurden eingesetzt, Durchgänge angelegt und wieder verschlossen. Offensichtlich mit dem Baumaterial, das man hier unten anderswo vorfand. Ziegelsteine im DIN-Format sind umgeben von größeren Formaten, Schiefer, Bruchsteine. Offensichtlich wurde auf alten Fundamenten neu aufgebaut. Man vermutet: „Es fehlte die Zeit, alles abzureißen und ganz von unten neu aufzubauen.“

Nein, ein Museum wie in der Festung Dresden mit Beschriftungen und Dokumentation, gestalteter Beleuchtung, Sicherheitstechnik und historisch-korrekter Führung durch die Ausstellung gibt es unter Leipzigs Neuem Rathaus nicht. Als ob die alte Pleißenburg ihre Geheimnisse noch nicht preisgeben wolle…

Und doch gibt es einiges zu entdecken. Mit dem Begriff „Katakomben“ hat das nichts zu tun. Katakomben sind Grablegen, Grüfte. Wenn beim Wiener Stephansdom von Katakomben die Rede ist, hat es seine Richtigkeit, denn bei Ausgrabungen in ganz Wien aufgefundene Gebeine wurden in den Katakomben beigesetzt. Bei speziellen Führungen, es ist gehörig Zeit und eine längere Wegstrecke einzuplanen, kann man sich dort ein Bild davon machen.

Welche Burg suchen wir?

Im www-Leipzig-Lexikon wird, allerdings ohne Angaben von Quellen, beschrieben, das zunächst der Begriff „das markgräfliche Schloss“ üblich war, weiter heißt es: „Das ursprüngliche Schloss war, bis auf einen südwestlich stehenden runden Turm, vollständig in die Stadtbefestigung eingeschlossen.“

Eine der ersten und genauesten Stadtansichten von 1547 zeigt Leipzig nach den Zerstörungen im Schmalkaldischen Krieg, als die Stadt von den Truppen des ernestinischen Herzogs Johann Friedrich belagert wurde. Als Beschriftung ist neben der Ruine zu lesen: „Das Schloß.“ 1547 wurde das Schloss weitgehend zerstört. Vielleicht war auch nur die Bastei vor dem Turm so weit zerstört, dass auf der Zeichnung der Bergfried nun scheinbar schutzlos vor der Befestigung zu sehen ist.

In der Ausstellung "1015. Leipzig von Anfang an" im Stadtgeschichtlichen Museum zu sehen: die Stadtansicht von 1547. Foto: Karsten Pietsch
In der Ausstellung “1015. Leipzig von Anfang an” im Stadtgeschichtlichen Museum zu sehen: die Stadtansicht von 1547. Foto: Karsten Pietsch

Wenn in Leipzig auch keine dauerhafte Residenz gekrönter Häupter war, so war die Vorherrschaft über die Stadt doch umkämpft. Um 1300 hatte der Merseburger Bischof das Ziel, das Stadtregiment zu erlangen. In Notzeiten unterstützten die Leipziger die wettinischen Markgrafen gegen die deutschen Könige. Dass die Leipziger gegen ihre Stadtherren Widerstand zeigten, beweist ein Bürgeraufstand 1215/1216. Auf dem heutigen Burgplatz stand einst der Trotzer, die eigentliche Befestigung der Burg gegenüber der Stadt und ihrer Bevölkerung. Aus Sicht der Burg kam ein Feind nicht nur von außen…

Forscher sahen in der Leipziger Anlage Anregungen aus Nürnberg und aus dem italienischen Festungsbau. Doch was ist davon abgerissen, überbaut worden und erhalten geblieben?

Status-Symbol Turm

Dreh- und Angelpunkt bleibt der Turm. Burgen tragen ihre Bergfriede wie Wahrzeichen, Statussymbole ihrer Besitzer. Man spricht vom letztmöglichen Rückzugsort, wenn die Burg schon erstürmt worden sein sollte.

Alte Leipziger Stadtansichten helfen weiter durch die Leipziger Baugeschichte wie auch der Vergleich zur Festung Dresden, deren Planer derselbe Caspar Vogt von Wierandt war.

Und Hieronymus Lotter? Er war nur der ausführende Leipziger Baumeister. Der auch mal Geld zur Bezahlung der Löhne vorstreckte. Einige seiner Entscheidungen zum Baufortschritt sind bekannt geworden. Lotter wurde vom Kurfürsten unter Druck gesetzt, binnen 10 Tagen den Tiefbau abgeschlossen zu haben. Mit Hilfe von 1.500 Fronarbeitern aus den umliegenden Dörfern soll das geschafft worden sein.

Hugo Licht ließ den Turmfuß von Lotters Turm stehen, verstärkte die Mauern und baute den Turm bis auf 114,5 Meter Höhe neu. Nach anderen Spuren von Hieronymus Lotter muss man nun, im Bau von 1905, nicht mehr suchen. Nach einem Porträt? Bärtige alte Männer gibt es in den Bildhauerarbeiten am Rathaus einige. Sogar im Innenhof sind an Wänden und Fenstereinfassungen Köpfe modelliert. Sind es Porträts der jeweiligen Werkmeister? Bildnisse an einem Bauwerk können kaum Zufall sein, denn Vorbilder, Modelle gab es ja…

Ansichten der alten Pleißenburg findet man an anderen Orten. Im Stadtgeschichtlichen Museum im Alten Rathaus zeigt das Stadtmodell von 1823 die Burg mit umgebendem Wassergraben.

In den historischen Räumen von Auerbachs Keller ist ein Gemälde der Kasernengebäude zu sehen, wie sie im letzten Umbauzustand aus dem 19. Jahrhundert ausgesehen haben.

Die Pleißenburg war Kaserne, Gefängnis, Münzstätte. In einem Schloss-Teil fand 1519 die Disputation mit Martin Luther statt. Und auf dem gleichen Gelände wird es nach der Reformation 1539 wieder eine katholische Kapelle geben…. In der Kunstakademie soll der Student Johann Wolfgang Goethe bei Professor Adam Friedrich Oeser das Kupferstechen gelernt haben. Wie man dem Leipziger Stadtzentrum heute noch ansieht, wann es der Stadt und ihren Bürgern gut ging, ist das Neue Rathaus ein Gründzeitsymbol für den Reichtum der Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Stoff für ein Museum über tausend Jahre Pleißenburg wäre genug vorhanden…

Als in den 1990er Jahren der Petersbogen mit einem Parkhaus und die Tiefgarage unter dem Burgplatz gebaut werden sollten, hatten die Archäologen noch einmal kurz Zeit, nach den Geheimnissen von Schloss und Burg am Pleißemühlgraben zu suchen.

Mehr dazu in der nächsten Folge.

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