Es ist kein hübsches Buch über flauschige Wolkenformationen, das Jan Off hier geschrieben hat. Es ist ein Buch über die Abgründe unserer Gegenwart. Einer Gegenwart, in der die Gespenster der Vergangenheit ihre clownesken Wiederauferstehungen feiern und fantasielose Manager an Modellen einer technisch kontrollierten Menschheit arbeiten, die die alten, kalten Träume einer gnadenlos regierenden Elite zum Inhalt haben.

Kein Wunder also, dass auch die Autoren hierzulande immer mehr dystopische Träume haben und Geschichten schreiben, in denen das Fürchterliche Realität wird. So auch Jan Off.

Denn wenn man kein Tech-Junkie ist, der sich von digitaler Vollkontrolle und radikal eingesetzter KI eine wunderbare neue Welt verspricht, dann bereiten einem die Träume der Tech-Konzerne nur noch Angst. Dann spürt man mit allen Fasern, worum es den gnadenlos an ihrem profitorientierten Herren aus der Tech-Sphäre tatsächlich geht. Und das Wort lautet nun einmal: komplette Kontrolle.

Utopie und Faschismus

Es ist kein Zufall, dass sich der moderne Faschismus und die Technologie-Gläubigkeit der Tech-Bosse begegnen. Ihr Denken ähnelt sich. Und: Beide verachten den unabhängigen, unberechenbaren und eigensinnige Menschen. Und damit die Demokratie. Ihre Versprechen sind immer wieder dieselben: Technologie könne alles besser. Menschen sind chaotisch. Staaten sind zu aufgebläht.

Ihr Ideal ist seit über 2.000 Jahren immer wieder dasselbe: Man müsse nur einer „weisen“ Elite die volle Macht geben, und sie würde die Menschheit ins Paradies führen. Das älteste Beispiel dieser technologischen Betrachtung einer menschlichen Gesellschaft ist Platons „Der Staat“.

Aber auch Morus’ „Utopia“ ist nicht die Spur besser. Schon beim Lesen graut es einem. Platz für Unabhängigkeit, Liebe, Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben ist da nicht. Diese Utopien, die eigentlich im Grunde allesamt Dystopien sind, verwandeln den Menschen in ein Rädchen, das zu funktionieren hat. Und das seinen Platz nicht verlassen darf.

Und man darf sich mit Jan Off auch an die Fantasien der Vordenker des Kommunismus erinnert fühlen, die ja bekanntlich ebenfalls in gnadenlosen Diktaturen endeten. Und an Romane etwa von Viktor Martinowitsch, in denen er schildert, was von diesen Utopien bleibt, wenn sie längst gestorben sind, die von Macht besessenen Eliten aber immer noch da sind und sich ihren eigenen, rücksichtslosen Nachwuchs heranzüchten. Denn am Ende bleibt immer nur die von ihrer Auserwähltheit berauschte Elite übrig. Auch bei Jan Off.

Falsche Träume

Bei ihm nennen sich diese Auserwählten Komiteeler, was einen nicht ganz zufällig an diverse vergangene Komitees erinnert, mit denen sich die auserwählten Genossen als Verwalter ihrer als ideal verkauften Gesellschaft zelebrierten. Bei Off wird ein Komitee der Allgemeinen Einsicht (KDAE) daraus. Und schon taucht als literarisches Vorbilds auch Orwells „1984“ auf. Man darf auch gleichzeitig an die „Tribute von Panem“ denken, in denen die Dystopie eines rabiat autokratischen Staates auf die gescheiterten USA projiziert wird.

Bei Off regiert das KDAE über eine Welt, in der mit Überwachungstechnik und gnadenloser Auslese die Zahl der Menschen auf der Erde radikal auf 30 Millionen reduziert wurde. Der Planet scheint gerettet. Die Menschen ernähren sich nur noch vegan und lauter winzige technische Helfer organisieren ihren Alltag, in dem es so vormundschaftlich zugeht wie bei George Orwell. Alles wird kontrolliert, der Schlaf, die Gefühle, die täglichen Abläufe.

Nur Tristan gerät eines Nachts außer Kontrolle, erwacht mitten in der Nacht und beginnt die Welt zu erkunden, scheinbar unbeobachtet. Als hätte das System auf einmal einen Fehler. Und vielleicht nicht nur einen. Denn seine nächtlichen Ausflüge nutzt er, um herauszubekommen, was hinter den Mauern der Family-Zone passiert.

Denn immer wieder verschwinden Mitglieder seines „Geheges“, vielleicht weil sie „reif“ genug sind, in der Family-Zone eine Familie zu gründen. Nur: Die Family-Zone ist leer. Etwas stimmt nicht mit der Welt, die Tristan und den anderen in ihrem überwachten Gehege beigebracht wurde.

Die eisige Logik der Macht

Und es stimmt eine Menge nicht. Was Tristan nur zu bald erfährt. Denn was den jungen Schkolniki, wie sie genannt werden, die ganze Zeit vorgespiegelt wurde, hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Einer Wirklichkeit, die keine Empathie kennt, sondern nur die grausame Gleichgültigkeit der Macht. Es ist ein Punkt, über den viele Schriftsteller stolpern, wenn sie die Utopien unserer Gegenwart weiterdenken.

Denn dann wird die Grausamkeit all dieser Versuche sichtbar, den Menschen zum funktionalen Bauteil einer durchherrschten Welt zu machen. Einer Welt, die von der Lüge lebt, von lauter falschen Versprechen, die den Menschen eine Zukunft suggerieren, in der sie sich ihre menschlichsten Träume erfüllen können.

Doch tatsächlich ist genau dafür kein Platz. Auch nicht für Empathie und Vertrauen. Was Tristan dann auf die grausame Tour lernen muss, hin- und hergerissen zwischen Mitgefühl und der blanken Angst um das eigene Leben. Es geht grausam zu in Jan Offs Geschichte. Aber man spürt, dass sich hier einer einen Albtraum von der Seele geschrieben hat. Dass er sich bis in die Konsequenzen hinein ausgemalt hat, wohin die Träume einer von Technologie durchherrschten Welt am Ende führen. Und dass es auch für einen seine Freiheit erkundenden Tristan darin keinen Ausweg gibt.

Die Umarmung durch die Mächtigen sieht freundlich und verständnisvoll aus. Aber sie ist eiskalt und berechnend. Der Mensch in seiner Not spielt seine blutige Rolle. Und er weiß nicht, ob es reicht. Das ist das Perfide an solchen Systemen, denn Aufstieg und Überleben hängen von willkürlichen Entscheidungen ab. Die Mächtigen sind nur mächtig, weil sie kein Mitgefühl mehr kennen.

Sie sind nicht grundlos mächtig. Ihr Credo in jeder Variante einer Utopie lautet am Ende: Keine Gefühle zeigen, beweisen, dass einem nichts nahe ist und man auch das Liebste opfert.

Eliten sind eiskalt.

Der Mechanismus der Macht

Und genau das lernt Tristan in dieser Geschichte. Und man weiß eigentlich die ganze Zeit: Genau so funktionieren die Klüngel der Macht, so schleicht sich der Faschismus in die Köpfe und macht das einzelne Menschenleben wertlos und verzichtbar.

Vielleicht sollten wir das endlich lernen, dass dieser Mechanismus der Macht immer auf dieselbe Weise funktioniert. Und immer wieder dieselben fatalen Ergebnisse liefert und eine eisige Elite hervorbringt, der das Glück der Menschen völlig egal ist. Die nur Härte akzeptiert. Und über Leichen geht, weil das „System“ es verlangt.

Und Offs Geschichte wirkt auch deshalb so beklemmend, weil diese Art über Menschen zu denken, wieder um sich greift, befeuert von schwerreichen Eliten, die Gesellschaft schon immer von der technologischen Machbarkeit her gedacht haben und ihre eisigen Vorstellungen einer komplett kontrollierten Welt als Versprechen für eine Zukunft verkaufen, in der Menschen nur richtig funktionieren müssen.

Dass dann freilich vom Menschsein nicht mehr viel übrig bleibt, das spüren Autoren schon seit einiger Zeit. Und warnen auf ihre Weise und malen – wie Jan Off – aus, was mit uns geschieht, wenn wir zum kontrollierten Objekt einer durch Technologie verwalteten Gesellschaft werden.

Jan Off „Cumulus 2161“, Edition Outbird, Gera 2025, 15 Euro.

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