Ferdinand Schwanenburg ist ein Pseudonym. Vielleicht auch deshalb, weil der Autor dieses Politthrillers selbst zwei Jahre lang für verschiedenste Fraktionen der Deutschlandpartei, sorry: der AfD, gearbeitet hat. Aber stünde der richtige Name auf dem Cover, würde sich das Buch wohl auch unter die vielen erschienenen Bücher einreihen, in denen einstige AfD-Mitglieder abrechnen mit der rechtsabdriftenden Partei. Aber das ist es nicht. Es ist auch eine Dystopie. Eine Warnung sowieso.

Und so nebenbei auch eine Analyse zum Zustand unserer Demokratie, die sehr nachdenklich macht. Denn die feuchten Träume dieses Friedrich Sehlings, den Schwanenburg zur zentralen Gestalt seines Buches gemacht hat, sind nicht nur die feuchten Träume einiger Leute, die für ihre Vorstellungen von Macht extra eine Partei mit der Parteifarbe Hellblau gegründet haben, auch wenn man etliche Akteure dieser Partei und ihrer Unterstützer wiedererkennen mag in den Gestalten, die Schwanenburg auftreten lässt.Unsere leidenden Medien erzählen uns ja fortwährend das Klagelied vom Populismus, als wäre das eine neuere Krankheit, irgendeine neu auftauchende Verirrung im Politikbetrieb, die man nur genügend brandmarken und verächtlich machen muss, dann verschwindet sie wieder. Aber es ging und geht nicht um Populismus, auch wenn es ohne die Stimmen und die Stimmungen des Volkes nicht geht.

Das ganze Gerede über Populismus zeigt im Grunde, dass nicht mal die Möchtegern-Experten aus den Politikressorts verstanden haben, dass Demokratie kein Automatismus ist. Und dass diese die Machtgelüste etlicher vom Größenwahn besessener Männer nur bremsen kann, aber nicht komplett verhindern.

Davon erzählt der Aufstieg eines Donalds Trump in den USA genauso wie die Daueraffäre Kurz in Österreich. Die „Zeit“ spricht vom „System Kurz“.

Hören wir einfach mal auf, ständig „die Politiker“ zu bashen, die Demokratie, „die da oben“ (was ja gerade in Sachsen regelrecht zum Volkssport geworden ist), „die Medien“, „das System“ und was der Verbalinjurien noch so sind. All diese kleinen und großen Bosheiten von kleinen Leuten, die selbst nur zu gern große Leute wären und Macht hätten. Als wären sie, wenn sie denn nur mal an die Schalthebel dürften, geradezu prädestiniert, alles viel besser zu machen.

Und die dabei nicht mal merken, wie sie selbst Leuten den Weg bereiten, die erst recht keine Skrupel kennen, wenn es um die Ergreifung der Macht geht. Und um ihren Erhalt – mit brutalen Methoden. Das vergessen sowieso die meisten kleinen Leute, wenn sie wie berauscht wieder neuen Führergestalten zujubeln: den Tag danach, die Zeit nach der Inthronisierung ihres Angehimmelten. Was passiert dann mit ihnen?

Demokratie braucht Schutz gegen Machtgierige

Die Idee der Demokratie ist nämlich genau aus diesem Wissen heraus entstanden, wie gefährlich machtbewusste Männer auf dem Thron sind, gar mit diktatorischen Vollmachten. Denn diese Herren zögern, wenn sie den vollen Zugriff auf Polizei, Justiz und Armee haben, nicht lange, ihre Gegner „auszuschalten“, mit „eisernem Besen auszukehren“, wie sie es gern nennen. Die ganzen demokratischen Prozeduren und Regeln, die alles scheinbar so schwerfällig machen, sind vor allem Schutzmechanismen gegen die Gier nach der absoluten Macht.

Aber wir sind nicht absolut geschützt.

Davon erzählt Schwanenburgs Roman über diesen Friedrich Sehlings, der die erste Gelegenheit nutzt, in die frisch gegründete Deutschlandpartei einzutreten, die ja bekanntlich anfangs von einigen empörten älteren Herren gegründet wurde, denen nicht so recht gefiel, dass sie in den moderneren Veränderungen der Republik keine Rolle mehr spielten – alt gewordene Konservative, Professoren, Offiziere, Juristen.

Es ist ja nicht so, dass nur ein paar kleine Handwerker und Imbissbudenbetreiber von der Macht träumen und davon, dass sie „den Laden mal ordentlich aufräumen“ dürfen. Diese Träume hegen auch gut bezahlte Staatsdiener in gehobenen Positionen, die Spitzengehälter beziehen und sichere Renten haben, denen es aber absolut gegen den Strich geht, dass andere Leute, die sie zutiefst verachten, mitreden dürfen in einer Demokratie.

Politik mit Ressentiments

Parteien wie die Deutschlandpartei werden aus Ressentiments gemacht. Und sie sind offen für das finstere Gedankengut, das ja bekanntlich nicht nur in einigen rechten Splitterparteien überdauert hat, in denen auch Sehlings seine früheren Karriereversuche gestartet hat, sondern auch am heimischen Küchentisch und an vielen Stammtischen. Da träumen die kleinen Deutschen noch immer ihren Allmachtswahn und ihre bierbäuchige Auserlesenheit.

Was Sehlings aber in den rechtsradikalen Kleinparteien gelernt hat, ist das Führerprinzip. Denn die kleinen Deutschen träumen ja nicht nur davon, selbst mal große Führer sein zu dürfen. Sie träumen auch von einem Land, in dem alles ganz, ganz einfach ist, alle parieren und einer befiehlt. Einer mit „starker Hand“. Sie fühlen sich tatsächlich erst wohl, wenn alle Uniformen tragen und alles „läuft wie am Schnürchen“.

Was ja bekanntlich – man denke nur an all die „Wochenschauen“ und Riefenstahl-Filme, – beeindruckende Bilder von Macht und Einigkeit ergibt. Da ist etwas, was einige Menschen regelrecht in Rausch und Begeisterung versetzt, sie also auch missbrauchbar macht. Und so erinnert Schwanenburgs Erzählung von Sehlings raschem Aufstieg in der Deutschlandpartei in vielem an das, was wir bei den Hellblauen tatsächlich immer wieder erlebt haben – vom beginnenden Rechtsdrall über das zunehmende Wildern in der Sprache des Dritten Reiches (LTI) und das Erstarken des sogenannten Flügels, der im Roman wie in der Wirklichkeit seine Auflösung erklärte. Aber wo bleiben dann all die Leute, die diesen „Flügel“ mal ausgemacht haben?

Natürlich verschwinden sie nicht, schon gar nicht, wenn sie bestens organisiert sind und Leute wie Sehlings die Strippen ziehen und systematisch daran arbeiten, ihre Konkurrenten aus dem bürgerlichen „Flügel“ zu entmachten, in die Minderheit zu bringen oder gar mit cleveren nachrichtendienstlichen Methoden öffentlich zu blamieren, sodass sie auf Wahlveranstaltungen heftige Niederlagen erleben und die gut organisierten Leute aus Sehlings Truppe nach und nach die entscheidenden Posten in der Parteiführung besetzen. Dass das ganz und gar nicht wirklichkeitsfremd ist, kann man ja bei Nicolai Boudaghi und Alexander Leschik in „Im Bann der AfD“ nachlesen.

Und dass auch anderen Parteien solche Machtspiele nicht unbekannt sind, hat ja Michael Haas in „Kritische Masse“ sehr eindrucksvoll erzählt.

Der blaue Schatten der Wirklichkeit

Schwanenburgs Geschichte ist also ganz und gar keine utopische Geschichte. In weiten Strecken merkt man, dass die Wirklichkeit die Blaupause war für dieses Buch. So ungefähr haben einige Sehlings-Typen ja tatsächlich versucht (und versuchen es immer noch), die ausgerechnet im Osten so starke hellblaue Partei zu übernehmen und zu radikalisieren. Und ganz bestimmt hätte ich dieses Buch vor der Bundestagswahl anders besprochen als jetzt, Tage danach.

Denn Schwanenburg lässt die Bundestagswahl anders ausgehen. Bei ihm verschwindet ausgerechnet die Sozialpartei in der Versenkung und der smarte Kandidat der Christpartei gewinnt die Wahl (mit Mitteln, die durchaus an den Aufstieg des Sebastian Kurz in Österreich erinnern), bekommt es dann aber mit einem radikalisierten Ökoprotest zu tun, massiven Wirtschaftsfolgen der Coronakrise und einem aufflammenden islamistischen Terror. Also einer brandgefährlichen Mischung, die an die massiven Krisen erinnert, die die Weimarer Republik an ihrem Ende erschütterten.

Und es ist nicht einfach so, dass Schwanenburg die Endzeit der Weimarer Republik als Blaupause nutzt. Er lässt seinen Sehlings geradezu akribisch die Machtergreifungsstrategien der Nationalsozialisten nachvollziehen. Und den Leser beschäftigt dabei durchaus die Frage: Würde das auch heute noch funktionieren?

Die unterschätzte Rolle der Medien

Ganz und gar nicht beiläufig bringt Schwanenbureg auch die Rolle der Medien ins Spiel, die immer unterschätzt wird. Denn all das, was uns so fahrlässig als „Populismus“ angedreht wird, ist zuallererst eine Reaktion von Menschen auf (Massen-)Medien. Auf Propaganda.

Und alles, wirklich alles, was der Nationalsozialismus über sich und seine „Märtyrer“ erzählt hat, ist Propaganda, ist clevere Inszenierung, die oft bis heute ihre Rolle in der Geschichtsschreibung erfüllt: vom inszenierten Reichstagsbrand über den „Tag von Potsdam“ bis zum „Überfall auf den Sender Gleiwitz“.

Ohne diese Inszenierungen und Selbstinszenierungen des NS-Reichs ist die „Machtergreifung“ der Hitlerpartei nicht zu verstehen. Die faschistische Legendenbildung um die „Weimarer Zustände“ muss man immer mitdenken. Und heutzutage kommt man gar nicht umhin, sie mitzudenken, wenn man sieht und liest, wie leichtfertig nicht nur Rechtsradikale vom „System“ reden, den „Mainstreammedien“, den „Systemparteien“ und der „Merkeldiktatur“. Die alten Legenden sind noch oder wieder wirksam. Auch weil sie als Frames funktionieren und damit alles, was an einer Demokratie so wichtig ist als Gegengewicht, Korrektiv und Verpflichtung zum Kompromiss, verteufeln und abwerten.

Die Verführung eines geschlossenen Weltbildes

Und man merkt es ja beim Lesen selbst, wie leicht man in das Weltbild der Leute um Sehlings hineingleitet. Ein Weltbild, das sich immerfort um eine Betonung des Deutschen dreht, anfangs scheinbar harmlos. So harmlos, wie wohl auch viele Wähler/-innen anfangs die hellblaue Professorenpartei gesehen haben mögen, die ihnen das Gefühl gab, sich jetzt endlich wieder mal um die armen gebeutelten Deutschen zu kümmern.

Weshalb sich auch die honorigen Herren, auf die Sehlings trifft, nicht wirklich gegen diesen Mann verwahren können, der sich so erstaunlich gut aufs Organisieren versteht. Übrigens ein Lieblingswort der Nazis, die auf ihre Fähigkeit zum „Organisieren“ immer stolz waren. Sie haben Kriege, Bücherverbrennungen und „Kristallnächte“ genauso perfekt durchorganisiert wie den Holocaust und die Gleichschaltung.

Gegen den fiesen Sehlings und seine bestens organisierten Netzwerke haben die geradezu blauäugigen und staatsromantischen alten Herren keine Chance. Sehlings weiß, wie man auch auf der Klaviatur der Medien spielt. Und im Grunde bekommt er auch die ganze Zeit brillante Schützenhilfe ausgerechnet aus dem wirkmächtigsten Magazin der Republik, das Schwanenburg mal vorsichtshalber „Demokratischer Beobachter“ genannt hat.

Doch mit dessen Chefredakteur und der jungen promovierten Journalistin Florentine Fischer gibt er auch einen sehr bissigen und leider auch stimmigen Einblick in das Medienmachen unserer Tage, bei dem es immerfort um Auflage und Klickzahlen geht und so manches Medium keine Scheu kennt, das Aufkommen der neuen Rechten zu inszenieren wie ein Schauspiel mit lauter finsteren Helden. Man scheint sie zu verachten und packt die trotzdem mit innigster Lust auf die Titelseiten.

Und so ist es ausgerechnet Florentine Fischer, die einige der Figuren, die Sehlings Aufstieg begleiten, erst entdeckt. Figuren, die einen auf den ersten Blick an das Finsterste in der Erinnerung an den deutschen Faschismus erinnern. Typen, gegen die selbst Sehlings wie ein braver Mann aussieht, obwohl sein Aussehen (GI-Haarschnitt und Brecht-Brille) ganz bestimmt nicht an einen ungefährlichen Zeitgenossen erinnert.

Aber in seiner Figur thematisiert Schwanenburg ja auch noch ein anderes Phänomen, das in der deutschen Politiklandschaft ja auch zu beobachten ist – wie einige Kinder der einstigen 68er-Generation teilweise regelrecht durch die Parteien marschieren und am Ende ganz rechts landen, als hätten sie mit ihren einst aufrührerischen Eltern (so wie Sehlings) noch etwas auszumachen.

Die Übernahme von Revolutionstheorien von links

Aber das liegt so fern nicht. Denn zum Erscheinungsbild des modernen Rechtsradikalismus gehört nun einmal auch sein Rückgriff auf linke Revolutions-Theorien – von Lenin und Gramsci bis zu Che Guevara. Und das macht sogar einen Teil der Faszination jener geradezu mittelalterlichen Kaderschule in der (ost-)deutschen Provinz aus, die Schwanenburg hier mit einem wirklich barbarossaartigen Philosophen der Rechten zeichnet. Der am Ende selbst zum „Märtyrer“ gemacht wird, denn – das merkt man erst spät: Skrupel kennt Friedrich Sehlings keine.

Der Ergreifung der Macht ordnet er alles unter. Er ist ein eiskalter Taktierer und weiß genau, wie man Stimmungen erzeugt, Mehrheiten schafft und Konkurrenten in Verruf bringt. Alles Methoden – so deutet Schwanenburg an – die auch operierende Geheimdienste bestens beherrschen. Und so recht weiß man nicht, welche Rolle am Ende ein bekannter Geheimdienst aus dem Osten spielt.

Aber während es bis zur im Buch als Scharnier funktionierenden Bundestagswahl scheinbar nur darum geht, dass dieser umtriebige Herr Sehlings an die Spitze der Partei will, wird bald klar, dass dieser Mann keine Grenze kennt. Der Weg ist ja bereitet, nachdem seine Partei eine herbe Wahlschlappe erlebt hat. Doch spätestens da wird deutlich, dass er viel mehr will. Und dass er keine Rücksichten nehmen wird, dieses Ziel auch zu erreichen.

Und das Erstaunliche: das überrascht nicht einmal. Denn eigentlich sind das ja die feuchten Träume der Deutschlandpartei. Nichts anderes steckt hinter der ganzen selbstgerechten Attitüde, der Verachtung für alle anderen Parteien, den verkappten und manchmal offenen Drohungen selbst vor laufenden Kameras („Wir werden sie jagen“) und den Selbstinszenierungen in den eigenen Medien. Was ja Schwanenburg nur zu gut weiß.

Im Buch lässt er eine Zeitung namens „Junges Deutschland“ quasi stellvertretend agieren für die Medien, die heute ja tatsächlich den rechten Mainstream bedienen und steigende Auflagen hatten, wo klassische große Magazine heftige Auflagenverluste hinnehmen mussten. Denn natürlich haben sie einen Vorteil: Sie haben keinen guten Ruf zu verlieren. Und deshalb pfeifen sie in der Regel auch auf journalistische Standards, während der Verstoß gegen diese Standards klassische Medien schon mal in heftige Turbulenzen stürzen kann.

Andererseits sind sie ja nicht allein. Zwischen den Zeitungen, die versuchen, diese Standards zu behaupten, und den Krachmachern vom rechten Rand gibt es ja eine ganze Armee von Medien, die einfach nur Aufmerksamkeits-Berichterstattung machen und nicht mal mehr merken, wenn sie sich instrumentalisieren lassen von Politikern, Unternehmen und Projektemachern, die ihnen Tag für Tag schönen deftigen Stoff zu berichten geben, Stoff, der binnen weniger Minuten über die Bildschirme flimmert, ohne Einordnung und Recherche. Einfach raus mit dem Zeug, egal, was es anrichtet.

Die Mechanismen der Inszenierung

Und Sehlings kennt die Mechanismen nur zu gut. Der „junge, schwule Verteidigungsminister“ der Christpartei, der in Schwanenburgs Geschichte ebenfalls unbedingt Bundeskanzler werden will, ebenso. Er unternimmt keinen politischen Schachzug, ohne sich vorher mit der bekanntesten PR-Agentur der Hauptstadt zu beraten.

Was einen ja gerade wieder an die Vorgänge in Österreich erinnert: Es gibt keinen Wahlkampf mehr, in dem nicht gewichtige PR-Agenturen mitmischen, Kampagnen organisieren und Frames setzen. Und nicht die Interessen der Wähler/-innen bestimmen am Ende, wer gewinnt, sondern ihre Emotionen, von denen schon die Nazis wussten, wie man sie mit Propaganda und Inszenierung schüren und steuern kann.

Und dieser Sehlings weiß, dass er ein gefährliches Spiel spielt. Nur hat er gegenüber allen Konkurrenten den Vorteil: Er hat nur ein einziges Ziel. Dem ordnet er alles unter. Und: Er lässt sich nicht von Gefühlen hinreißen, auch wenn er durchaus Niederlagen erleidet und sich zeitweise schmollend in sein Bahnwärterhäuschen in der ostdeutschen Provinz zurückzieht.

Aber diese Niederlagen zerstören seine Machtbasis nicht, denn die hat er mit den diensteifrigen Jungs aus seiner „Jugendmannschaft“ über die Jahre systematisch ausgebaut. Seine Getreuen sitzen noch immer in den Vorständen und Verbänden und gehorchen aufs Wort. Und sie sind stets zur Stelle, wenn er Befehle erteilt. Seine Getreuen nennen Sehlings schon lange nur „der Kommandeur“.

Und so wird Schwanenburgs Roman durchaus zu einer beklemmenden Phantasie dessen, wovon einige Leute in Deutschland tatsächlich wieder träumen. Oder besser: nie aufgehört haben, davon zu träumen. Denn es sind eben nicht die überzeugten Demokraten, die von der absoluten Macht träumen. Die wissen eher, was für ein hartes Geschäft es ist, Kompromisse zu finden und die vielen widerstreitenden Interessen einer Gesellschaft irgendwie in ein politisch machbares Programm zu bekommen.

Während immer noch sehr viele Deutsche davon träumen, dass da oben einer sitzt, der ihnen alle Sorgen um die Gemeinschaft abnimmt, und einfach befiehlt und durchregiert. Und „wieder für Ordnung sorgt“, wenn die um Aufmerksamkeit quietschenden Medien immerfort Bilder von Katastrophen, Krisen und Bedrohungen malen. Und sage keiner, das täten sie nicht. Sie tun es. Und sie kennen kein Halten mehr, seit auch noch völlig aufs Klicken fixierte Portale wie Facebook die Schleusen der Empörung regelrecht geöffnet haben.

Demokratie braucht Nachdenklichkeit

Dabei braucht Demokratie Gelassenheit, Besinnung und Raum zum Nachdenken und Lösungensuchen. All das, was unter diesem Katastrophenmodus scheinbar nicht mehr funktioniert.

Nur dass in Schwanenburgs Buch augenscheinlich die Schwelle überschritten wird und die Gesellschaft tatsächlich zerreißt und gleich mehrere radikalisierte Gruppen tatsächlich Angst und Entsetzen verbreiten. Genau das, was Sehlings in die Karten spielt und es ihm am Ende leicht macht, die Macht zu ergreifen.

Aus dem Politthriller wird eine Dystopie. Und damit eine berechtigte Warnung, dass unsere Demokratie tatsächlich gefährdet ist, wenn wir ihre scheinbaren Schwächen nicht auch als Stärken begreifen und die Frames aus den Werkstätten der rechten Vordenker nicht entkräften. Was nicht so einfach ist, denn es sind wirkmächtige Frames, die den eigentlich machtlosen Nutzern all der rechten und halbrechten Medien das Gefühl geben, sie könnten selbst mehr Wirkmächtigkeit erlangen, wenn sie nur einstimmen in den Chor von „Deutschland schafft sich ab“ und dann die strammen Deutschparteiler wählen, weil die so kraftvoll vor sich hinwüten.

Macht aber ist immer auch eine Entmachtung der vielen kleinen Leute, die meinen, sich mit ihrer Empörung selbst ermächtigen zu können. Am Ende gewinnen dann immer die Skrupellosen, die selbst ihre Wegbegleiter/-innen opfern, wenn das für ihren Aufstieg (und ihren Machterhalt) nur irgendwie nützlich ist. Auch in einer Demokratie muss man zwingend über die Mechanismen der Macht nachdenken, und zwar bevor die Sache aus dem Ruder läuft.

Denn gerade weil Schwanenburgs Roman „beklemmend realistisch“ ist (wie es der Verlag beschreibt), zeigt er, warum unsere Demokratie immer gefährdet ist. Und zwar nicht durch „Populismus“, sondern durch Menschen wie diesen Sehlings, die alles, wirklich alles dafür tun, an die Schalthebel der Macht zu kommen.

Die wissen, wie man Medien manipuliert und Meinungen beeinflusst. Und Politik hat sehr viel mit Bildern, Meinungen und Emotionen zu tun. Und gerade die Figur der Dr. Florentine Fischer zeigt, wie sehr die (falsche) Lust der Medien an der Sensation genau dieser Deformation Vorschub leistet. Und den falschen Bildern von Macht, die für eine Demokratie brandgefährlich sind.

Ferdinand Schwanenburg Machtergreifung, Europaverlag, München 2021, 24 Euro.

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