Wer könnte besser über das Innenleben einer Partei wie der AfD erzählen als zwei, die sechs bzw. acht Jahre dabei waren? Und zwar nicht nur als einfache Mitglieder, sondern höchst engagiert im Vorstand der JA. Mit dem Enthusiasmus, mit dem viele junge Leute in Parteien gehen, weil sie wirklich etwas verändern wollen. Oder ein Thema für so überwältigend halten, dass sie unbedingt aktiv werden wollen. Aber in der AfD?

In der AfD? Und dann so lange? In gewisser Weise erklären Boudaghi und Leschik mit ihrem gemeinsamen Buch, warum die AfD überhaupt Fuß fassen und Anhänger gewinnen konnte. Und warum sie am Ende von den Rechtsradikalen gekapert werden konnte. Das hat mit den Themen zu tun, die auch die beiden Autoren ansprachen. Es sind ja keine wirklich abwegigen Themen. Sie beschäftigen auch andere Parteien, kommen in den Nachrichten vor und sind manchen Menschen wichtig, anderen völlig schnuppe.Nicolai Boudaghi war praktisch von Anfang an dabei, seit 2013, als sich die europakritische „Professorenpartei“ gerade erst gegründet hatte und tatsächlich vor allem von konservativen Unternehmen, Professoren, Angestellten und Beamten geprägt war. Alexander Leschik kam 2015 dazu. Und beiden gemeinsam ist natürlich ihr Migrationshintergrund einerseits, andererseits ihre Herkunft aus eher prekären Verhältnissen.

Das vergessen etablierte Parteien gern, wie wichtig auch Menschen aus Randgruppen das Gefühl ist, dazuzugehören, respektiert zu werden und sich nach oben durchzuboxen. Und das korrespondiert mit dem durchaus diffusen Begriff Patriotismus, der Alexander Leschik wichtig war.

„In der AfD war Patriotismus nicht negativ behaftet, das gefiel mir“, schreibt er. Setzt dann aber auch fort: „Das zog aber auch Fremdenfeinde und Rechtsextreme an. Ich habe immer versucht, die Partei so zu beeinflussen, dass ich mich nicht für sie schämen muss.“

Warum er dann trotzdem nicht gleich wieder ausstieg, wird in dieser Passage etwas deutlicher, in der er insbesondere auf die Filterbubbles des Jahres 2015 eingeht: „Wenn man sich wie viele AfDler über Facebook, rechte Portale und Chat-Gruppen informiert, bekam man Berichte über solche Taten jeweils etliche Male zugespielt. Man denkt dann irgendwann, es passiert kaum mehr etwas anders. Wie gefiltert einen das Zeitgeschehen erreicht, bemerkt man erst mal gar nicht.“

Und wenig später: „Natürlich haben solche Meldungen bei mir eine Wirkung erzielt. Man verwechselt seine Timeline und all die Posts, die einen erreichen, schnell mal mit der Wirklichkeit.“

Man ahnt so ein wenig, wie es anfangs einige Themen sind, die Leute wie Boudaghi und Leschik in diese neue Partei hineinziehen. Themen, die in ihrem Wohnviertel auch so abwegig nicht sind. Denn nicht ohne Grund haben ja gerade die einstigen Volksparteien ihre Wählerschaft in vielen sozialen Brennpunkten verloren, weil sie nicht mehr die Sprache dieser Wähler sprachen und auch ihre eigentlichen Nöte nicht sahen und sehen.

Wähler, die sich auch in klassischen Medien nicht mehr wiederfinden oder sie einfach nicht mehr konsumieren, weil sie auf ihrer Timeline eh schon zugemüllt werden mit Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt sie zwar nicht einschätzen können, die aber – durch die gnadenlos dummen Algorithmen der großen IT-Konzerne gesteuert – den Eindruck erwecken, eine komplette und reale Welt darzustellen.

Auch wenn es lauter Fakenews, Verdrehungen und Übertreibungen sind. Die Psychologen wissen ja eigentlich längst, wie das funktioniert und wie leicht es mit solchen Mitteln ist, Menschen in die Irre zu führen.

Und als erste begriffen, wie prima das funktioniert, haben ja die Rechtsradikalen in Deutschland, die noch viel schneller merkten, dass die Themensetzung der AfD völlig offen war für ein Abdriften ins rechte Vokabular und Weltverständnis.

Das überrascht einerseits: Warum haben das Boudaghi und Leschik nicht gemerkt? Doch: haben sie. Die beiden setzen sich wirklich recht akribisch mit ihrer eigenen Rolle auseinander, die sie bis in den Bundesvorstand der AfD-Jugendorganisation brachte, wo sie dann ab 2018 selbst miterlebten, wie das ist, wenn bestens organisierte Rechtsradikale erst ganze Kreis- und Landesverbände übernehmen und dann auch straff organisiert die „Gemäßigten“ aus dem Bundesvorstand verdrängen.

Wobei das nicht wirklich schleichend passiert. Im Nachhinein können Boudaghi und Leschik recht genau rekonstruieren, wie früh die fremdenfeindlichen und martialischen Töne in den internen Chat-Gruppen auftauchten, wie sie selbst noch meinten, sie müssten nur immer wieder mäßigend eingreifen, dann würden diese Aufheizungen zu Hass und Verächtlichmachung wieder aufhören. Wären ja doch nur ein paar arme verlassene Jugendliche irgendwo in der Pampa, die sich hier austobten.

Radikalisierung der Tonlage

Aber das haben ja auch andere auf die harte Tour lernen müssen: So kommt man den Scharfmachern nicht bei. Denn auch verbale Gewalt ist Gewalt. Und wenn der Ton auch im internen Gespräch hasserfüllt und gewalttätig wird, schmeißt man die Krachmacher entweder konsequent raus oder gesteht sich selbst ein, dass man im falschen Film ist. Reden kann man mit Nazis nicht.

Doch genau das glauben tatsächlich viele Konservative im Land, bis in einige CDU-Landesverbände hinein, die immer noch meinen, die hellblauen Sitznachbarn im Parlament wären nur so etwas wie abtrünnige Konservative, denen die CDU zu sozialdemokratisch geworden ist.

Aber spätestens seit der sogenannte „Flügel“ 2018 die Oberhand gewonnen hat in der AfD, kann davon ganz bestimmt keine Rede mehr sein. Und Boudaghi und Leschik zeigen durchaus, dass sie diese Veränderungen alle wahrgenommen haben, jeden einzelnen Rechtsruck, bei dem sich vorher „gemäßigte“ Parteimitglieder auf einmal dem „Flügel“ andienten. Bei genauerem Hinschauen aber hatten sie sich schon vorher angedient.

Das ist ein im Buch immer wieder sichtbar werdendes Muster, wie die Verschärfung und Radikalisierung der Tonlage immer auch dazu diente, intern einzuschüchtern und die eher Gemäßigten an den Rand zu spielen. Und zwar nicht nur unterschwellig, sondern ganz unverhüllt. Was beim Lesen durchaus verblüfft, denn so wurde schon bald deutlich, mit was für Leuten es auch Boudaghi, Leschik und die anderen eher gemäßigten im JA-Vorstand da zu tun bekamen.

Auf einmal erzählen sie von harten Verhandlungen um Kompromisslisten zwischen Gemäßigten und „Flügel“, bei denen sie noch glaubten, die Scharfmacher irgendwie einbinden zu können. Während genau das Gegenteil passierte: Nun verschärften sich auch die Töne bei Leuten, die sie vorher als gemäßigt erlebt hatten.

Und sie sehen durchaus die Erklärung dafür, denn spätestens um 2016 begann die Sache zu kippen, verließen immer mehr Leute aus der Anfangszeit die AfD und dafür traten – auch mit Billigmitgliedschaften angelockt – immer mehr Mitglieder in die AfD ein, die für radikale Töne nicht nur ansprechbar waren, sondern auch wegen der radikalisierten Tonlage kamen. Spätestens mit dem Parteiaustritt von Frauke Petry nach der Bundestagswahl 2017 war dieser nächste Rechtsruck vollzogen und verwandelten sich auch die Wahlveranstaltungen zu Ereignissen, die immer öfter entgleisten.

Und das auf eine Weise, die andere radikale Parteien so auch schon erlebt haben. Das war ja nichts Neues: Auf einmal waren es die Flügel-Leute, die argumentierten, „dass die AfD einig sein müsse“. Aber eben einig im Sinne derer, die jede andere Meinung als ihre eigene aus der Partei drängen wollten. Kritik an den rechtsradikalen Tönen auch aus dem Munde der Vorsitzenden? Unmöglich!

Und Boudaghi und Leschik gestehen selber zu, allein deshalb selbst auch zu radikaleren Tönen gegriffen zu haben, weil sie meinten, damit den Ton der Partei zu treffen. Aber im Grunde beschreiben sie ihr Scheitern: Man kann nicht „ein bisschen radikal“ sein.

Am Ende bedienten sich dann selbst die „Gemäßigten“ der Töne aus dem Höcke-Lager. „Vielleicht ist das Gedankengut der radikalen Rechten längst so tief in die AfD eingedrungen, dass das eine nicht mehr vom anderen zu trennen ist“, schreiben sie. „Und womöglich fällt es deswegen vielen noch immer so schwer, sich entschlossener von ihm abzuwenden.“

Gerade anhand der Diskussion nach dem „Verbot“ des „Flügels“ 2020 wird deutlich, dass der Versuch, den „Flügel“ wieder aus der Partei herauszubekommen, längst gescheitert war. Der kann zwar seine Website löschen und auf den Namen verzichten – in den meisten Landesverbänden der AfD gibt er längst den Ton an. Und letztlich war es ein vergeblicher Versuch der AfD, die Begründung des Verfassungsschutzes dafür, die AfD als extremistische Bewegung zu beobachten, zu widerlegen.

Gekaperte Partei

Da wurde gerade Leschik erstmals mit der geballten Wucht belegter Aussagen von AfD-Mitgliedern aller Ebenen konfrontiert, die durch kein Gegenargument mehr zu widerlegen sind. Reihenweise haben sie sich homophob, rassistisch und staatsfeindlich geäußert. Alexander Gaulands Spruch von 2017 „Wir werden sie jagen“ war kein Ausrutscher, sondern sprach für den Ton und die Gesinnung, die in der AfD längst normal waren.

Es ist eher erstaunlich, dass Leschik und Boudaghi trotzdem noch so lange dabei blieben in dem Glauben, die könnten wenigstens Teile des Jugendverbandes vor der Radikalisierung bewahren und im Vorstand irgendwie für Ausgleich sorgen.

Für das Buch haben sich beide mit dem „Stern“-Reporter Wigbert Löer zusammengetan und noch einmal Berge von Chat-Beiträgen ausgewertet, ihre eigenen Diskussionen, in denen sie glaubten, noch einmal Ruhe in den Laden gebracht zu haben, und all das, was dann ohne sie weiterlief. Und ihnen wird auch im Nachhinein klarer, wie zielgerichtet Leute wie Andreas Kalbitz arbeiteten, um die JA gefügig zu machen und in die eigene Machtstrategie einzubinden.

Hinterher ist man immer klüger, könnte man ja sagen. Aber andererseits bieten die beiden einen Einblick in eine Partei, deren Gründer selbst glaubten, man könne mit dem Feuer spielen und ohne Konsequenzen die „patriotische“ Karte bedienen.

„Ich musste erst einmal emotional abkühlen“, schreibt Boudaghi. „Als das geschehen war, sah ich eine Partei, die durch ihre Radikalität Themen und Positionen regelrecht verbrennt.“ Wobei das Wort Radikalität noch etwas untertrieben ist. Denn Lösungen sucht man bei der AfD vergebens, dafür jede Menge Verachtung für andere Menschen und Parteien: „Nur erreicht eine Partei gar nichts, wenn sie sachliche Kritik mit pauschaler Abwertung ganzer Menschengruppen verwechselt. Dadurch vergiftet sie allenfalls den menschlichen Zusammenhalt.“

Wobei beide Autoren ja anschaulich zeigen, dass das Klima innerhalb der AfD selbst längst zerrüttet ist. Wer nicht nach der Pfeife des „Flügels“ tanzt, erlebt innerparteiliche Anfeindungen und Kampagnen, die durchaus zeigen, wie schnell man schon mit einer abweichenden Äußerung zum schlimmsten Feind werden kann. Beide sehen die AfD samt ihrer Jugendorganisation längst auf dem Weg in die rechtsextreme Radikalisierung und damit in die Marginalisierung.

Leschik schildert dann noch, wie er nach seinem Austritt aus der AfD im April und dem Bekanntwerden des Buchprojekts genau die Anfeindungen erlebte, die er zuvor erwartet hatte. „Wir zeigen mit diesem Buch, was für eine Partei die AfD geworden ist und wie dort intern gesprochen, geschrieben und gehandelt wird“, schreibt er. „Wir beschreiben, was wir erlebt und welche Fehler wir gemacht haben.“

Und zu den Fehlern gehört nun einmal auch das Augenverschließen vor diesem sichtlich zum normalen Umgang gewordenen internen Ton, der schon Jahre vor dem Parteiaustritt der beiden Autoren alle Wesensmerkmale rechtsradikalen Sprechens und Denkens zeigte, die Abwertung ganzer Menschengruppen inklusive.

Aber vielleicht ist das jetzt wirklich die Unbetroffenheit des Außenstehenden, der die zunehmende Radikalisierung der AfD schon vor 2015 für ein gewaltiges Problem ansah. Man mag es den beiden wirklich zugute halten, dass sie eben nicht nur jung waren, sondern die AfD und die Arbeit in deren Jugendverband als persönliches Aufstiegsprojekt empfanden, wo sie zeigen konnten, was sie draufhatten.

Da lässt man nicht so gern los, wenn man merkt, dass der Laden von Leuten nach und nach gekapert wird, die nichts anderes wollen als Macht, Mandate und eine finanzielle Versorgung durch den Staat, den sie so verachten.

Vielleicht wird das Buch gerade deshalb zu einem wichtigen Einblick in die Innenwelt der AfD, zeigt, wie eine Partei gekapert werden kann, wenn sie eigentlich nur ein bisschen mit dem deutschen Patriotismus spielen möchte und damit den gut vernetzten Rechtsextremen im Land alle Scheunentore öffnet. Emotionen spielen auf allen Seiten eine Rolle, erst recht – wie man lesen kann – bei Wahlparteitagen, auf denen die eigenen Leute durchgebracht werden sollen und eigentlich jedes Mal gut sichtbar wird, wie unversöhnlich in dieser tief zerstrittenen Partei die Positionen sind.

Und auch das dauerte lange, stellen beide fest: zu erkennen, dass diese „Alternative“, die immerfort behauptete, alles anders zu machen als die „Altparteien“, die schlimmsten der von ihr kritisierten Unarten längst selbst etabliert hat. Bis hin zu den ganz persönlichen Abhängigkeiten der kleinen und großen Funktionäre von ihren Bundestags- und Landtagsabgeordneten.

Wer da noch was werden will, der fügt sich und duckt sich und spricht die Sprache seines Herrn. Diese Partei sieht schon lange viel älter aus als die von ihr so geschmähten „Altparteien“, stellen Boudgaghi und Leschik auch ein bisschen erschrocken fest, nachdem sie tausende Chat-Beiträge jetzt zum ersten Mal in ihrer ganzen nackten Tonalität gelesen haben.

Da muss man wohl den Laden wirklich erst verlassen haben, um derart nüchtern auf das zu schauen, was man die ganze Zeit gewusst, aber sich selbst nicht eingestanden hat.

Nicolai Boudaghi; Alexander Leschik; Wigbert Löer Im Bann der AfD, Europaverlag, München 2021, 18 Euro.

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