Einen fiktionalen Film über den Weltraum drehen ohne in der SciFi-Ecke zu landen? Gar nicht so einfach. Alfonso Cuarón (51) ist mit "Gravity" dieses Kunststück geglückt. Sein Weltraum-Drama überzeugt durch eine starke Hauptdarstellerin, eine kongeniale Kameraführung, brillante 3D-Effekte und eine Überdosis Adrenalin.

Der Mensch kann im Weltraum nicht überleben. Warum fliegen wir trotzdem zu den Sternen? Vor dem Hintergrund der Columbia-Tragödie 2003 entwickelte der Mexikaner Cuarón seit seinen letzten Arbeiten 2006 (“Children of Men”, “Paris je t’aime”) ein verstörend realistisches Drama über den Alptraum aller Raumfahrer: Der Verlust ihres Schiffs.

Die Bio-Medizinerin Ryan Stone (Sandra Bullock) fliegt zum ersten Mal ins All. Für ihren Begleiter, den Veteranen Matt Kowalsky (George Clooney), ist der Routine-Trip die letzte Mission. Ein Weltraum-Spaziergang am Hubble-Teleskop endet im Desaster. Das Space-Shuttle wird zerstört, drei Crewmitglieder verlieren ihr Leben. Aneinander gekettet befinden sich Matt und Ryan alleine im All. Um sie herum herrscht eisige Stille. Der Sauerstoff wird knapp. Eine Aussicht auf Rettung besteht nicht. Aus ihrer Angst wird erst Panik, schließlich tiefste Verzweiflung.

In schier atemberaubenden Bildern zeigt Kameramann Emmanuel Lubezki den Weltraum, wie wir ihn bis dato nicht kannten. Kleinste Gegenstände – Trümmerteile, Werkzeug, Wassertropfen – schwirren dem Zuschauer Dank modernster 3D-Technik um den Kopf. Daneben tauchen Cuarón/Lebzki immer wieder in die Ego-Perspektive ein. Der Zuschauer nimmt einen Teil des Films aus dem Innern von Ryans Multifunktionshelm wahr. Untermalt mit einem minimalistischen Soundtrack evoziert Cuaróns Leinwand-Welt(raum) beim Betrachter einen allumfassenden Gefühlsreigen: Furcht, Panik, Mitleid, Schuld, Sühne, Tod, Erlösung.

Unsere immer schneller werdende Umgebung steht im Kinosaal eineinhalb Stunden lang still. Beinahe in Echtzeit serviert Cuarón Ryans Alptraum, der zu keiner Zeit zum Gruseln einlädt. Wovor auch Angst haben? Der Besucher könnte jederzeit gehen. Zumindest theoretisch. Denn Cuaróns Dramaturgie schnallt das Publikum ganz ohne Sicherheitsgurt im Kinosessel fest.
Dazu trägt auch das intensive, gefühlsbetonte Spiel Sandra Bullocks bei. Die 49-Jährige hat gute Karten, im Februar ihren zweiten Oscar abzuräumen. George Clooney (52) spielt keinen Frauenschwarm, sondern verkörpert sinnbildlich das Klischee des raubeinigen Draufgängers.

“Gravity” ist kein Helden-Epos. Cuarón arbeitet mit zwei Schauspielern. Aus dem Off, über den Funk aus Houston, bekommt der Zuschauer die Stimme von Ed Harris (52) zu hören. Eine kleine Reminiszenz an seine Rolle als Leiter der Missionskontrolle im Filmdrama “Apollo 13” (1995).

Insgesamt ist der Film ein Drama, das von der Kraft seiner Bilder und Sandra Bullocks bärenstarker schauspielerischer Leistung getragen wird. Im Herbst, zur amerikanischen “Award Season”, wird das Kino alljährlich mit sehenswerten Produktionen überschwemmt. “Gravity” ist mehr. Cuarón hat einen Film geschaffen, der unser Sehen verändert. Ein cineastischer Meilenstein, der schon heute zu den besten Werken dieses Jahrzehnts gezählt werden muss.

USA 2013, R: Alfonso Cuarón, D: George Clooney, Sandra Bullock, 90 Min, FSK 12.

Filmstart ist der 3. Oktober, zu sehen im Cineplex, CineStar, Regina Palast und Uci Nova Eventis.

Die Seite zum Film:
wwws.warnerbros.de/gravity

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