Fotografie ist eine relativ junge Kunst, mit der trotz allem schon recht viel Schindluder getrieben wurde - da war sehr viel Propaganda und sekundäre und primäre Geschlechtsorganabbildung. Fotografie kann aber mehr, ganz besonders wenn der Blick durch's Objektiv ein subjektiver ist. Roland Beer fotografiert sensibel und hebt auf, was viele in Sekundenbruchteilen an sich vorbeiflirren lassen. Und jetzt gibt es seine Bilder in einer Ausstellung. Tanner traf ihn und sprach mit ihm.

Am 29. Juni beginnt ja Deine Fotoausstellung in der Galerie artescena – in der Georg Schwarz Straße 70 in Leutzsch. Ich persönlich bin ja informiert darüber, was Du fotografierst – glaube jedoch, dass nicht jeder Lesende hier von Deinen Werken weiß. Kannst Du uns in auch für Nichtkulturwissenschaftler verständlichen Worten erzählen, was es zu sehen gibt?

Die ausgestellten Fotografien stammen aus drei verschiedenen Bilderserien. Die älteste Arbeit ist dabei aus dem Jahre 2009 und zeigt den Luftgewehrschießstand im Dachboden der 44. Polytechnischen Oberschule “Otto Engert” in Leipzig-Lindenau, die heute die Nachbarschaftsschule NASCH beherbergt.

Die beiden anderen Arbeiten sind aus diesem Jahr. Die eine Serie zeigt Makroaufnahmen von Anstecknadeln der 60er und 70er Jahre aus der Tschechoslowakei, die ich in einem Leipziger An- und Verkauf gefunden habe.

Und in der anderen Arbeit habe ich verhüllte und verschleierte Häuser im Leipziger Westen aufgenommen. Das sind unsanierte Häuser, die mit Netzen gesichert sind, um das Herabfallen von Fassadenteilen zu verhindern.
Ein Werk erschließt sich ja meist erst, wenn auch die kulturellen und soziologischen Hintergründe der Entstehung beleuchtet werden. Kannst Du Dich da ein bisschen erklären?

Meine Fotografie ist eine eher dokumentarische Fotografie. Ich zeige die Dinge nüchtern und klar, so wie ich sie vorfinde. Dabei ist es mir aber sehr wichtig, dass die Bilder über ihren formellen und ästhetischen Reiz hinaus eine Geschichte erzählen und eine Ebene hinter dem sichtbaren Bild haben. Obwohl auf meinen Bildern so gut wie nie Menschen zu sehen sind, sagen sie viel über die Menschen und deren Tun aus. Deshalb fotografiere ich meist auch ganz alltägliche Dinge; Dinge, die jeder kennt, an denen man aber meist achtlos vorübergeht, da sie so alltäglich sind. Mit der Abbildung dieser von Menschenhand geschaffenen Artefakte möchte ich über menschliches Leben und gesellschaftliche Prozesse berichten oder Fragen darüber aufwerfen. Was sagen Inhalt und Form der Anstecknadeln über die Gesellschaft der Tschechoslowakei der 60er und 70er Jahre aus? Wer hat diese Nadeln gesammelt? Und wie sind sie schließlich in einem Leipziger An- und Verkauf gelandet? Zudem sind die Nadeln natürlich ein herrliches Beispiel für Gebrauchsgrafik und Emaille-Arbeiten der damaligen Zeit.

Oder welche Prozesse führen dazu, dass auch 25 Jahre nach der Wende Häuser in einem solch erbärmlichen Zustand sind, dass sie mit Netzen gesichert werden müssen? Gleichzeitig ist es aber auch sehr interessant, dass dieser technische Sicherungsvorgang eine eigene Ästhetik entfaltet und den Häusern eine besondere Aura verleiht.

Du sagtest es gäbe Bilder vom Dachboden der NASCH. Was ist das denn für eine Geschichte? Wieso gibt’s einen Schießstand in der Schule? Sponsored bei Bundeswehr?
Obwohl die Bundeswehr ja zur Zeit wieder vermehrt in die Schulen drängt, hat sie mit dieser Anlage nichts zu tun. Ich wurde 2009 angesprochen, ob ich nicht diese Schießanlage im Dachboden der NASCH dokumentieren wolle. Die Sanierung des Schulgebäudes stand unmittelbar bevor und so war davon auszugehen, dass die Spuren der Vergangenheit beseitigt würden.

Ich fand einen Raum vor, der den Eindruck vermittelte, als sei er gestern erst verlassen worden, obwohl die letzte Nutzung sicher 20 Jahre zurücklag. So waren an einer Tafel immer noch die Kreidezeichnungen mit Erklärungen zum richtigen Zielen über Kimme und Korn zu finden, es lagen immer noch Ergebnisblätter von Schießwettbewerben herum und vor allem waren in allen Ritzen des Dielenfußbodens Unmengen von Luftgewehrkügelchen zu finden. Besonders berührt hat mich die Zeichnung einer “kleinen weißen Friedenstaube”, die an einer Wand hing.

Ich nehme an, dass diese Anlage für den Schießunterricht der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) der DDR gedient hat. Meine Recherchen haben aber noch kein abschließendes Ergebnis erbracht. Wer genaueres darüber weiß, kann sich gerne bei mir melden.

Wo hatte denn der interessierte Fotofreund schon Möglichkeit an Deinen Schaffen zu partizipieren? Hing da schon was anderswo?

Seit meinem Fotografie-Gaststudium 2004/2005 bei Frau Dr. Eva Mahn an der Burg Giebichenstein in Halle hatte ich schon mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen. Neben der Abschlussausstellung der Fotografieklasse im Friedemann-Bach-Haus in Halle 2005 erinnere ich mich besonders gerne an die KULT Jahresausstellung 2006 im Mittelschwäbischen Museum Krumbach oder an die Ausstellung “orte.heimat”, die ich 2009 zusammen mit Margit Emmrich, Konstanze Göbel, Harald Kirschner und Michael Ehritt in der Galerie photan im Tapetenwerk zeigen konnte.

Einige Leser kennen vielleicht auch meine Postkartenserie “Grüße aus Leipzig” oder die Arbeit “leipzig /// stadt + literatur”, die ich gemeinsam mit Ansgar Weber von der Buchhandlung Seitenblick entwickelt habe.

Von Deinen Fotos ist doch bestimmt schwer Kühlschrank füllen – womit finanzierst Du denn Deine künstlerische Unabhängigkeit?

Es ist tatsächlich so, dass ich von der Fotografie alleine nicht leben könnte, aber wie viele Fotografen können das schon. So bin ich sehr glücklich darüber, dass mein zweiter Beruf als Stadtplaner etwas mehr abwirft.

Danke, Roland!

Ich bedanke mich!

Roland Beer – Fotografie; Vernissage: 29. Juni 2013 (19:00 Uhr) – Abschluss: 8. August 2013; Galerie artescena in der Georg Schwarz Straße 70 in Leipzig-Leutzsch.

www.artescena.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar