Philosophie und Politikwissenschaften hat Philipp Räder (27) in Leipzig studiert. 2013 hat er seinen Masterabschluss im Fach Philosophie erreicht. Gegenwärtig hat er noch ein Doktorstudium an der Universität Wien drangehängt. Aber daneben hat er auch schon seine Philosophische Praxis eröffnet. Denn Philosophie gehört ins Leben. Sie kann echte Lebenshilfe sein, erklärt er im Interview mit der L-IZ.

Sie haben angekündigt, in Leipzig eine Philosophische Praxis etablieren zu wollen. Was bitte schön ist das? Kann ich da hingehen, wenn ich einen Knoten im Kopf habe oder mir das Nachdenken über die Welt und die seltsamen Heldentaten meiner Mitmenschen Kopfschmerzen bereitet?

In den 1980er Jahren wurde in Deutschland die weltweit erste Philosophische Praxis gegründet. Doch im Grunde handelt es sich bei diesen Projekten um eine Rückeroberung ursprünglicher philosophischer Inhalte. Bereits in der Antike stand der Begriff Seelsorge im Mittelpunkt der Philosophie. Wurde dann aber erst vom Christentum und später von der Psychotherapie übernommen.

Die Philosophen beginnen endlich wieder praktisch zu arbeiten und werden damit auch wieder greifbar für die Menschen. Und sie haben Recht, wer gedanklich auf der Stelle tritt oder nach Alternativen sucht, der ist in einer solchen Praxis richtig. Wie meine Kollegen will ich zum neugierigen Nachdenken anregen, in aussichtslosen Situationen mit dem Klienten neue Denkschritte gehen oder auch mal über das scheinbar Unlösbare diskutieren.

Wo kann ich da hingehen? Muss ich mich wie bei Dr. Freud dann auf eine Couch legen und die Ur-Gründe meines gedanklichen Unbehagens aufdecken? Sitzt der praktizierende Philosoph daneben und stellt mir Fragen wie Sokrates?

Der Ort des Geschehens ist nicht festgelegt. Eine Psychiatercouch besitze ich nicht. Der Klient muss sich wohlfühlen, also kann er den Treffpunkt vorschlagen. Das kann im Café sein, auf einer Parkbank oder zu Hause. Meistens stelle ich dann im dialektischen Sinne Fragen und versuche den Standpunkt des Klienten herauszuarbeiten, von dem aus das Denken weitergehen kann.

Ich bin kein Psychiater und will diesen auch nicht ersetzen. Doch es kann Situationen im Leben eines Menschen geben, in denen ich ihm als Philosoph weiterhelfen kann. Durch logische Überlegungen, meinen objektiveren Blick und die Überzeugung, dass es im Denken immer weitergeht.

Oder kommt der Philosoph gar zu mir nach Hause? Ist das dann eher ein philosophischer Salon, zu dem ich auch meine besten Freunde einladen kann und dann wird bei einem guten Glas Unstrutwein gemeinsam philosophiert?

Die Philosophische Praxis bietet verschiedene Konzepte. Einzelgespräche zwischen dem Klienten und mir aber auch Angebote für interessierte Menschen gleichzeitig. Es geht eben auch darum, die Lust und die Neugierde der Klienten zu wecken. Eingeschliffene Denkwege zu verlassen und mal den Horizont zu erweitern. Es gibt so viele Fragen, die so wichtig und bedeutend sind, dass es genügend Stoff für Philosophische Salons oder inspirierende Zusammenkünfte gibt.

Sie sprechen Patch Adams an und die große Aufgabe der Philosophie, das Glück der Menschen zu suchen. Heißt das, die eher schmerzvollen Philosophen wie Kant, Schopenhauer, Nietzsche und Marx bleiben draußen? Also mehr Lebensphilosophie als Gesellschaftsphilosophie? Oder bedingt das eine das andere?

Die Philosophische Praxis besetzt eine Lücke zwischen der schweren Universitätsphilosophie im Elfenbeinturm und der populärwissenschaftlichen Ratgeberphilosophie. Mir geht es darum, jeden einzelnen Klienten ernst zu nehmen und ihn nicht in Kategorien einzuordnen. Ich biete keine fertigen Rezepte. Nietzsche, Schopenhauer und Co. habe ich zwar studiert, doch mein Handwerkszeug sind die Kompetenzen, die sich aus diesem Wissen ergeben. Ein guter Philosoph schließt nichts aus und gibt auch keine Ratschläge. In der Praxis finden wir nicht das Glück jedes Einzelnen, doch wir können erörtern, worin man es entdecken könnte. Eine Art Hilfestellung zum Glücklichwerden.

Wo verorten Sie sich da selbst? Sie haben ja in Leipzig Philosophie und Politikwissenschaften studiert? Beißt sich das nicht? Was hat heute Politik noch mit Philosophie zu tun?

Philosophie ist die älteste Wissenschaft und die Entwicklung der Philosophischen Praxis will deutlich machen, dass philosophische Ansätze überall brauchbar sind. Auch und gerade in der Politik. Ein Klient kommt vielleicht in die Praxis, weil er in den Nachrichten immerzu vom Krieg hört und weil ihn das Elend dieser Welt bedrückt. Dann kann es hilfreich sein, miteinander zu klären, was Frieden bedeutet, was Gerechtigkeit bedeutet und welche Konzepte es da gibt.

Ein Anderer hat einen sterbenskranken Verwandten und kommt mit dem Thema Sterbehilfe nicht klar. Dann können wir in meiner Praxis darüber sprechen, was Verantwortung, Selbstbestimmung und Sterben heißt.

Genausogut kann es positive Gründe für einen Praxisbesuch geben. Vielleicht ist ein Klient verliebt, hat aber schon Trennungen erlitten und braucht eine neue Sicht auf das Thema Liebe, Freundschaft und Partnerschaft. All das und mehr ist möglich.Wollen Sie die Leipziger wieder die Freude am Philosophieren lehren? Glauben Sie, dass dafür neben dem täglichen Medienkonsum auch nur ein Minütchen noch Zeit ist?

Oh ja, die Freude am Philosophieren ist mir wichtig. Wer sich eine Stunde Zeit nimmt, um selbst zu denken, der braucht dazu keinen Fernseher und kein Internet. Manchmal braucht man dazu aber einen Partner, ein Gegenüber und das kann ich sein. Die Medien können eine sehr hilfreiche Stütze im Leben sein, doch man benötigt auch die ausreichende Kraft, um damit umzugehen.

Außerdem handelt es sich beim Konsum von TV-Sendungen, selbst wenn sie philosophische Inhalte vermitteln, um eine passive Tätigkeit. In einer Philosophischen Praxis sind die Klienten aktiv gefordert. Das ist eine Herausforderung, die sich auszahlt, weil man etwas über sich und seine Mitmenschen lernt, weil es das Gespür schärft und weil es Spaß macht.

Kann es sein, dass unsere Zeit sowieso viel zu wenig vom Nach-Denken bestimmt ist? Entscheidungen passieren computergestützt immer schneller, werden immer öfter automatisiert. Ist da ein Philosoph nicht gar ein Störfaktor? Einer, der zum Zwischenschalten des eigenen Gehirns auffordert, wo die Regel doch eher das Ausschalten ist?

Ihre Frage betont die Wichtigkeit der Philosophischen Praxen. Einer der wichtigsten Begriffe in diesem Zusammenhang heißt Selbstbestimmung.

Viele Klienten erkennen irgendwann, dass sie wie Hamster in einem Laufrad gefangen sind. Zumindest verspüren sie ein gewisses Unbehagen. Da kann es schon helfen, wenn man sich mal klar macht, dass es Zusammenhänge zwischen körperlicher Tätigkeit und dem Zustand des Geistes und der Seele gibt.

Ein anderes Thema ist Gesundheit. In einer Philosophischen Praxis könnte man darüber sprechen, dass nicht jeder, der anders ist, gleich als krank gelten muss.

Gibt es schon erste Erfolge beim Etablieren der Praxis zu berichten? Gar schon die ersten Anmeldelisten?

Philosophische Praxen müssen sich ihren Platz in der Gesellschaft erst erarbeiten. Den Meisten ist noch nicht klar, was wir anbieten. Darum lohnt es sich, einmal der Praxis einen Besuch abzustatten. Das erste Kennenlerngespräch ist bei mir immer kostenfrei. Danach kann jeder nochmal entscheiden, ob er meine Angebote wahrnehmen will. Und diese sind zahlreich, denn es gibt auch Lesezirkel für philosophische Literatur, Philosophieren für Kinder oder auch die Möglichkeit, dass ich Vorträge zu bestimmten Themen halte.

Wann soll’s richtig losgehen? Oder denken Sie da eher daran, an eines der schon bestehenen Projekte in Leipzig anzudocken?

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Im Moment beginne ich allein. Man kann mich jederzeit über meine Homepage kontaktieren, per Mail oder Anruf. An bestimmten Orten lege ich ab und an auch Flyer aus, auf denen das Wichtigste notiert ist.

Was mich reizen würde, wäre die Zusammenarbeit mit anderen Professionen. Ich stelle mir da eine Art Gemeinschaftspraxis mit Psychotherapeuten, Ergotherapeuten, Theologen oder auch Kunstpädagogen vor. Die Philosophische Praxis, ich sagte es schon, ersetzt keine anderen Angebote, sondern erweitert das Feld der beratenden Berufe.

Und welchen Philosophen sollte ich jetzt lesen? Wer passt jetzt zur Zeit? Lieber noch einmal Epikur oder doch einen fetten Wälzer von Sloterdijk?

Ich empfehle ungern Bücher, wenn ich die fragende Person nicht kenne. Am Ende gefällt ihr das Buch gar nicht und dann liest sie vielleicht nie wieder ein Philosophiebuch. Andererseits muss es auch kein Sachbuch sein, denn Philosophie steckt auch in Romanen, der Lyrik oder Liedtexten. Selbst manche Filme sind philosophisch wertvoll.

Mir fehlt in unserer Gesellschaft manchmal der Mut zu Neuem. Also lesen Sie mal wieder Nietzsche und wenn Ihnen bei der Lektüre etwas unklar bleibt, dann besuchen Sie mich doch in meiner Praxis.

Was ich auch empfehlen kann, ist das neue Buch von Wilhelm Schmid “Dem Leben Sinn geben”. Schmid war einer der ersten Philosophen, der als Seelsorger in einer Klinik tätig war.

Philosophische Praxis Philipp Räder: www.praktisch-philosophieren.de

Wikipedia zu Patch Adams: http://de.wikipedia.org/wiki/Patch_Adams

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