Einer der bedeutendsten Lyriker im deutschsprachigen Raum, Andreas Reimann, lädt am Donnerstag, 24. Januar, um 19.30 Uhr ein zur Gründungsversammlung der "Leipziger Andreas Reimann Gesellschaft" ins "Kulturkaffee Plan B" (Härtelstraße 21). Im November 2011 wurde der Dichter, der zu den eindringlichsten deutschsprachigen Dichtern der Gegenwart gehört, 65 Jahre alt.

2012 startete die Connewitzer Verlagsbuchhandlung deshalb die Edition einer auf elf Bände konzipierten Werkausgabe. Ein Grund, sich für dieses kühne Unterfangen zu entscheiden, war die Einsicht, dass die zahlreichen Lyrikbände des Poeten, die zum Teil längst nicht mehr lieferbar sind, bisher in fast ebenso vielen verschiedenen Verlagen publiziert wurden. So ist es bislang nur für sehr speziell interessierte Leser möglich, sich überhaupt einen Überblick über das Gesamt-Werk eines Dichters zu verschaffen, dessen Verse über den Tag hinaus zu wirken vermögen, weil sie sich flüchtigen Moden und lautstarken Ideologien verweigern.

Es ist bekannt, dass sich Reimann mit dieser (konsequenten) Verweigerungshaltung in der DDR die vorzeitige Exmatrikulation vom Literaturinstitut und später zwei Jahre Haft wegen “staatsgefährdender Hetze” einhandelte. Weniger bekannt ist, dass in der DDR lediglich seine zwischen 1961 und 1964 sowie die zwischen 1971 und 1976 geschriebenen Gedichte gedruckt worden sind. Natürlich fand ein Großteil der in den scheinbaren “Schweigejahren” entstandenen Arbeiten inzwischen in später veröffentlichten Sammlungen Aufnahme. Aber zum Beispiel die Unmenge an Liedertexten, die der Dichter damals für viele (mutige) Interpreten schrieb, ist bislang weder gesichtet noch aufgearbeitet. Unveröffentlicht sind die Kantaten-Texte und Libretti und eine Vielzahl an Essays zur Zeitgeschichte, Literatur und Bildender Kunst.

Dem besonderen Interesse eines jungen Publikums, das sich ja in vielen Fällen selbst mit literarischen Übungen befasst, empfiehlt sich der gerade in Vorbereitung befindliche 1. Band der Werkausgabe – der erst jetzt, nach dem 2. Band erscheinen kann, da ein wichtiges Manuskript in der im Umbau befindlichen Stadtbibliothek nicht zugänglich war.Dieser Band enthält nämlich neben dem Gedichtzyklus “Kontradiktionen”, der 1966 verboten wurde und erst in den Akten des MfS wieder auftauchte, den Essay “Die neuen Leiden der jungen Lyrik; Bemerkungen zur Form” samt dazugehöriger Diskussion und Abschlusskommentar Reimanns aus der Akademie-Zeitschrift “Sinn und Form” (1974/75) und den unveröffentlichten Essay “Anmut sparen nicht noch Mühe. Über politische Lyrik” (1977). Die Aktualität der Abhandlungen gibt keinen Anlass zur Freude, legitimiert aber deren erneute Drucklegung nach nunmehr fast 40 Jahren.

Nun ergibt sich freilich aus dem Umfang des Materials, das für die Werkausgabe bearbeitet werden muss und dem Aufwand der verlagstechnischen Realisierung eines so ungewöhnlich umfänglichen Lyrik-Projekts, das erfahrungsgemäß keinerlei Gewinn abwerfen wird, die Notwendigkeit, um ideelle, aber gleichwohl materielle Unterstützung dafür zu werben.

Die “Andreas-Reimann-Gesellschaft” beabsichtigt freilich gleichermaßen die Förderung traditionsbewusster zeitgenössischer Lyriker, die sich deutlich um formale und poetische Genauigkeit bemühen. Dabei geht es der Gesellschaft darum, mit ihren Mitteln den unterbrochenen Prozess der Staffelübergabe der Dichter wieder in Bewegung zu bringen und darüber hinaus die Kontakte zwischen Künstlern verschiedener Genres untereinander und mit ihrem (potentiellen) Publikum zu fördern: eine Zielstellung, die über den aktuellen Anlass der Gründung der “Andreas-Reimann-Gesellschaft” hinaus weist.

Der Sinn der “Andreas Reimann Gesellschaft” ist es – neben der Sammlung von Mitgliedern und Spendern – die Erfassung, Betreuung und Verbreitung des Werks des Dichters Andreas Reimann zu ermöglichen. Sie will sich um Förderung und Verbreitung der Arbeiten traditionsbewusster zeitgenössischer Lyriker, die sich deutlich um formale und poetische Genauigkeit bemühen, kümmern. Öffentliche Veranstaltungen stehen genauso auf ihrem Programm wie eigenständige Publikationen.

“Andreas Reimann, einer der wichtigsten Lyriker Deutschlands”, erklärt der Autor Jan Zänker. “Seine Gedichte heben sich von der Unmenge an Sprachlosigkeit, an Belanglosigkeit, Genügsamkeit, an ‘Zurückgeworfensein auf ein vollkommen vermickertes Ich’ ab. Dieser Dichter hat keine Scheu davor, démodé zu sein. Im Zweifelsfall hält er sich an ein ‘Rezept aus dem Altertum’: ‘Doch scharf gewürzt / vermutlich recht apart.'”

Nach der Gründungsversammlung am 24. Januar liest Andreas Reimann ab 21 Uhr Gedichte. Begleitet wird Andreas Reimann von “Libertin”: Claudia Wandt (voc) und Sibylle Stier (p). Der Eintritt ist frei.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar