Was ist eine Szene? Letztlich immer mehr als die Teile eines Ganzen. Eine Band hat es wohl verdient, dass ihr die Gothicszene und andere Musiksparten einen Gedenkstein setzen. Nicht zuletzt wegen Texten, die noch bestehen bleiben werden, wenn den Rest die Geschichte längst verprügelt hat. Und die lange vor vielen den "neuen Mensch" kommen sah. Das Begräbnis der Band findet in Leipzig statt, standesgemäß mit einem Konzert, dass alle Jahre nochmals an die Oberfläche bringen wird. Im Interview Sänger Kaaja Hoyda, der mehr Fragen beantwortet hätte, als der Fragende hatte.

Ende, letztes Konzert, große Abschiedsshow. Was glaubst Du hat ein Publikum am Ende einer der intelligentesten Bands der sogenannten Gothic-Szene wirklich verdient?

Natürlich dass wir nochmal richtig Krach machen, feiern, tanzen, lachen und auch ein bisschen traurig sind. Wir strengen uns an, dass es ein unvergesslicher Abend wird. Ich bin froh, dass wir es in Leipzig machen, wir haben hier die besten Konzerte gespielt und die treuesten Fans. Und dann noch in der wunderschönen Moritzbastei – es geht nicht besser.

Ist Stendal Blast nur müde oder schlicht zu alt oder die Mitglieder viel zu beschäftigt?

Nein, müde nicht. Beschäftigt ja. Aber es ist vielmehr so: Unser letztes Album “Schmutzige Hände” ist – da bin ich ein bisschen eingebildet – wirklich stark. Ich habe gemerkt, dass ich mich textlich fortan nur selbst kopieren würde. Und das möchte ich nicht. Stendal Blast darf nicht belanglos enden.

Ein Mensch, der im Pott in einem Auto gewohnt hat, eine Band gründete, auf Intensivstationen arbeitete und nun nach einem Studium hinter den Kulissen des Fernsehens in Hamburg angekommen ist, hat heute welchen Blick auf die Zukunft unserer Spezies?

Unsere Spezies macht natürlich einiges mächtig falsch. Mit dem ganz großen Blick auf die Welt kann man sicher sagen: Uns erwartet das Zeitalter der Verteilungskämpfe, das wird kein Vergnügen. Und im Mikrokosmos? Naja, ich bleibe dabei, dass Freiheit nicht ist, im Supermarktregal zwischen zehn verschiedene Sorten Himbeermarmelade wählen zu können. Der Konsumismus ist ein gewaltiges Tier, er raubt die schönen, einfachen Momente.

Warum so pessimistisch? 😉

Lass uns mal gemeinsam zum MediaMarkt an die Kasse, dann weißt Du es.
Ich habe durch Deine 2000er Definition der “Hölle” (noch mal) erfahren, dass sie in der beständigen Wiederholung der immer gleichen Handlungen und Erlebnisse wohnt. Wo verortest Du diesen heißen Ort nach längst ermüdenden Ewigschleifen in dieser Gesellschaft heute?

Theoretisch natürlich dort, wo wir aufhören, an Verbesserungen zu arbeiten. Stillstand ist der Tod, sang Grönemeyer. Und das stimmt. Meine persönliche Hölle war meine Zeit als Gerüstbauhelfer in Gelsenkirchen-Resse. Obwohl es lange her ist, haben sich die schlimmen Rückenschmerzen, die dumpfe Müdigkeit und die unendliche Monotonie eingebrannt. Gleichwohl habe ich gelernt: Sei niemals mehr arrogant zu einem Malocher. Daran habe ich mich bis heute gehalten.

Wo führt das hin?

Respekt führt immer dazu, dass man mit jedem auf Augenhöhe kommunizieren kann.

“Dreh ich den Kopf nach links, ist da alles tot. Dreh ich ihn nach rechts, seh ich den ganzen Dreck, lieber Fährmann bring mich weg.” Das Tribunal am anderen Ufer sagt Deiner Meinung nach heute was zu Deinem bisherigen Leben?

“Junge, Junge, das wird eine lange Sitzung.”

Zum Artikel vom 3. Oktober 2013 auf L-IZ.de
Stendal Blast ein letztes Mal am 4. Oktober: Sind noch Fragen offen?

Eine Youtube-Playliste von Stendal Blast (kaufen hält länger)
www.youtube.com/watch?v=DeQiij-V-QQ&list=PL61E8B87667A9D519

Der neue Mensch
www.youtube.com/watch?v=TlbpSzqbl6M&list=PL61E8B87667A9D519

Das Paradies
www.youtube.com/watch?v=eScXQLOUzM4&list=PL61E8B87667A9D519

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