Ist ja nicht ganz einfach über Dinge zu schreiben, die man wirklich mag oder mochte, die einen begleiteten und anfassten, wie einst Stendal Blast. Zu viel Respekt macht die Zeilen öde, zu viel Kritik ist nicht drin und so manche eigene Erinnerung schwingt sich auf einmal wieder herauf. Von da, wo man sie begraben glaubte direkt in den nächsten Satz. Man sollte auf keinen Fall Alkohol dabei trinken, vor allem nicht, wenn man über Stendal Blast schreibt. Oft genug entstehen dann solche Texte überhaupt nicht - besser ist das fast ebenso oft. Die Gefahr ist also auch hier gegeben - der Einstieg war schon mal nicht so überragend.

Bier 1: Der Sound passte genau in die Zeit der ausgehenden fröhlichen 90er und der hereinbrechenden Nuller-Jahre, die Stimmung düster, zynisch und ehrlich. Lustig auch, immer dann, wenn aus der Perspektive von ganz unten ein Lichtlein durch die Zeilen geisterte. In jedem Fall von einer Philosophie geprägt, die aus Straßendreck geformt wurde. Seit 1989 – was für ein Gründungsjahr – zogen Stendal Blast um die Häuser. Immer so, als ob sie den ganzen Rock ‘n’ Roll wollten, aber ohne Ruhm. Sie strichen das „h“ und enterten einfach die nächste Bühne. Heute sortiert man das, was Leadsänger Kaaja Hoyda erst auf Papier und anschließend im Stakkatogang ins Mikro presste als „Neue Deutsche Härte“ ein.

Letztlich irgend so ein Unterlabel eines Unterlabels für deutsch Gesungenes, was nicht zwischen die übliche Schiene der Betroffenheitslieder von Herbert G. bis PUR und der ekelhaft guten Wett-Laune von Thomas G. passte. Aber man darf sagen, Stendal Blast haben es mit erfunden in einer Zeit, als es das Magazin „Bodystyler“ und anschließend „Text und Ton“ noch gab. Wie Stendal Blast übrigens auch so ein zum Scheitern verurteilter Versuch, Intellekt innerhalb einer sichtbar dicker werdenden Gruftiszenerie zu verbreiten. Kein Zufall, dass Hoydas besten Prosatexte ebenfalls da erschienen und letztlich von ihm selbst immer und immer wieder auf Veranstaltungen und Wunsch des Publikums verlesen werden mussten.

Bier 2: Meist gab’s dann auch noch ein Konzert der Band dazu, danach oder irgendwann später, mit jener anderen unverblümten Lyrik eines Mannes, der von Dingen erzählte, denen er nah war, die er kannte. Oft schien es, er war höflich genug, sie in fassbare Worte zu bringen. Und irgendwann sang dann doch jeder vor der Bühne fröhlich mit, wenn es hieß, der Hahn ist tot, der Hahn ist tot und dem Teufel mitgeteilt wurde, dass er auch heute keine fette Beute machen würde.

Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass vielen die erste Begegnung mit Kaajas Combo ab 1995 mit der Platte „Was verdorrt“ in irgendeiner verrauchten Dark-Disko aus der Konserve ereilte. An Stendal Blast als Headliner auf Großkonzerten trauten sich die Veranstalter dann doch nicht heran – an dieses Gemisch aus glasklarer Sicht, Ironie und so manch dunklem Abgrund in elektronischer Begleitung. Gespielt haben sie dennoch alles, was an Festivalnamen so über die Jahre wirklich wichtig war.

Die Band blieb der Liebling einer eher eingeschworenen Insiderkaste von Journalisten, Musikfreaks und Freunden, die sie auf den Konzerten sammelten. Nur kurz unterbrochen von den Songs „Fährmann“ und „Nur ein Tag“, einem Duett mit Alexander Veljanov (Deine Lakaien), welches Dank Veljanov gehörig den Ohren schmeichelte und so einen der Texte von Hoyda einem breiteren Publikum bekannt machte. Auch wenn dieses bis heute noch denken dürfte, dass der Alexander da einen guten Text geschrieben hat, zählt dieser sogar zu den eher verbindlicheren, weicheren eines wahrhaftigen Musikanarchos vom Schlage Kaaja Hoydas.

Bier 3: Echte Kenner nahmen dann doch lieber neben dem Stendal-Frontmann mit dreckigen Händen im „private Puff“ Platz und konnten den Gestank riechen, bevor es entweder zum Einölen ans Wasser oder zum finalen Abschuss in den hinterletzten Tanzschuppen ging. Wenn man Glück hatte, begegnete man dort gegen jede Erwartung der Frau im roten Kleid und fand eine andere Art Erlösung, als der auf dem morgendlichen Trottoir einer Großstadt eigener Wahl.

Vielleicht liegt es auch daran, dass die Band es nie bis ganz nach vorn an die Fresströge der Musikindustrie schaffte? Sie war ein amüsanter, kluger Begleiter in den tiefen Stunden. Doch wer kann schon ewig unter Wasser bleiben?

Heute sind die Fans der Band in der Mehrzahl heimlich bürgerlich, vielleicht sogar neue Menschen geworden, hat Stendal Blast einen Wikipediaeintrag und damit mehr als der Bandnamenspate Paul Anton Bangen. Und tritt ab, weil alles gesagt ist. Mehr kann man eigentlich nicht erwarten. Ein Abschlusskonzert und ein paar letzte Worte sollten dennoch drin sein. Das Konzert, vielleicht eher ein Klassentreffen inklusive Anschlussparty „Schwarzes Leipzig tanzt“, ist am 4. Oktober in der Moritzbastei.

Einlass ist ab 20 Uhr, Werbung brauchte es dafür nicht wirklich, die echten Fans sind seit Monaten informiert. Ein paar Restkarten gibt es vielleicht noch für die, welche in allerletzter Sekunde zum Abschiedskonzert zur Familie stoßen wollen. Das Konzert gilt als fast ausverkauft, die Party auf vier Floors im Anschluss noch nicht.

Und ein paar der letzten Worte vor den allerletzten am 4. Oktober stehen in einem Interview mit Kaaja Hoyda gleich hier im Anschluss auf L-IZ.de. Dass es nicht mehr wurden, liegt am Verfasser dieser Zeilen – es waren einfach keine weiteren Fragen mehr offen.

Stendal Blast offiziell
www.stendalblast.de

Stendal Blast bei Wiki

de.wikipedia.org/wiki/Stendal_Blast

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