Am 1. November veröffentlichen Moloch und Nadiya ihr Album „ETHER: Ukrainian Diaspora Soul“ als Vinyl. Wer versucht, den Sound des Duos in musikalische Kategorien einzuordnen, gerät schnell an seine Grenzen. Blues, Jazz, Folklore, düstere Klänge, klarer Gesang – in ihrem Debüt haben die beiden Musiker*innen aus Leipzig frei von Normen ihren eigenen Stil gefunden.

Wir haben mit Melanka Piroschik und Alexander Korus über die Entstehung des Albums gesprochen, über die Höhen und Tiefen der Produktion und darüber, was ein kleines Büchlein mit all dem zu tun hat.

Ihr habt im Mai dieses Jahres euer Debütalbum „ETHER: Ukrainian Diaspora Soul“ veröffentlicht, am 1. November folgt der Release der Platte auf Vinyl. Wie lange habt ihr an dem Album gearbeitet?

Alex: Wir haben 2020 die ersten Songs für das Album geschrieben. Damals hatten wir auch die wilde Vorstellung, noch im selben Jahr mit den Aufnahmen zu beginnen (lacht). Als Projekt „Moloch und Nadiya“ machen wir aber bereits seit 2018 gemeinsam Musik.

Melanka: Ja, das ist eine ganz schöne Geschichte. In dem Jahr hat eine gemeinsame Freundin von uns ihren Abschluss gemacht an der Burg Giebichenstein in Halle. Sie hat Modedesign studiert und an dem Tag ihre Kollektion präsentiert. Darin war auch viel Stickerei verarbeitet, alles war sehr farbenfroh. Sie hatte die Vorstellung von schwermütiger, trauriger ukrainischer Musik als Begleitung für die Modenschau und hat mich gebeten, zu singen. Ich habe dann Alex gefragt – wir haben bereits in einem anderen Bandprojekt zusammen gespielt.

Alex: Es gab nur ein paar Akkorde. Wir haben das an einem Klavier geprobt, später auch an einem Flügel. Melanka hat westukrainische, traditionelle Lieder gesungen. An der Burg Giebichenstein stellte sich allerdings heraus, dass es zwar ebenfalls einen Flügel vor Ort gab, dieser aber ohne Fahrstuhl nicht in die Etage zu transportieren war, in welcher die Modenschau stattfinden sollte. Deshalb haben wir kurzerhand mit Gitarre und Verstärker improvisiert.

Melanka: Nach der Show begannen manche der Zuschauer*innen zu weinen und wir haben einfach gemerkt: Es funktioniert! Danach haben wir beschlossen, ein längerfristiges Projekt daraus entstehen zu lassen.

Alex: Es war ein besonderer Moment. Wir standen einander gegenüber während der Show, sogar ziemlich weit voneinander entfernt. Ich habe das nicht kommen sehen, aber das war wie eine Epiphanie, es hat sich etwas geöffnet.

Habt ihr eine Erklärung dafür?

Alex: Wir waren ja vorher schon befreundet. Ich würde behaupten, dass wir einen ganz ähnlichen Musikgeschmack haben – so ein bisschen Tom Waits, ein bisschen Neil Young, die Liebe zur Folklore, teilweise sehr düstere Sachen, aber auch Jazz, Blues …

Melanka, du bist Deutsch-Ukrainerin und aufgewachsen mit der traditionellen ukrainischen Musik. Würdest du diese Traditionals generell als eher düster oder auch schwermütig beschreiben oder ist das etwas, das ihr mit „Moloch und Nadiya“ zu der Musik gebracht habt?

Melanka: Das ist eine interessante Frage. Sagen wir es so: Ukrainische Volksmusik ist nicht unbedingt die humorvollste. Oft geht es um Verlust. Es gibt aber auch viele sehr lustige, zum Teil vulgäre Lieder. Manche sind einerseits lustig, aber auch makaber zugleich. Aber das ist nicht das, was wir vorrangig machen wollen. Ich möchte das generell auch nicht generalisieren – natürlich gibt es nicht nur traurige Stücke. Es gibt einfach eine riesengroße Bandbreite. Ein Teil der ukrainischen traditionellen Musik zählt sogar auch zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Alex: Für uns war die Frage besonders spannend: Wie können wir aus diesen zum Teil sehr lustigen, zum Teil aber auch sehr traurigen Liedern etwas Eigenes erschaffen? Dabei haben wir uns auch nicht unbedingt auf ein festes Genre festgelegt.

Wie entstehen eure Songs?

Alex: Das ist sehr unterschiedlich. Der Impuls für traditionelle Stücke kommt natürlich eher von Melanka. Sie kennt diese Lieder seit ihrer Kindheit. Meist bringt sie schon erste Ideen mit – für Akkorde, Melodieabwandlungen. Daraus entwickelt sich schnell etwas.
Melanka: Die Ideen der selbstgeschriebenen Lieder kommen meist von uns beiden. In der Hochphase von Corona zum Beispiel haben wir uns, ähnlich wie ein Sound-Tagebuch, kleine musikalische Ausschnitte, Texte und Melodien hin- und hergeschickt. Ich würde unser „Verfahren“ generell als dialogisch beschreiben.
Alex: Für die Albumtitel haben wir auch mehrere Anläufe gebraucht. Es war eine recht schwierige Zeit: Lockdowns, Ausgangssperren, persönliche Schwierigkeiten und wir beide an verschiedenen Orten. Wir haben immer wieder fast von vorn begonnen und einige Probeblöcke gebraucht, um wieder „reinzukommen“.

Melanka: Dabei arbeiten wir nicht mal besonders langsam. Es ist einfach so viel passiert in der Zwischenzeit. Es war wirklich ein Stop and Go. Das liegt vielleicht auch daran, dass es unser Debütalbum war und dass es wenige „Vorbilder“ für ein ukrainisches Diaspora-Projekt gab (Diaspora bezeichnet allgemein Personen, die sich mit einem „Heimatland“ identifizieren, in dem sie jedoch nicht leben, Anm. d. Red.).

Wir haben uns nicht bewusst dafür entschieden, ein eigenes Genre zu erschaffen, aber zum Teil ist es so gekommen. Wir haben uns ganz schön verrückt gemacht, aber das Ergebnis hat meine Erwartungen übertroffen.

Für die Albumproduktion habt ihr einige Gastmusiker*innen eingeladen.

Melanka: Ja, wir haben uns bewusst dazu entschieden, weitere Musiker*innen an Bord zu holen. Drei von ihnen waren vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen. Ich hatte die Frauen hier in Deutschland kennengelernt – bei Demonstrationen, Veranstaltungen …

Wir wollten die Lieder unbedingt als Live-Session aufnehmen. Dadurch bleibt die Musik lebendiger, wenn man es mal romantisch ausdrücken möchte. Zu 90 Prozent haben wir das auch so umgesetzt.

Alex: Der pragmatischere Grund war, dass wir in unserer Musik teilweise keinen einheitlichen Takt haben. Es wäre sehr schwierig geworden, mit Overdubbing (das „Übereinanderstapeln“ und Abmischen mehrerer Tonspuren, Anm. d. Red.) zu arbeiten.

Melanka: Wir hatten auch nur drei Tage Zeit, um mit allen zusammen zu proben. Zwei Tage vor den Aufnahmen haben wir damit begonnen, die Stücke in Noten zu übersetzen, weil wir gemerkt haben, dass wir nicht alles nur mit Worten erklären konnten.

Einen großen Teil der Arbeit im Vorfeld hat auch einfach die Organisation eingenommen. Wir haben für die Produktion eine Förderung der Initiative Musik erhalten. Ab dem Punkt mussten wir alles recht schnell planen. Da ging es natürlich auch um simple Dinge wie Schlafplätze für unsere Gäste, die Versorgung während der Aufnahmetag etc. Das hat viel Energie gezogen.

Alex: Es waren sehr intensive Tage. Auf einmal standen wir zu neunt im Proberaum, zum Teil haben wir alle nicht dieselbe Sprache gesprochen. Wir haben natürlich Druck verspürt, das alles in dieser kurzen Zeit „über die Bühne“ zu bekommen.

Melanka: Und am Ende lagen wir uns in den Armen, so war es wirklich. Ich gebe zu, ich neige zu Pessimismus. Ich arbeite daran, mir das abzugewöhnen, aber so ist es nun einmal. Aber ich habe ein Mittel gefunden, um dagegen anzugehen: Während der Probe- und Aufnahmezeit habe ich ein kleines Büchlein auf den Tisch gelegt. Ich habe einige dieser kleinen Hefte, damit ich mich später daran erinnere, dass auch schöne Dinge passiert sind.

In dem Büchlein jedenfalls haben alle Teammitglieder, auch unsere Fotografin und der Produzent, etwas eingetragen. Und als wir uns dieser ganzen Arbeit mit der Abwicklung des Förderungsantrags widmen mussten, habe ich dieses Buch wiedergefunden. Die Eintragungen sind herzergreifend. Auch ich habe an jedem Tag einen kleinen Rückblick hineingeschrieben und beim späteren Lesen dachte ich: Das muss eine der besten Zeiten meines Lebens gewesen sein (lacht).

Diese Menschen, die sich untereinander überhaupt nicht kannten, haben auf so beeindruckende Weise zusammengearbeitet. Am Ende eines jeden Tages waren wir alle so glücklich. Auch mit Philipp, unserem Produzenten, hatten wir so viel Glück. Ich glaube, niemand anderes hätte uns aufnehmen können. Er hat das verstanden, was wir machen, mag Sound-Experimente, hat tolle Visionen. Und er hatte viel Geduld. Wir sind sehr dankbar, dass er Lust hatte, „Moloch und Nadiya“ aufzunehmen.

Was hat es mit diesem Namen eigentlich auf sich? Dass es nicht einfach zwei Namen sind, wie man vielleicht vermuten könnte, habe ich inzwischen gemerkt  …

Melanka: Nein, es sind zwei Begriffe und keine zwei Namen. Auch keine Kunstfiguren. Eher ist es ein linguistisches oder thematisches Spiel. „Nadiya“ bedeutet „Hoffnung“ auf Ukrainisch. Und „Moloch“ ist ein Begriff, der mit Menschenopfern in Verbindung gebracht wird. Der Begriff wird auch in der Popkultur verwendet, um eine alleszerfressende Macht zu beschreiben, etwas was ständig und unerbittlich Opfer fordert.

So wird auch manchmal die Großstadt als Moloch bezeichnet. Und so verwenden wir ihn auch — metaphorisch. Tatsächlich denken, zumindest bei „Nadiya“, aber viele an einen Namen. Ich werde auch manchmal so angesprochen. Nur wundern sich dann immer alle, dass ich nicht reagiere.

Darf ich dir eine etwas persönlichere Frage stellen?
Melanka: Ja, bitte.

Du hast ukrainische Wurzeln. Viele Menschen mussten seit Beginn des Kriegs in der Ukraine ihre Heimat verlassen. Die Welt schaut auf das Land. Was bedeutet dir das, diese traditionelle Musik hier „leben“ zu lassen?
Melanka: Ehrlich gesagt – ich spiele diese Musik ja schon viel länger. Das kommt allein schon daher, weil auch meine Eltern immer viel gesungen und am Theater gespielt haben. Ich habe dann 2014 hier das erste Bandprojekt gegründet, in welchem wir ukrainische traditionelle Musik gespielt haben. Diese Richtung hat mich immer mehr interessiert – und ist bis heute spannend geblieben. Ich habe mir bisher die den Wunsch erfüllt, selbst ethnologische Feldforschung zu betreiben.

Aber ich war viel unterwegs in der Region. Die politischen Dimensionen haben bei uns zu Hause sowieso schon immer eine große Rolle gespielt. Es hat sich jetzt noch intensiviert. Der Krieg fing ja aber nicht erst im Februar letzten Jahres an. Da gab es die Annexion der Krim, mein Onkel war schon 2015 und 2016 Soldat in der Ukraine. Eigentlich ist es seit zehn Jahren dasselbe. Und deshalb mache ich auch weiter.

Stichwort „Weitermachen“ – welche Pläne haben „Moloch und Nadiya“ für die Zukunft?

Alex: Jetzt im kommenden Jahr wollen wir unbedingt ein bisschen von den Früchten kosten, die wir geerntet haben, sprich, wir wollen Konzerte spielen. Dieses Jahr war eine Zeit der Förderanträge, der Organisation, der Produktion. Es gab auch einige tolle Konzerte, zum Beispiel unser Release-Konzert im Mai in der Nato. Aber im nächsten Jahr wollen wir einfach mit der Vinyl-Platte im Gepäck mehr Gigs spielen, einfach Momente mit diesem Album erleben.

Ich ziehe zwar bald von Leipzig nach Wien, aber wir haben auch schon vorher remote an unserer Musik gearbeitet. Ich bin da sehr optimistisch. Und wenn es sich ergibt, wollen wir ab und zu auch gern Gäste mit auf die Bühne holen.

Melanka: Ich möchte weiterhin mit Alex an diesem Projekt feilen. Ich möchte weiterhin schöne Kunst erschaffen. Natürlich heißt das auch, die entsprechende Zeit dafür zu haben. Allerdings möchte ich uns dabei auch nicht unter Wert verkaufen. Es sollte sich die Waage halten. Ich möchte den Spaß daran nicht verlieren und für mich veränderbar bleiben können.

Alex: Ich gehe auch davon aus, dass es ein zweites Album geben wird. Das darf dann soundmäßig auch etwas ganz Anderes werden. Das ist das Schöne bei dem Projekt – dass so wenige Elemente einer Regel unterliegen.

Ein besonderer Dank geht an: Leila, Resi, Ulli, Gudrun, Ferda, Tobi, Kateryna, Tatjana, Khrystyna, Konny, Natalia & Igor Piroschik, Gabriele & Ralf Korus, Marc, Sebbl, Tien, Herr Lübke, Richard, Josie, Dennis, alle Proberaum-Mitglieder
Mehr Informationen gibt es hier und hier.

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