Heron, das sind Tino (Synthesizer) und Birthe (Gesang). Die beiden Wahl-Leipziger/-innen haben 2021 ihre kleine Band gegründet und in den letzten Monaten drei Songs ihres ersten Albums veröffentlicht. Laut ihrem Label O*RS bewegt sich ihre Musik „zwischen Dancefloor-Euphorie und introspektivem Hören“.

Eine komplizierte Beschreibung für tanzbaren 80er-Synthiewave mit ausdrucksstarkem Gesang. Wir haben mit den beiden über ihr Zusammenfinden, das neue Album und schwierige (Nach-)Coronazeiten geredet.

Hallo, möchtet ihr euch einmal vorstellen und sagen, was ihr vor eurer gemeinsamen Zeit als Band so Musikalisches gemacht habt?

Tino: Ich versuche, die Antwort mal zu komprimieren. Ich bin Tino und komme gebürtig aus Altenburg, bin 2008 nach Leipzig gezogen und habe hier Tontechnik studiert. Bin dann direkt nach dem Studium als Dozent dort eingestiegen, weil der alte Dozent dort aufgehört hat und mich gefragt hat, ob ich etwas in die Richtung Sounddesign, Arrangement, Remix, Produktion machen möchte.

Ich wollte es dann mal probieren und bin dabeigeblieben. Unterrichten macht sehr viel Spaß, aber ist nur meine Nebenbeschäftigung. Ich arbeite hauptberuflich bei der Telekom Media Holding und bin zuständig für die 360 Grad Radio-Dienstleistung. Die machen sozusagen vom Radiostudio bis zum Funkturm die komplette Abwicklung.

Ich war ziemlich vernarrt darin, irgendwie Musik beruflich zu machen und habe mir auch viele Lebenswege deswegen verbaut. Also viele Beziehungen sind in die Brüche gegangen. 2016 habe ich dann die Band Götterscheiße mit Martin Neuschulz zusammen gegründet und die bestand bis vor kurzem.

Birthe: Ich hatte auch schon einige Bands und Projekte, vielleicht nicht so umfangreich wie bei Tino. Aber ich habe, seit ich klein war, gesungen und auf der Bühne gestanden. Nachdem ich vor 12 Jahren nach Leipzig gekommen bin, habe ich erstmal eine Zeit lang nicht wirklich eigene Musik gemacht, hier und da andere Musiker/-innen bei ihren Projekten als Gastsängerin unterstützt, z. B. den Leipziger Rapper Jahmica, der jetzt David Novell heißt.

Für einen Sommer lang war ich als Backgroundsängerin mit der Band I Heart Sharks auf Tour. Das Ganze hat allerdings etwas holprig geendet. Kurz danach habe ich Tino getroffen, wir haben zuerst gemeinsam in verschiedenen Combos gespielt und 2020 als Duo richtig angefangen.

Und wie habt ihr beide dann zusammengefunden?

Tino: Birthe und ich haben uns im Seeblick kennengelernt.

Birthe: Genau, ich habe ein Jahr dort an der Bar gearbeitet, Tino war quasi Stammgast. An einem Abend blieb er mal nachts mit am Tresen sitzen, als ich Feierabend hatte. Und im Gespräch dann sind wir irgendwann auf die Musik gekommen.

Und wie läuft es als Duo?

Birthe: Ich glaube, jetzt ist es echt irgendwie DER Sound. Das ist das, womit ich mich wirklich 100 Prozent wohlfühle. Genau die Art Musik, die ich gerne machen will.

Tino: Ich hab auch eine schöne Anekdote dazu. Ich saß eines Tages bei meiner Freundin auf dem Bett und sie sang im Bad so vor sich hin: „Mir wächst ein graues Haar!“. Und das habe ich aufgenommen und das H aus Haar als Snippet in den Sampler geladen, hab ein bisschen rumgeschnitten, Instrumente drübergelegt und daraus ist was echt Cooles entstanden.

Das habe ich dann Birthe geschickt. Und es dauerte keine drei Stunden, da kriegte ich eine Sprachnachricht von ihr zurück. Sie fand die Instrumentals mega und hatte einfach mal spontan eine Melodie und Text drübergesungen. Ich war so begeistert, das war richtig cool. Das war die Geburtsstunde von Heron. Es hat einfach musikalisch perfekt gepasst, wir haben da einen sehr ähnlichen Geschmack.

Gibt es diesen Song noch?

Tino: Ja, er heißt „Hold my tongue“ und ist tatsächlich auf unserem Album.

Produziert ihr eure Songs immer so spontan und auch getrennt voneinander?

Tino: Wir haben das komplette Album in Birthes Küche aufgenommen. Wir haben dabei viel zusammen rumexperimentiert, auf einem Song sind im Hintergrund auch die Vögel vor dem Fenster zu hören. Also da fließt auch viel Spontaneität mit rein. Und wir entwickeln Instrumentals und den Gesang tatsächlich meistens getrennt, ja.

In der Küche aufgenommen … mangels Möglichkeiten und Tonstudios oder wolltet ihr das so?

Tino: Man muss sagen, es braucht einfach kein Tonstudio mehr. Wenn du mit gutem Equipment und guten Mikrofonen arbeitest und weißt, wie du damit intonieren musst, dann geht das hervorragend so. Und in einem Setting aufzunehmen, wo man sich wohlfühlt, ist auch irgendwie die halbe Miete, weil man dann auch viel mehr Seele transportieren kann.

Das Duo Heron. Foto: Julian Rödel
Das Duo Heron. Foto: Julian Rödel

Apropos transportieren. Birthe, du schreibst die Texte ja allein. Willst du mit deinen Worten eine bestimmte „Message“ transportieren?

Birthe: Ich bin da tatsächlich relativ unbedarft. Ich habe oft kein Interesse daran, mir lange zu überlegen, was genau ich mit den Texten rüberbringen will. Es ist eher ein Gefühl, das sich von selbst zu Worten formt. Ich habe meistens einen Beat, eine Melodie von Tino vor mir und fühle die. Zuerst singe ich darüber Kauderwelsch-Englisch, bis irgendwann richtige Wörter daraus entstehen, die keine Fantasiesprache mehr sind. Dann weiß ich, wo es hingehen soll und schreibe gezielt die Zeilen.

Tino: Ja, bei mir sind auch die Instrumentals eher ein Gefühlskanal als ein strikt durchdachtes Konzept. So ähnlich ist es bei Birthe mit ihren Texten glaube ich auch. Es ist das erste Projekt, was ich bisher in meinem Leben hatte, wo ich meine ganzen Emotionen und das, was ich so in mir trage, komplett reinhauen kann. Und Birthe trägt das mit ihrem Gesang immer so gut weiter und bringt es auf das nächste Level.

Das klingt alles sehr harmonisch bei euch.

Tino: Na ja, wir hatten auch schon weniger positive Zeiten zusammen.

Darf ich fragen, was nicht so gut lief?

Birthe: Es ging um die Impfdebatte während der Coronapandemie. Ich bin ja nicht geimpft und wollte das nie – aus diversen Gründen. Und für mich war das damals schon ein Scheißjahr, weil ich immer wieder damit konfrontiert wurde und immer wieder gemerkt habe, wie es mich in bestimmten Situationen ausgeschlossen hat. Gleichzeitig „durfte“ ich darüber nicht mal traurig sein und bekam oft gesagt, dass es meine eigene Schuld sei.

Und auch Tino hatte dann eine Zeit, in der er nicht mit mir auftreten oder zusammen Musik machen wollte. Ich konnte das auch verstehen. Es war damals von allen Seiten etwas undifferenzierter als heute. Aber zu der Zeit wurde einem halt schon viel vom Alltag genommen und dann auch noch die Sache, die ich liebe: Musik. Klingt rückblickend sehr dramatisch, war es aber damals für mich wirklich.

Tino: Ja, ich muss dazu auch noch ergänzen, dass ich während der Pandemie auch persönlich eine schwere Phase hatte. Ich habe dann Birthes Problem sofort zu meinem Problem gemacht, ohne erstmal zu akzeptieren, dass Dinge so sind wie sie sind und dann darüber zu kommunizieren. Ich bin damals einfach mit dem Brecheisen in diese Diskussion.

Man geht aus Lebenskrisen immer mit vielen Fragen heraus, an denen man arbeiten kann. Was ist eigentlich essenziell in deinem Leben, auf was möchtest du nicht verzichten, was ist ganz wichtig und wofür lohnt es sich wirklich zu kämpfen? Und warum macht man das eigentlich alles? Ich habe viel an mir gearbeitet und das hat auch Heron und unsere Freundschaft wieder gestärkt. Wir wissen jetzt auf jeden Fall, was wir aneinander haben.

Und daraus ist ja dann auch euer Album entstanden. Was könnt ihr darüber erzählen? Hattet ihr ein Konzept?

Tino: Das ist eine interessante Frage. Also ein richtiges Konzept dahinter gibt es eigentlich nicht. Zumindest kein richtiges Storytelling oder so. Stilistisch gibt es natürlich schon einen roten Faden. Das liegt aber auch daran, dass wir halt bestimmte Instrumente, Beats und so weiter mögen. Aber das Album ist breit aufgestellt, von Sachen mit mehr Drive wie „Together We Feel“ bis hin zu emotionaleren und langsameren Sachen wie „Under Pressure“.

Sind denn noch mehr Auskopplungen oder schon ein Release-Datum für das Album geplant?

Birthe: Tatsächlich ist wenig wirklich geplant bei uns. Das Album wird wahrscheinlich so gegen Ende März oder Anfang April fertig. Das Mastering ist gerade in den finalen Zügen. Vor kurzem haben wir unser erstes Musikvideo abgedreht. Aber wir haben schon Lust, Lieder rauszuhauen und sie vor allem auch wieder live zu spielen, zum Beispiel auf Festivals im Sommer. Aber das ist leider echt schwierig …

Warum das?  

Tino: Also letztes Jahr war es so, dass sich die Tickets für kleine Festivals einfach nicht gut verkauft haben. Ich weiß nicht genau, wie es gerade ist, aber ein bisschen Corona-Scare oder soziale Scheu ist halt immer noch da. Und bei größeren Festivals gibt es natürlich auch die großen Headliner und für die restlichen Plätze einen riesigen Bandstau. 200 Bewerbungen auf einen Slot. Alle wollen wieder spielen, das auf die Bühne bringen, was sie in den Coronajahren produziert haben.

Das wird sich vielleicht erst ab dem nächsten oder übernächsten Jahr wieder legen, dieser enorme Musiker/-innen-Andrang. Gerade sind wir über jeden Gig dankbar, den wir kriegen können. Die Gigs zu bekommen, ist das Schwierigste am Musiker/-innen-Dasein. Man braucht viel Geduld und einen langen Atem. Und manchmal auch Glück und gute Kontakte.

Aber ihr hattet ja letztes Jahr zum Glück schon ein paar Auftritte. Wie war das? Wie kam eure Musik an?

Birthe: Nur gutes Feedback, durch die Bank weg. Es war so schön, wie viele Leute gesagt haben, dass es sie voll abgeholt hat und dass es Spaß macht, uns zuzuschauen. Wir machen das beide auch einfach richtig, richtig gern.

Tino: Ja, da habe ich für Birthe auch noch eine kleine Überraschung quasi. Ich möchte, wenn wir wieder mehr auf der Bühne stehen können, neben den Synthies auch noch an der Gitarre stehen und live spielen. Ich spiele zwar Schlagzeug und Gitarre bei den Songaufnahmen selbst ein, aber live habe ich das noch nicht wieder gemacht. Ich glaube, das bringt nochmal eine coole Dynamik auf die Bühne.

Eine Frage noch: Wieso der Name „Heron“?

Birthe: Es ist das englische Wort für Graureiher. Wusste ich vorher auch nicht. Das ist mein Spirit-Animal. Ich gehe fast täglich immer sehr früh spazieren, noch vor Sonnenaufgang. Und jeden Tag sehe ich irgendwo auf meinem Weg einen Graureiher. Er ist für mich irgendwie zu so einem Symbol geworden, zu einer ständigen Begleitung, einem Freund.

Anmerkung: Birthe Kleemann ist Teil des Teams der „Leipziger Zeitung“.

Das Interview  mit Heron erschien erstmals am 24. Februar 2023 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 110 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops sowie bei diesen Szenehändlern.

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