„Wir müssen raus aus unserer Blase, ich glaube, das ist ganz wichtig. Es ist immer schön, wenn man sich mit den Kollegen austauscht und in einem wissenschaftlichen Diskurs verbleibt. Aber das wird uns nicht retten. Wir müssen raus aus unserer Wissenschaftsblase und wir müssen, regional die Leute ansprechen und versuchen, die zu Hause abzuholen. Diese ganz großen Würfe, die man immer versucht, die funktionieren meistens eben nicht.“
So sagte Katja Bühler auf dem Podium der öffentlichen Herbstsitzung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, am 12. Dezember 2025 in der Bibliotheca Albertina.
Warum stelle ich das an den Anfang des Artikels?
Akademie der Wissenschaft, das klingt verstaubt etwa wie: Alte weiße Professoren sitzen da und reden über Dinge, die nur wenige Akademiker interessieren. Ja, eben diese Wissenschaftsblase, darüber muss man doch nicht berichten.
Wie war das am 12. Dezember?
Beginnen wir mit dem Podium, da saßen zwei Professorinnen und zwei Professoren, der Altersschnitt war etwa 50 Jahre. Das ist in diesem Bereich kein hohes Alter. Einer dieser Professoren, Christian Wirth, Direktor des Botanischen Gartens der Universität Leipzig und Direktor de iDiv, hielt vorher einen Festvortrag. Das Thema war „Mit Biodiversität gegen den Klimawandel und seine Folgen“.
Die Podiumsdiskussion bestritt er dann gemeinsam mit Katja Bühler, Professorin für „Technologie produktiver Biofilme“ an der TU Dresden, Emese Domahidi, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der TU Ilmenau, und Martin Bertau, Direktor des Instituts für Technische Chemie der Bergakademie Freiberg. Zum Thema „Wissen und Wandel: Wie können Wissenschaft und Gesellschaft gemeinsam Probleme lösen?“ wurde unter der Moderation von Tanja Busse diskutiert.
Zwischenfazit: „Alte Professoren“ und „verstaubte Themen“ – Fehlanzeige.
Leider hatte sich die Akademie darauf verlassen, dass die Tonanlage am Veranstaltungsort zur Verfügung stand und die eigene nicht mitgebracht. So gab es Probleme mit den Mikrofonen und für mich keine Möglichkeit den Ton von der Anlage abzunehmen.
Das Video des Festvortrages habe ich mit „Adobe podcast“ verbessert, Veränderungen der Sprachfärbung waren dabei bedauerlicherweise unumgänglich. Ein Video der Diskussion steht leider nicht zur Verfügung, die Aufnahme des Raumtons ist nicht geeignet.
Hornmusik und Kant

Bevor es mit dem Festvortrag losging, gab es eine musikalische Einleitung, vier Studierende der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ spielten Stücke von Bizet, Mozart und Weber auf dem Horn. Der Präsident der Akademie, Prof. Dr. Hans-Joachim Knölker, eröffnete die Herbstsitzung und gab einen kurzen Einblick in die Arbeit der Akademie.
Es folgte die Verleihung des Nachwuchsförderpreises des Fördervereins der Akademie an Dr. Jens Pier, für seine Arbeit zu „Kants Selbstbewusstseinsgedanke als methodologischer Neuanstoß für die gegenwärtige Metaphysik.“ Der Philosoph war extra aus London angereist und hielt auch einen 10-minütigen, durchaus hörenswerten, Kurzvortrag zu dem Thema.
Mit einem Gedanken aus dem Vortrag gehe ich über zu dem Hauptteil:

„Die artikulierte Einheit des Denkens ist also ein Projekt, das wir von Kant empfangen haben. Ein solches Projekt ist, wie alle Teile der Geistesgeschichte, teils problembehaftet, teils ein Kind seiner Zeit, aber wie alle guten Ideen der Geistesgeschichte weist es jedoch über sich selbst und seine Entstehung hinaus. Und in den besten Momenten der Philosophie ist sie ein Beitrag zu unendlichen Aufgaben, die uns als Menschen aufgegeben ist, der Bestimmung des menschlichen Standortes in der Welt.“
Prof. Wirth zur Biodiversität
Christian Wirth teilte seinen Vortrag in drei Teile, zuerst beschäftigte er sich mit dem Einfluss des Klimawandels auf die biologische Vielfalt hat. Im zweiten Punkt führte er aus, dass biologische Vielfalt in der Lage ist, mindestens teilweise, den Klimawandel zu bremsen oder die Folgen abzumildern. Im dritten Teil ging es um die Anwendung dieser Kenntnisse.
Es war eine kurze, wenn auch 25-minütige, inhaltsreiche Zusammenfassung zum Thema, mit Zahlen, Fakten, Verweisen auf Veröffentlichungen und Beschreibungen von Versuchen. Wichtig erschienen mir die Ausführungen zur Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen. Beispielsweise, dass Artenreichtum in Wäldern die Produktivität erhöht, also gut für die Holzwirtschaft ist.
Aber auch die Möglichkeiten für neue Technologien in Land- und Waldwirtschaft, die zu innovativen und weltmarktfähigen Technologien führen können. Biodiversität ist keine Bremse für die Wirtschaft. Dieser Teil ist unter „Ökologische Intensivierung“ – Wirtschaften mit Biodiversität, im Video ab Minute 14 zu finden.
Die Podiumsdiskussion
Wie bringt man Wissenschaftsthemen in die Gesellschaft, wie wehrt man sich gegen Fake News im Wissenschaftsbereich, wie umgehen mit „Wissenschaftsskeptikern“, muss man soziale Medien generell kritisch betrachten oder soll man diese nutzen? Das und vieles andere mehr diskutierten die Teilnehmenden.
Tanja Busse stellte zu Beginn die Teilnehmenden vor und sprach auch gleich ein wichtiges Thema an. Sie fragte Katja Bühler: „Wie viel von dem, was Sie entwickelt haben, hilft denn jetzt Probleme zu lösen und wie viel bleibt in der Universität als eine schöne Möglichkeit?“

Die ernüchternde Antwort war:
„Ich muss leider sagen, das meiste bleibt in der Schublade. Es steht und fällt immer mit der ökonomischen Frage, ob man damit verdient, ja oder nein. Unser großes Problem ist, dass wir gegen etablierte Prozesse antreten, die bereits in der Chemieindustrie lange laufen.
Es ist immer für die Industrie ein großes Risiko, so etwas umzustellen und in dem Moment, wo das Endprodukt zwei Cent teurer sind als das, was etabliert ist, sind sie schon vom Tisch und in der Schublade. Das große Problem ist, dass die Bepreisung dieser Produkte nicht ganz ehrlich ist. Wir haben Produkte, die auf fossilen Rohstoffen basieren, die häufig nicht die ganzen Folgeschäden, die sie mit sich bringen, einpreisen. Das heißt, sie sind unterm Strich viel zu billig.“
Ein Beispiel, wie es funktionieren kann, zeigte Martin Bertau auf:
„Wir haben eine Ausgründung aus der Uni auf den Weg gebracht, die genau das macht und die betreibt die weltweit größte betriebliche Phosphat-Recyclinganlage. Deswegen die weltweit größte, weil es die einzige ist, die es gibt und die auch tatsächlich funktioniert.
Ich will damit zeigen, es geht tatsächlich. Es funktioniert, es geht, in den Unis liegt sehr viel in den Schubladen und es liegt tatsächlich nicht nur an der Politik, sondern auch an der Gesellschaft und der Industrie, solche Verfahren aus den Schubladen herauszuholen.“
Die Frage, wie sich die Einführung von Computern, von sozialen Medien, von Digitalisierung, vielleicht auch von KI, auf unser Kommunikationsverhalten auswirkt und was das alles bewirkt und ob das an der wahnsinnig schnellen Entwicklung liegt, richtete sich an Emese Domahidi.
Der Wandel, also die Digitalisierung und die sozialen Medien kamen ja gar nicht so schnell, führte sie aus.
„Wir haben vielleicht als Gesellschaft, salopp gesagt, verpennt darauf rechtzeitig zu reagieren und uns rechtzeitig damit zu beschäftigen. Wir haben viel geforscht zu politischer Kommunikation in Krisenseiten, zum Beispiel während der Covid-Krise und haben ein bisschen das Gefühl, dass wir es mit einer irrationalen Öffentlichkeit zu tun haben. Wir haben doch Lösungen, warum wollen wir die nicht umsetzen als Gesellschaft?
Warum gibt es Akteure und Akteurinnen, die da gar nicht mitmachen wollen? Dann sehen wir die politische Entwicklung, beispielsweise in den USA. Wir sehen, wie soziale Medien da genutzt werden. Wir sehen zum Beispiel, wie soziale Medien, wie Telegram, nicht von der breiten Bevölkerung genutzt werden, sondern wo sich Akteure speziell vernetzen, die gegen Lösungen sind, die wir als gesellschaftlich wünschenswert erachten.“

Christian Wirth sprach von einem reinen Umsetzungsproblem:
„Obwohl ich mir als Wissenschaftler gerne den Hut aufsetze und sage, wir haben noch ganz fürchterlich viele Wissensmücken und dafür brauchen wir ganz viele Fördermittel, um das alles herauszufinden, muss ich, wenn ich ganz ehrlich bin, sagen: Um die Probleme zu lösen, des Biodiversitätsschutzes beispielsweise, bei der Klimakrise, wissen wir genug. Wir könnten sofort und direkt anfangen und könnten in wenigen Jahren extrem viel erreichen. Da brauchte es eigentlich keine weitere Forschung dazu.“
Es verbietet sich von selbst eine einstündige Diskussion in einem Artikel vollumfänglich wiederzugeben. Es wurden viele Herausforderungen ausführlich aufgezeigt. Gegen Ende kam es, wie zu erwarten war, auf das Thema Wissenschaftsfeindlichkeit und Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit.
Dazu werde ich in einem weiteren Artikel ausführlich eingehen. Ein Zitat nur, welches zeigt wie sehr das Thema Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch hier beschäftigt.
„Ich gebe ehrlich zu, ich habe große Angst davor, das kann einfach wahnsinnig schnell kippen. Ich habe viel in Diktaturen gearbeitet, ich war in China, ich habe lange Jahre in Russland gearbeitet. Ich weiß, dass man mit den Menschen dort über die Wissenschaft, das Wetter, das Essen, die Familie reden kann.
Über bestimmte Dinge darf man auf gar keinen Fall reden, weil man auch nie weiß, wer mit am Tisch sitzt. Und ich merke jetzt an mir, dass meine Kommunikation mit meinen US-amerikanischen Kolleginnen und Kollegen in dieselbe Richtung geht. Dass ich mich bereits einer Selbstzensur unterziehe, weil ich Angst habe, dass ich diese Kollegen dort in irgendeiner Weise gefährde.
Das ist nicht überzogen, sondern tatsächlich real. Da entfaltet sich derzeit eine wirkliche Dystopie, das kann uns hier genauso passieren. Ich bin relativ fest davon überzeugt. Wir müssen einfach wachsam sein. Also immer schön kommunizieren, jawohl, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt muss man sich auch wehren können. Ich weiß nur nicht genau wie.“
Eine Idee, wie es klappen könnte
Am Ende der Diskussion äußerte Christian Wirth noch seine Idee, wie man die wissenschaftlichen Lösungen in die Gesellschaft einbringen könnte.
„Ich hätte gerne etwas Haptisches. Ich hätte gerne eine Art Nachhaltigkeits-Musterlandschaft. Mit glücklichen Menschen, die Geld verdienen. Wo eine Attraktions-Wirkung entfaltet wird, der man sich gar nicht entziehen kann. Sodass Leute wirklich neugierig werden und neidisch darauf werden und das bei sich zu Hause auch so haben wollen. So etwas müssten wir bauen.
Etwas, was den ästhetischen Wert einer Caspar-David-Friedrich-Landschaft hat, mit modernen Elementen, die dort zu sehen sind. Wo Busse mit Studierenden hinfahren, die dort Exkursionen machen, um sich dieses Beispiel anzuschauen.
Wo die Chinesen Leute hinschicken, um sich anzuschauen wie wir das hingekriegt haben. Wir müssen etwas auf den Tisch legen, was extrem hohe Qualität hat. Sowohl finanziell als auch ökosystemar als auch kulturell. Daran müssen wir bauen. Und dann alle möglichen Leute begeistern, da mitzumachen. Damit man sich dem nicht entziehen kann.“
Ob ein ökologischer Gegenentwurf zur konservativen Heidi-Sehnsuchtslandschaft die Lösung ist? Einen Versuch wäre es jedenfalls wert.
Ich habe, während sich die Teilnehmenden schon am Buffet labten, ein kurzes Gespräch mit Christian Wirth geführt.
Fazit: Es lohnt sich an den Veranstaltungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften teilzunehmen und darüber zu berichten. Sei es auch nur um diese Themen nicht nur auf den kleinen Kreis der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu beschränken.
Empfohlen auf LZ
So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:















Keine Kommentare bisher