Unterhaltsames Sommertheater in beschaulicher Botanik kann man erwarten, kriegt es aber nicht, wenn Theater-der-Jungen-Welt-Intendant Jürgen Zielinski für die "Panik in der Botank" Eintrittskarten verkaufen lässt. Egal, ob die universitären botanischen Gärtner gewusst haben, auf was sie sich einlassen, man muss ihnen dankbar sein, dass das so ablaufen kann.

“alles wächst!?” hatte das Theater der Jungen Welt die Saison 2012/2013 überschrieben und für die Spielzeit-Broschüre das Ensemble im Botanischen Garten fotografisch in Szene gesetzt.

Nun gibt es das Stück dazu – ein Stück in Stücken. Trommelwirbel donnert, Nebel wallen und wie Hagel kommt Plastikmüll vom Himmel gefallen auf die glotzenden Zuschauer… Und so musste es ja kommen, schärft ein lärmender Agitator der Versammlung ein, wenn die Leute weiter nur Müll machen…

Jürgen Zielinski, der Intendant, hat den Abend rund um wachsende Natur und Heranwachsen inszeniert, auch Politiker werden beim “Wirtschaftswachstum” zitiert.

Guerilla-Gärtner Edelweiß 23 und Fleischfressende Pflanze schreiten voran

Da haben die beiden Expeditionsgruppen mit jeweils 20 Teilnehmern aber schon einiges erlebt. Im Schmetterlingshaus waren sie selbst Gefangene und Zuschauer klopfen von draußen an die Scheiben. Zeitgenossen stritten sich um die Plätze auf den Gartenbänken. Im Gewächshaus wurde “das frische Grün” besungen. Edelweiß 23, der Guerilla-Gärtner, mit Moos im Hemd und Kresse auf der Schulter, und die fleischfressende Pflanze Lola Blau führen jeweils ein Expeditionsteam an. Wenn Edelweiß 23 selbst Angst hat, schreit er sich durchs Megaphon Mut zu…

Ein Psychologe betreut einfühlsam hochsensible Pflanzen, ein Vegetarier vermag im Mangrovenhaus übers Wasser zu gehen, seine Ernte zu verzehren und berichtet einer Sängerin von seinen Freuden und Leiden. Ein Archäologe gräbt Gartenzwerge aus und überlebt das Interview mit einer Reporterin nicht. Parkbesucher streiten sich um Gartenbänke. Zur Abschluss-Show erscheint ein Überraschungsgast zum Interview bei einer reizenden Moderatorin. Es ist der wortkarge und ritterlich-scheue Parsifal. Mehr Krach macht da ein bierseliger vermeintlicher Störenfried.

80 Leute sind im Einsatz, zu den Schauspielern gesellen sich Jugend- und Studentenclubs des Theaters, Chor, Musiker und das Mehrgenerationentheater. Alles in allem kostet dieses Outdoor-Tropical-Survival-Adventure-Trekking ganze 17, ermäßigt 11 Euro. Unschlagbar günstig! Sogar etwas Nahrung wird gereicht!
Botanisches Bildungstheater

Kräfte der Natur an sich musste und wollte der Abend nicht zeigen, die hatten gerade in natura draußen verrückt gespielt, Menschen und Material heftigen Dschungelprüfungen unterzogen.

Unverhohlen und unverkrampft belehrt der Pädagoge Jürgen Zielinski sein Publikum, subtil und durch die Blume – in diesem Falle die Handpuppe einer fleischfressenden Pflanze mit ihrer Spielerin samt allen Kollegen. War es in früheren Jahrhunderten einmal das anatomische Theater, das den Neugierigen Kurzweil und Wissen bot, geht es jetzt sozusagen beim botanischen Bildungstheater wieder einmal zurück zur Natur.

Da werden Pflanzen psychologisch betreut und abgeschirmt, Menschenkinder toben sich aneinander aus, man erfährt etwas von Kunst und Politik der Spezies Gartenzwerg – was ein Archäologe allerdings nicht überlebt. Absurd? Abstrus? – Nein, einfach gut dosiert und in kleinen Szenen schön gespielt. Schauspielereien eben, der Begriff “kabarettistisch” blüht darin auf…

Solche dramatische Heimatkunde brachte dem Theater der Jungen Welt schon bei mehreren Mit-Wander-Aufführungen Erfolge und begeisterte Zuschauer. Bei zwei Bootsfahrt-Stücken wurden sagenhafte Geschichten des Karl-Heine-Kanals erzählt und beim Geocaching Leipzigs Wilder Westen vermessen und kartiert…

Aus dem Theaterhaus am Lindenauer Markt verlautete, dass es nächstes Jahr wieder ein Sommertheater außer Haus geben soll, voraussichtlich im Waldstraßenviertel.
Nach dem Wachstum kommt die Suche…

Für den Botanischen Garten ist die “Panik in der Botanik” ein Gewinn. Schon deshalb, weil sogenannte alte Leipziger mal wieder in den Garten gelockt werden. Und an den unterschiedlichen Generationen im Publikum dürften alle Macher ihren Spaß haben.

Nach der Spielzeit “Alles wächst” kommt in der nächsten Saison 2013/2014 die “Suche”. Hat der Intendant derzeit Sorgen: “Es ist weniger das eigene Ensemble, als die Lage rundum”, bekennt Jürgen Zielinski, “ich war bei der Intendantenkonferenz des Deutschen Bühnenvereins und wir haben neue Resolutionen gestartet. In den letzten Jahren sind 6.000 Schauspieler aus ihren Engagements entlassen worden. Und gegen die schleichende Schließung des Thalia-Theaters in Halle/Saale habe ich schon mehrfach aufbegehrt!”

Gespräche auf der Rasenbank am Frühbeet:


Gibt es Dschungelprüfungen?

Antwort 1 – Regisseur Jürgen Zielinski: “Wenn man an Probentagen nach 12 Stunden Arbeit im Botanischen Garten nach Hause kommt, dann juckt und kribbelt es hier und dort, das ist die Nähe zur Natur!”

Antwort 2 – Schauspieler Reinhart Reimann:

Theaterbesucher müssen vor dem Dschungelcamp keine Angst haben. Prüfung ist doch immer! Aber es gibt keine Verletzten. Nur Sieger! Es gibt nur friedliche Pflanzen und glückliche Menschen.

Vorstellungen der “Panik in der Botanik” gibt es noch dieses und nächstes Wochenende von Freitag bis Sonntag jeweils um 18:00 Uhr und 19:30 Uhr.

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