Eine Berghütte aus blanken Bohlen ist zu sehen, Wasser wird in die Tonne gegossen, einer legt sich schlafen. Dann kommen die Urlauber. Ein Ehepaar, dazu ihre Schwester, so wandern sie hinauf auf 450 Meter Höhe, Abgeschiedenheit erwartend, Natur und Ruhe haben sie gebucht. Er ging schon beim Aufstieg verloren und kommt doch an.

“Hatten wir telefoniert?” – “Ja.” Der Hüttenwirt zeigt die Baude, erzählt aus seinem Leben, Denken und Fantasieren. Versucht noch, die eine zu küssen. Dann macht er sich davon.

Statt Natur auf der Alm – barocke Musik

Das Spiel nimmt seinen Lauf. Und wird gebremst, entschleunigt. Acht Musiker singen und musizieren dazwischen – für die Figuren unbemerkbar. In die Gemengelage von heute quirlt sich musikalisches Erbe: komponiert von Claudio Monteverdi und Zeitgenossen, in Gesang, Laute, Orgel und Cembalo sauber dargeboten. Zunächst außerhalb der Szene, mischen sich die Musiker, rücken ihr Cembalo mitten in die Berghütte, denken und fühlen, aber sprechen nicht mit den Angereisten. Musik liefert ihre Schwingungen, pendelt sich mit dem darstellerischen Spiel zusammen, bis sie den Rhythmus vorgibt. Oder man schrammt aneinander vorbei. Aus den Menschen sprudeln die Gedanken und unverarbeiteten Aufgaben der Lebensberater: Was motiviert mich? Das Annehmen- oder das Wegschieben-Wollen?

Kommunikation im Funkloch

Funkloch hier oben! Uhren kommen mit samt Geld und scheinbaren Wertsachen ins Körbchen. Trinkwasser ist rar, wird gefiltert. Hier geht’s ums Aushalten.

Denn die drei Ankömmlinge entblößen sich bald von allein, verbal und auch körperlich. Es liegt kein nächster Termin an, keinen gestapelten Papierkram, weder Telefon noch Nachrichten. Einfach nur Tag und Nacht. Doch die Menschen sind zugeschüttet mit fremden Weisheiten der Selbstbestimmung und Selbstoptimierung, kauen in großen Worten übergeholfene Schlaubergersprüche nach. Sie sind unfähig, auch nur sich selbst ernst zu nehmen. Sie haben sich den gesunden Menschenverstand längst verloren. Erst wurde ihnen das Herz schwer, dann war die Ruhe hin…

Von Betroffenheits-Interviews zum Drama

Aus Basel kamen die Ensembles CapriConnection und die Schola Cantorum Basiliensis in die Schaubühne Lindenfels. Seine Uraufführung erlebte der als Musiktheater deklarierte Abend erst im Februar 2013 in der Reithalle der alten Kaserne in Basel.
Laut Programmheft bezieht man sich auf dokumentarisches Recherche- und Material aus Interviews mit Zeitgenossen. Und zitiert Texte zur Lebenskunst von Epikur über Michel de Montaigne bis zu Michel Foucault und Dirk Baecker.

Na ja, irgendwann hat immer schon jemand etwas zum Thema gesagt, dass wir gerade bearbeiten. Früher haben Dramatiker so was in eine Rahmenhandlung ganz persönlich hinein erfunden. Ob sie nun Bertolt Brecht, Volker Braun, Peter Hacks, Rudi Strahl oder Frank Wedekind hießen. Und die Berge? War da nicht ein Text von W. I. Lenin “Über das Besteigen hoher Berge”?

Heute wird das Theater eben Forschungsprojektergebnis, wissenschaftlich korrekt zwischen Selbsthilfegruppe, Therapie, eigentlich auch noch Statistik und szenischer Darstellung an einem anderen, neutralen, beziehungsreichen Ort.

Morbider Charme der Schaubühne darf mitspielen, Säulen schimmern in blauem Licht, wirken wie Bäume und werden schnell mit einbezogen ins Zueinanderhin, Voneinanderweg.

Letzlich geleiten die Musiker die Schauspieler hinaus, vom Berg hinab, und entlassen sie in ihre Welt. Vermutlich führt der scheinbare Aussteiger, gar Eremit, und Hüttenwirt nebenbei ein anderes Leben, mit Telefon und ohne Funkloch.

Schweigsame Betroffenheit im Publikum am ersten Gastspielabend, nur wenige kicherten sich ab und an Wiedererkennungseffekte von der Seele, dann gab es lange Applaus. Erinnerung kommt auf, dass schon mal die Leipziger Theatertruppe “3 nach 12” Episoden aus dem Mythos von Tristan und Isolde von einem Männerchor kommentieren ließ.

www.euro-scene.de

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