Er werde Wagner singen! So hatte es Jochen Kowalski angekündigt auf seiner Leipziger Buchmesse-Veranstaltung. In einem ganz speziellen "Lohengrin" werde er, und nur, singen, dazu sein Stamm-Salonorchester "Unter'n Linden". - Nun war es soweit, im Berliner Ensemble wagnerte Kowalski!

“Das BE feiert 100 Jahre George Tabori – sehen wir also Wagner heute durch die Brille von Tabori!”, begrüßte Jochen Kowalski das ausverkaufte Haus, und schob sich seine Brille auf der Nase zurecht. Ganz vorn an der Rampe, drei Schritte Bewegungsfreiheit, rundum die neun Musiker des Salonorchesters “Unter’n Linden” der Staatsoper Berlin samt Uwe Hilprecht, dem langjährigen Musikchef des Deutschen Theaters, der vom Flügel aus dirigierte, was er vorab ideenreich und witzig arrangiert hatte.

Statt einer Lesung gab es in Leipzigs Opern-Konzertfoyer zur Buchmesse einen munteren Plausch mit der Autorin, die Jochen Kowalski zu einem buchlangen Interview angestiftet hatte. Jochen Kowalski schwärmte von Leipziger Opern-Zeiten als Besucher, er sah und hörte auch den “Ring des Nibelungen” und Sigrid Kehl als famoser Brünnhilde, so als wäre es gestern gewesen.

Kowalskis “Goldene Note”

Im DDR-Fernsehen habe er bei zwei Sendungen Sternstunden erlebt, sinnierte Kowalski, und man ahnte mindestens die erste Position, bei alten Montagsabendfilmen mit rührenden Sängerkarrieren und -auftritten und es gab “Die goldene Note”. Fernsehansagerin Erika Radke moderierte da auf der Staatsopernbühne, edel, maniriert, eine sprechende Diva. Unvergesslich. Wie Theo Adams “Theo Adam lädt ein”.

Anders Jochen Kowalski, der kommt raus und schwatzt, nur der Blick aufs Wort- und Notenblatt verrät, dass die ganze Leichtigkeit zäh trainiert ist. An Charme ist er Frau Radke und Herrn Adam nicht unterlegen, seinen ironischen Seitenblick auf die Werke und ihre Schöpfer hatten die beiden alten Moderatoren aber nicht.

Er fasst sich kurz, konzentriert, pointiert. Und erzählt aus der Sicht jenes Schülers und Fleischermeistersohnes aus Nauen, der für das Abholen der Theaterkarten zuständig war. Und später saß er als Requisiteur in der Gasse der Staatsoper und verfolgte Proben. Jahre und Gesangsstunden vergingen, Jochen Kowalski erstürmte die Bühnen und Kirchenemporen. Was war das damals für eine Überraschung, als Thomaskantor Joachim Rotzsch in der “Matthäus-Passion” statt dem Alt einen Altus dirigierte. Unvergessbarer Kowalski. Schon zu DDR-Zeiten durfte er reisen, ein Weltstar aus der DDR werden. Doch um ihn auf den Weltbühnen geht es an diesem Abend fast gar nicht, sondern die Opernfiguren!

Pierrot sucht Lohengrin

Bei der jüngsten Premiere ist aber zuerst von Pierrot zu reden! Max Kowalski (1882-1956) komponierte 1912 eine Auswahl von zwölf Texten aus dem Gedichtzyklus “Pierre Lunaire” von Albert Giraud in der Übersetzung von Otto Erich Hartleben.
Arnold Schönberg vertonte allerdings ebenso Texte aus dem Zyklus, zum Teil dieselben. Und die wurden weltberühmt. Kowalskis Melodien, und es wird dazu gesagt, dass dieser Kowalski verwandtschaftlich nichts mit jenem Sänger zu tun hat, sollen auch oft interpretiert worden sein, gerieten aber in Vergessenheit.

Auf dem Flohmarkt habe ein Händler den Jochen angesprochen und Neugier geweckt – und Jochen kaufte zum Glück. Uwe Hilprecht, Musikdirektor des Programms hatte die Kompositionen arrangiert, wie auch Victor Holländers “Sumurun” zum Auftakt unter dem Titel “Pierrot sucht Lohengrin oder Nie sollst du mich befragen”.

So gab es nun im ersten Teil des Abends die Lieder Pierrots mit vielsagenden Titeln wie “Gebet an Pierrot” oder “Raub”, daselbst befinden wir uns in gruseligen Grabgewölben, und das bei 30 Grad Celsius Außentemperatur. (Wohl und Schauer dem, der am Nachmittag des Tages in Berlins DUNGEON klimatisierte Luft geatmet und in der nachgebauten Hohenzollerngruft Spuk, Grusel, wehende Schleier und eine weiße Frau lebendig gesehen hat.) Dann sind da noch “Die Estrade”, “Der Dandy”, und andere wie “Der Mondfleck” oder “Colombine”, “Nordpolfahrt” etc. autogenes Training, wenn Jochen Kowalski daraus kleine Opern macht, wie Filmschnipsel, Ausschnitte aus Mehr. Als Bühnenbild gibt’s nur ein paar Nachthimmelsternchenimitationen und einen falschen Mond. Mehr ist nicht nötig.

Kowalski meets Loriot meets Wagner

Und nach der Theaterpause und Carl Maria von Webers Klarinettenquintett handelt Jochen Kowalski den ganzen “Lohengrin” in einer Konzert-Halbzeit ab! Man muss keine Vorkenntnisse haben. Und hat man sie, wird man nichts Bedeutsames aus Wagners Handlung vermissen.

Fast wie im Stile Loriots und seinen für das Nationaltheater Mannheim erfundenen Erklärungen zum “Ring des Nibelungen” erzählt und beschreibt nun Jochen Kowalski allerdings auch sein Leben mit Wagnern: ausgerechnet der “Lohengrin” hatte ihm aus dem Theatererlebnis einen Berufswunsch werden lassen. Und so kam es dann auch. Ohne Schwan und Zauberei. Kowalski stellt es aus, wenn da jemand eine Frau beschimpft, gar als eine Genossin! Da jauchzt man dann auch im Publikum und schämt sich nicht, angeheitert oder schwer beeindruckt zu reagieren oder beides.

Ja, man meint, vieles von “Lohengrin” auch nach mehrmaligem Durchsitzen in Bayreuth, Berlin und Leipzig offensichtlich nicht verstanden zu haben. Wunderbar LORIOTisch! Und dazu auch noch gesungen! Loriot kannte zwar Wagner-Werke, konnte aber selbst keine Noten lesen und verzichtete auf Gesang.

Wagner-Rap

Wie nun erzählt und in diversen Stimmlagen und Stimmungen gesungen und erklärt wurde, war atemberaubend! Die Mädels bekamen Kowalskis Countertenor-Stimme, die Herren, wenn erforderlich, je nach Macht und Bedeutung die Männer-Töne. Als das Schlagzeug loswummert, will das der Sänger gerade noch unterbinden, schwingt aber mit ein und schon wird die “Gralserzählung” zum Rap, in den dann und wann das Orchester ein paar Töne aus den Leitmotiven hineinbringt …

Und fällt Jochen Kowalski mal der Name eines alten Uraufführungs-Kinos nicht ein, dann ruft ihn jemand nach vorn. Kowalski denkt kurz hin und her und sagt dann im Pankower Berlinerisch: “Ach is det schön!”

Wie großartig man mit kleiner Besetzung Wagners großes Musiktheater in kleiner Besetzung in Café-Garten-Atmosphäre spielen kann, hat Uri Canes Ensemble auf CD bewiesen. Jazzigen Wagner gab es auch in Leipzig schon mit Stephan König und Lora Costina, David Timm als Wagner-Forscher und Vollblut-Orgel-Jazzer nicht zu vergessen.

Wenn Leipzigs Oper rund um Wagners RING Marlene Jaschke von ihren Missverständnissen plaudern ließ, in der Musikalischen Komödie die Bayreuther Wagner-für-Kinder-Fassung des “RINGS” läuft und auch noch ein hanebüchenes Musical mit nachgeahmten Teilen aus der Handlung und neu geschaffener Musik, dann würde Kowalskis Salon-Wagner hier auch hin passen. Nach Bad Lauchstädt sowieso.

Vor 20 Jahren bestritt Jochen Kowalski mit einem Pianisten und einem Moderator einen Gala-Abend im großen Saal der Oper Leipzig quer durch sein Repertoire von Händels Giustino bis ins Caféhaus und “Roter Mohn”… Freilich in seiner Gesangs-Stimmlage – Countertenor. In der DDR nannte man es Altus, weil Kowalski hier eben was neues war… Und mit ihm verwischten sich Grenzen von “u” und “e”. Moderator Klaus Geitel historisierte damals in der Kastraten-Musikgeschichte herum. (Und er verwies darauf, dass im Kriminalfilm die Täter ja nicht auch wirklich Kriminelle sind.)

Kowalski Start-up

Jochen Kowalskis “Lohengrin” ist vermutlich sogar als Stückeinführung gut geeignet, besser jedenfalls als sogenannte “nicht werkbezogenen sondern inszenierungsbezogenen” Gebrauchsanweisungen der Sorte: “Es war ein Einfall des Regisseurs, dass wir zu Beginn des Aktes Figur X bereits oben im Fenster sehen, obwohl er erst im nächsten Akt auftritt.”

Beginnt nun für den 60-jährigen Jochen Kowalski noch eine neue Karriere? Sollen doch mal die Wagnerianer und Opernfreunde zeigen, dass sie auch Spaß verstehen!

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar