Tickets gibt’s wie immer im Vorverkauf. Besucherzahl begrenzt. Sitzgelegenheiten sind nicht zu erwarten. Aber Interesse und Neugier sind groß. Wie sonst Stücktitel tauchen im Spielplan der Oper Leipzig diese Begriffe auf: Hausführung, Nachtführung, Familienführung.

Treffpunkt ist am Bühneneingang in der Goethestraße, so als wäre man nicht Zuschauer, sondern würde an diesem Tag selbst zu den Akteuren auf oder hinter der Bühne zählen. An Arbeitsschutzbelehrungen kommt man da nicht vorbei, macht Dr. Heidi Zippel schon bei der Begrüßung deutlich, sie ist in der Dramaturgie zuständig für Kinder- und Familienvorstellungen und heute die Reiseleiterin bei einer Tour durchs Opernhaus. Es geht pünktlich los: „In diesem Haus kann man sich sehr schnell verlaufen. Und dann sind wir auch gleich in den Katakomben dieses Hauses verschwunden.“ – Katakomben? Das sind doch Orte, wo man „Leichen im Keller“ hat. Als geübter Opernbesucher weiß man, auf der Bühne ist mit allem zu rechnen, aber im Keller?

Man solle vorsichtig sein, sich nicht stoßen, Stöckelschuhträgerinnen seien vor Gitterrosten gewarnt, nirgends solle man sich über Brüstungen lehnen, „Wo ich stehe und gehe, da sind Sie sicher!“, tröstet Heidi Zippel.

Theaterleute kennen nur eine Angst: Feuer!

Heidi Zippel sagt, es sei eines der größten Theater Europas. Und dieses Haus ist größer, als man es sich vorstellt, wenn man es von außen sieht. Man glaubt es, wenn man nach den folgenden knapp 120 Minuten längst noch nicht alle Räume dieses Hauses erahnen kann. „Das einzige, wovor Theaterleute Angst haben, ist Feuer! Deshalb gibt es zwei Häuser“, erklärt Heidi Zippel, „ein Bühnenhaus und ein Vorderhaus. Beide sind durch eine Brandmauer getrennt. Einzige Verbindung ist die Bühne. Der Eiserne Vorhang hat dem Leipziger Opernhaus sogar bei einem Brand das Leben gerettet.“

Bei dieser Reise durch die Welt hinter den Kulissen geht es zuerst hinab in ein Technisches Kabinett. Da haben eifrige Sammler Dinge aufbewahrt, die woanders ausrangiert wurden. 1960 wurde Leipzigs Opernhaus gebaut, da wo schon früher ein Opernhaus stand, damals das Neue Theater genannt. „Schauen Sie auf die Tafel ‚Neues Theater’“!

Im Technischen Kabinett sind ausrangierte Scheinwerfer versammelt, hier wird vorgeführt, wie von 1900 bis etwa 1990 Beleuchtung ein- und ausgeschaltet wurde.  Foto: Karsten Pietsch
Im Technischen Kabinett sind ausrangierte Scheinwerfer versammelt, hier wird vorgeführt, wie von 1900 bis etwa 1990 Beleuchtung ein- und ausgeschaltet wurde. Foto: Karsten Pietsch

Es gibt eine Ahnenreihe von Beleuchtungskörpern aus Leipzig und von anderswo her, den Beschriftungen nach sogar aus dem Bayreuther Festspielhaus. Und ein riesiges Gerät steht da mit Drähten, Rollen, Gewichten, Walzen, und Kurbeln, so wie von etwa 1900 bis 1990 Bühnen beleuchtet worden sind: „Ein Schatz dieses Hauses, eines der letzten Stellwerke das funktioniert!“, mit den Worten führt es Heidi Zippel auch schon vor, Licht an, heller, dunkler, aus. Ein- oder sogar zwei Lichtstimmungen konnten „gefahren“ werden. Klick, klack. Licht aus. Anderes Licht an. – Es fährt offensichtlich noch immer. Rein museal. Heute wird anders geleuchtet. Und Heidi Zippel erklärt alle Technik und Umbauarbeiten am Beispiel des Repertoiretheaters Oper Leipzig, an dem gerade Freitag-Sonnabend-Sonntag jeweils drei unterschiedliche Verdi-Opern auf dem Spielplan stehen.

Unter die Unterbühne

So lagern auch die Bühnendekorationen in der Zufahrtsstraße unter dem Opernhaus. Eine Art Passage zwischen Goethestraße und Georgiring, die aber nur für Opernmitarbeiter und LKWs zugänglich ist. Nach der Vorstellung zieht alles wieder ins Lager um. „Acht Meter ist das Maß aller Dinge!“, Heidi Zippel drückt an der Wand auf einen Knopf, und eine Aufzugstür öffnet sich: genau acht Meter hoch.

„Wir sind hier unter der Unterbühne“, gibt Heidi Zippel zur Orientierung an. Wir blicken in die Drehbühne hinein, hinunter auf die Schienen und Motoren, und hinauf zu den Versenkungen, in denen offensichtlich viel verschwinden kann. „Es sind Doppelstock-Hubpodien, wir können 4,50 Meter über die Bühne oder unter die Bühne fahren“, wird mitgeteilt, und man hat Bedenken, dass die Begriffe und Zahlen alle noch einmal abgefragt werden könnten … Klar, alle die hier arbeiten, müssen es wissen.

Genau hier wurde, nach über 50 Jahren Betriebsdauer, vom letzten Sommer an bis in den Herbst gebaut, so dass die Oper sogar als Ausweichspielstätte ein Varietézelt auf dem  Augustusplatz aufstellte. Unterbühnenmaschinerie – das muss also das Labyrinth aus Stahl sein, wo wir gerade mittendrin stehen wie Gefangene im Käfig – Schienen und die Orchestergraben-Versenkung mussten erneuert werden.

Postseite, Damenseite und Staatsratsvorsitzenden-Loge

Über unzählige Treppen geht es hinauf und später wieder hinab, durch den Zuschauerraum und durch die Beleuchtungszentrale ins Foyer, über die Hauptbühne und den Ballettsaal zur Probebühne. Man lernt, dass es zur sicheren Orientierung eine „Stadtseite“ und eine „Postseite“ gibt, und auf den Garderobenetagen eine „Damenseite“ und eine „Herrenseite“. Zweigeteilt auch die Logen im Zuschauerraum. Auf der Stadtseite schufen Architekten die Loge des Staatsratsvorsitzenden, auf der Postseite die des Intendanten. Aber da müssen wir heute nicht auch noch hin. „Man sieht von da oben nicht wirklich gut und alles“, gibt Heidi Zippel als Insidertipp, „man wird nur von allen gut gesehen, was ja auch so bezweckt war.“

Hier wird erklärt, wie eine Perücke entsteht und wie sonst auf der Bühne gezaubert wird. Foto: Karsten Pietsch
Hier wird erklärt, wie eine Perücke entsteht und wie sonst auf der Bühne gezaubert wird. Foto: Karsten Pietsch

In Leipzigs größtem Kleiderschrank könnte man sich lange umgucken, aber da ist zwischen all den Kostümen kaum ein Durchkommen. So breit wie das Konzertfoyer ist, so groß scheint dieses Lager zu sein. 8.000 Kostüme hängen hier auf langen Garderobenstangen, allesamt aus den Stücken des Repertoires. Sortiert nach den Stücktiteln und – das muss man ja erst mal planen – nach den Garderoben, wohin sie vor der Vorstellung gebracht werden.

Als Preziose aus Leipzigs Operngeschichte hängt der Mantel Boris Godunows anno 1993 da, an dem man sich nicht satt sehen kann, gerade weil aller Schmuck und Putz so gebaut wurde, dass er in die Ferne des Zuschauerraums wirkt.

„Es ist alles in Ordnung, so lange alle gesund sind“, merkt Heidi Zippel an, „Wenn bei einer Krankheitsmeldung Zeit ist, einen Ersatz zu finden, ist es gut. Aber welches Kostüm hat er dann an, dass auch zur Inszenierung passt?“

Zauberei, von Menschen gemacht

Heidi Zippel erklärt bei aller Ausstattung von Bühne und Kostümen und Technik, worin die  Arbeit hier besteht: „Das Geheimnis des Theaters ist Zauberei, die von Menschen gemacht wird. Alles ist geplant. Und wenn dann noch bei ‚Hänsel und Gretel’ ein kleiner Steppke etwas sieht und warnt: „Da kommt die Hexe!’ dann scheint es, als ob die Bühne fliegt!“

Sogar die Lampen im Parkettfoyer in Form von Pusteblumen erzählen aus ihrem Leben, erfährt man. Da staunen selbst Leute, die schon oft in Leipzigs Opernhaus waren und hier vieles gesehen haben, aber eben das noch nicht. Und so wird es auch jetzt nicht verraten.

Pusteblumen „wachsen“ seit 1960 durch die Foyers und Treppenhäuser des Leipziger Opernhauses. Foto: Karsten Pietsch
Pusteblumen „wachsen“ seit 1960 durch die Foyers und Treppenhäuser des Leipziger Opernhauses. Foto: Karsten Pietsch

Eine unverhoffte Theatervorstellung, immerhin auch knapp zwei Stunden lang. Man weiß dann mehr davon, was alles nötig ist, damit der Vorhang aufgehen kann. Und doch war es auch ein Theaterstück für ein Opernhaus und eine Darstellerin. So wie man sich vorstellt, dass eine Prinzipalin ihren Betrieb erklärt, genauer gesagt, wer da wofür zuständig ist. Im Ballettsaal, in dem gerade einmal nicht trainiert wird, holt Heidi Zippel aus ihrer Umhängetasche ein Paar Damen-Ballettschuhe und erzählt von den „festangestellten Leistungssportlern“ des Leipziger Balletts.

Bei aller Planung und Technik ist immer von Menschen die Rede, die sie bedienen, und wenn es um die Beleuchtung geht sagt sie: „Da hilft der Kollege Computer.“ Starker Schlussapplaus für die Theater-Begeisterung vorlebende Heidi Zippel von der 20-köpfigen Besuchergruppe. Auf Wiedersehen in Zuschauerräumen der Oper Leipzig!

Und mit einem Ticket zur „Opern-Haus-Führung“ kann man getrost jemanden ins Theater locken, der sonst noch vor langen Opern zurückschrecken möchte…

Meinungen:

Ein Ehepaar aus Lützen, das die Tickets zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte: „Wir fanden es gut. Mal ganz was anderes. Man muss auch mal hinter die Kulissen schauen können. Unsere Kinder haben uns das zu Weihnachten geschenkt, uns heute hierher gefahren, und nun machen wir uns einen schönen Tag. Wir waren auch schon oft in der Oper, zuletzt haben wir die ‚Zauberflöte’ gesehen.“

„Bühnenumbau geblitzt!“: Archivfoto von einer Probe zu Richard Wagners „Feen“. Hubpodium und Drehbühne sind in Fahrt. Aus dem Schnürboden fliegt das nächste Bühnenbild ein. Wie diese Maschinerie von unten aussieht, kann man bei einer Opernhaus-Führung besichtigen. Foto: Karsten Pietsch
„Bühnenumbau geblitzt!“: Archivfoto von einer Probe zu Richard Wagners „Feen“. Hubpodium und Drehbühne sind in Fahrt. Aus dem Schnürboden fliegt das nächste Bühnenbild ein. Wie diese Maschinerie von unten aussieht, kann man bei einer Opernhaus-Führung besichtigen.
Foto: Karsten Pietsch

Zwei Leipziger Seniorinnen: „Oh ja, früher waren wir oft im Theater, jetzt im Alter nicht mehr so.“

Ein Leipziger: (Begeistert lachend) „Die Geschichte von den Pusteblumen kannte ich nicht…“

Eine Hamburger Familie, deren Sohn in Leipzig studiert, kam am Geburtstag der Mutter ins Opernhaus: „Wir kennen die Oper schon aus Aufführungen, „Rachmaninow“ zum Beispiel. Es ist beeindruckend, wie groß das ist, wie viele Menschen da beschäftigt sind, die wirklich auch zusammenarbeiten müssen!“

Nächste Termine:
6. Februar 2016, 14:00 Uhr, Hausführung,
7. Februar 2016, 20:45 Uhr, Nachtführung.
16. Februar 2016, 14:00 Uhr, Familienführung.
17. Februar 2016, 14:00 Uhr, Familienführung.
18. Februar 2016, 14:00 Uhr, Familienführung.

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