Ein Fall, der in ganz Deutschland Aufsehen erregt und nach Klärung verlangt. Eine Mutter stirbt neben ihrem zweijährigen Sohn in einer Leipziger Wohnung, das Kind verdurstet offenbar hilflos neben seiner Mutter. Niemand will etwas bemerkt haben. Vorneweg das Jugendamt, das jede Verantwortung weiter hartnäckig von sich weist und auch in der zweiten Pressekonferenz am Mittwoch, 27. Juni, keine neuen Antworten geben konnte.

Ein Mann unter Druck. Die Anspannung war Leipzigs Jugendamtsleiter Siegfried Haller anzumerken, als er sich wieder einmal einer Heerschar von Journalisten gegenüber sah. Und man hörte nichts Neues von ihm, verglichen mit der letzten Pressekonferenz zum Fall der toten Mutter und des verstorbenen zweijährigen Jungen. Alles war rechtens abgelaufen, alles war konform mit den Vorschriften abgelaufen… aber trotzdem ist es schief gegangen. Und zwar gewaltig. Schließlich muss man von Amtsseite zugeben: “Wir prüfen momentan die Einschätzung eines Kollegen über den Betreuungsbedarf der Mutter”, sagte Haller.

Was ihn nicht davon abhielt, die Mitverantwortung seiner Behörde an der Tragödie weiterhin abzulehnen. Das wiederum fiel ihm recht einfach, konnte man sich doch seitens des Jugendamtes auf das Regelwerk zurück ziehen und die Schuld auf andere abschieben. Nämlich auf den Allgemeinen Sozialdienst (ASD). Laut Haller hatten die Mitarbeiter des ASD den letzten Kontakt zu Yvonne F. gehabt. Das war im April gewesen, und offenbar schenkte man ihr Glauben.
Ein Fehler, wie sich jetzt herausstellt, denn der Sozialpädagoge sah offenbar keinen Anlass für weiteren Betreuungsbedarf und keine Gefährdung für das Wohl des Kindes. Offenbar eine für beide tödliche Fehleinschätzung. Der Mitarbeiter hatte sich offenbar auf die Aussage der Mutter verlassen, dass sie mit ihrem neuen Freund und dem Kind in eine andere Stadt ziehen wolle. Genau das passierte aber nicht. Und ab hier bricht der Kontakt ab.
Und genau ab hier hören auch die etwas hilflosen Erklärungsversuche des Jugendamtes und der beteiligten Institutionen auf. Und immer noch gibt es keine vernünftige Erklärung dafür, warum die Polizei eigenmächtig offenbar nicht in der Lage war oder sein wollte, das Jugendamt am selben Tag des Auffindens der Leichen über den Vorfall zu informieren.

Jedenfalls musste Haller einräumen, dass beim letzten Gespräch am 10. April Standards unterschritten worden seien. An diesem Tag war die 26-jährige Mutter mit ihrem Kind und dem neuen Lebensgefährten zum Allgemeinen Sozialen Dienst erschienen. In dem Gespräch hatte der Mitarbeiter den Eindruck gewonnen, dass die Frau keine weitere Betreuung brauche. “Diese Entscheidung müssen wir ausführlich prüfen”, sagte Haller.
In der Nacht zum 17. Juni waren die arbeitslose Frau und ihr Sohn tot in ihrer Wohnung in Leipzig-Gohlis gefunden worden. Der Junge ist vermutlich neben der Leiche seiner Mutter verdurstet. Anfang des Jahres, so Sylke Lein, Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, sei der Kontakt der jungen Frau zur Suchtberatungsstelle abgebrochen. Es gab außerdem eine Meldung des behandelnden Arztes, dass die Frau auch ihre Substitutionstherapie, eine Drogenersatztherapie, abgebrochen hätte.

Auch die Betreuung ihres Kindes durch eine Tagesmutter war gekündigt worden, davon erfuhr das Jugendamt zunächst nichts. Warum, wurde wieder nicht beantwortet. Nach der Auswertung des traurigen Falles will das Leipziger Jugendamt die Problematik der Betreuungsstandards sachsenweit diskutieren: “Es wird einen Bericht ans Sozialministerium geben”, so Haller. Leipzig sei vor Ort mit Experten wie Kai von Klitzing, Direktor der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, bestens vernetzt und auch bundesweit in der Diskussion um Standards. Die Suchtbeauftragte der Stadt geht davon aus, dass in rund 30 Fällen in Leipzig Kinder unter ähnlichen Umständen wie im aktuellen Fall leben.

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