Das Leipziger Landgericht hat am Dienstag einen Chemie-Fan zu 10 Monaten Haft verurteilt. Die Kammer verwarf seine Berufung gegen Urteil des Amtsgerichts. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass der 24-Jährige sich der versuchten gefährlichen Körperverletzung, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, der Beleidigung, der Trunkenheit im Verkehr und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht habe.

Marcel L. zählt zu den bekannteren Gesichtern, die der FC Sachsen in seinen letzten Jahren hervorgebracht hat. Dabei stand der bullige Chemiker kein einziges Mal auf dem Rasen. In der Hooligan-Doku “Kategorie C” bot L. Außenstehenden einen Einblick in die bizarre Gedankenwelt gewaltbereiter Fußball-Fans. Am Ende des Streifens, Produktionsjahr 2008, der kurze Hinweis. Seine laufende Bewährung sei widerrufen worden.

Die Biografie des Ultras scheint auf mystische Art mit dem Schicksal seines Vereins verbunden zu sein. Im Frühjahr 2007 wandert er ins Gefängnis. Weil er Lok-Fans ihre Schals raubte, sich mit Polizisten prügelte, im Stadion Sitzschalen beschädigte. In Teilen der grün-weißen Fanszene genießt er wegen solcher Aktionen Renommee. Die Justiz verurteilte ihn zu vier Jahre und drei Monaten Haft. Sein Vorstrafenregister ist lang. Als L. den Behörden zum ersten Mal auffiel, spielte “Chemie” noch in der dritten Liga. Bei Strafantritt waren die Leutzscher bereits in die Viertklassigkeit abgestürzt. Im September 2010 kam er vorzeitig auf freien Fuß. Der FC Sachsen hatte längst Insolvenz angemeldet, die reanimierte BSG Chemie den Neubeginn in der letzten Liga gewagt.

Während sich sein Verein von Aufstieg zu Aufstieg kämpfte, unterlag Marcel L. sich selbst. Immerhin begann er eine Lehre zum Fahrzeuglackierer. Doch der Fußball ließ ihn ebenso wenig los wie die Aggressionen gegen die Polizei. Am 12. November 2010 feierte er mit Kumpels einen Geburtstag. Die Party eskalierte, ein Aquarium ging zu Bruch, ein Gast verletzte sich schwer. Marcel L. hinderte im Alkoholrausch die herbeigeeilten Retter am Arbeiten. Polizisten mussten ihn mit Reizgas überwältigen.

Silvester 2010 beobachteten zwei Beamte in Zivil, wie der Chemiker am Connewitzer Kreuz Böller und eine Flasche in Richtung Uniformierte warf. Am 3. April geriet L. nach einem Chemie-Spiel in eine Polizeikontrolle. Statt seinen Ausweis zu zücken, beschimpfte er die Ordnungshüter als “Nutten” und “KZ-Schweine”, forderte sie mit erhobenen Fäusten zum Zweikampf. 13 Tage später ertappte man ihn beim Autofahren. Betrunken und ohne Führerschein.

Vor dem Landgericht gab der Chemie-Fan sich kleinlaut. Die Trunkenheitsfahrt räumte er ein. Hinsichtlich der anderen Delikte verbuddelte er sich in Ausflüchten. “Ich habe nie jemanden schlagen wollen.” “Wir hatten die Polizei nicht gerufen.” “Mein Beutel mit den Knallern war plötzlich weg.” Richterin Gabriela Walburg hat Geduld: “Warum zeigen Sie den Beamten nicht ihren Ausweis?” – “Ich wusste nicht, worum es geht” – “Wenn Sie wissen, dass es Ärger gibt, warum gehen Sie dem dann nicht aus dem Weg?” – “Ich wusste nicht, worum es geht.”

Zwölf Zeugen hat das Gericht vernommen. Schon nach den Aussagen der ersten beiden war klar: Marcel L. wird heute nicht einmal einen Blumentopf gewinnen. Einer der Zivilbeamten: “Wenn wir einen Täter beobachtet haben, konzentrieren wir uns auf ihn.” Trotz gefühlten 0-3-Rückstands kämpft Verteidiger Robert Oeltz tapfer bis zum bitteren Ende. “Das mit der Polizei und ihnen ist wie in einer Stierarena”, resümiert Staatsanwalt André Kuhnert nach sechs Stunden Verhandlung. “Die Polizei ist das rote Tuch, sie sind der Stier. Wenn sie aufeinandertreffen, geht das nicht gut.” Er beantragt 16 Monate Haft. Oeltz plädiert auf eine Geldstrafe. Und Marcel L.? “Ich bitte um eine letzte Chance.”

Richterin Walburg gibt keiner Partei Recht: “Wir sind zu den gleichen Feststellungen gelangt wie das Amtsgericht.” Die Folge: L. soll für 10 Monate hinter Gitter. Wahrscheinlich werden obendrein die neun Monate Strafrest, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, widerrufen werden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar