Freundlicher dürfte der Tonfall nach dem heutigen Urteil zum "Nazi"-Fall am Leipziger Amtsgericht gegenüber NPD-Mitgliedern wohl nicht werden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Margitta Hollick (Die Linke) den ehemaligen NPD-Stadtrat Rudi Gerhardt zu Recht als "Nazi" bezeichnen durfte. Die Staatsanwaltschaft selbst hatte überraschenderweise bei Prozessbeginn eine deutliche Richtungsänderung vorgenommen und hatte auf Freispruch plädiert. Damit ist der Fall vom Tisch und die Stadträtin freigesprochen.

Die Linke hat damit etwas zu feiern. In einer ersten Einschätzung seitens der Partei heißt es heute: “Der Staatswanwalt sah es nunmehr als erwiesen an, dass es sich bei der Nazibezeichnung gegenüber dem NPD-Stadtrat Rudi Gerhardt nicht um eine private Äußerung in einem privaten Vieraugengespräch, sondern am Rande der Stadtratssitzung um eine politische Äußerung in einem politischen Rahmen gehandelt habe.

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Die Staatsanwaltschaft ging sogar soweit, dass aus ihrer Sicht alle Antisemiten und Ausländerfeinde künftig als `Nazis` bezeichnet werden können und sogar müssen. Man kann nur hoffen, dass diese mutige Auffassung, mit der antifaschistische Kräfte künftig verbal noch offensiver auftreten können, schnell und bundesweit Schule macht.” so Dr. Volker Külow, Vorsitzender Die Linke Leipzig nach dem Freispruch.

Der Prozess selbst verlief kurz und knapp. So kam es zum Beginn zu einem Gespräch zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung sowie einer Befragung zweier Zeugen. Dann war auch schon Schluss, die Staatsanwaltschaft zog selbst den Strafbefehl zurück und plädierte auf Freispruch.

Damit ist eines sicher. In Zukunft dürfte Mitgliedern der NPD im Rahmen von politischen Auseinandersetzungen das Wort “Nazi” öfter begegnen.
“Sehr geehrte Frau Vorsitzende, sehr geehrter Herr Staatsanwalt, werte Anwesende,

ich bin persönlich sehr betroffen über die Vorwürfe und den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Leipzig über eine Geldstrafe von 1.600 ?, der nunmehr die Grundlage der Anklage gegen mich gebildet hat. Diesem strafrechtlichen Vorwurf bin ich nun seit vielen Monaten ausgesetzt, ich wurde sogar vom Staatsschutz vernommen und durfte keinen Zeugen dabei haben. Mein Anwalt riet mir zur Sache keine Angaben zu machen und mich auf mein Aussageverweigerungsrecht zu berufen. Daher werde ich auch in meinem letzten Wort auf den Vorfall nicht eingehen.

Es ist wohl für jeden durchaus nachvollziehbar schwierig – für mich, als Tochter eines Leipziger Antifaschisten der Georg-Schumann-Gruppe, zu einer solchen Problematik angeklagt zu werden. 1934 wurde meinem Vater durch ein Gericht die Ehrenrechtswürde abgesprochen, weil er aktiv gegen die Faschisten kämpfte. Am 6. Januar 1945 endete die letzte faschistische Haft meines Vaters, er überlebte nur knapp. Im gleichen Monat wurden 6 seiner Kampfgefährten und Freunde hingerichtet, teilweise wurden Straßen unserer Stadt nach ihnen benannt. Jetzt werde nunmehr ich wegen angeblicher Beleidigung der Ehre eines NPD-Mitgliedes angeklagt.

Dazu sollte man auch wissen, dass am 20. Juni 2012 – dem Tag des angeblichen Geschehens – in der Stadtratssitzung einem NPD-Stadtrat wegen seiner menschenverachtenden Rede durch den Oberbürgermeister erstmals das Wort entzogen wurde.

Das angebliche Beleidigungsopfer, das NPD Mitglied Gerhardt, soll inzwischen aus der NPD ausgetreten sein, aber bis heute hat er sich von diesen Aussagen und dem Standpunkt der NPD nicht distanziert. Herr Gerhardt ist 62 Jahre und hat mit seinem Schritt der NPD beizutreten bewusst gehandelt. Er ist einer Partei beigetreten, die offen ausländerfeindlich, antisemitisch und menschenverachtend auftritt. Hautnah musste ich das Auftreten von Mitgliedern und Sympathisanten der NPD bei vielen Demonstrationen in Leipzig erfahren. Die Reden dieser Personen waren von Verherrlichung der Zeit von 1933 bis 1945 gekennzeichnet.

Erst im November 2013 erlebte ich in der Schönefelder Kirche in Leipzig eine Diskussion mit Anhängern der rechten Szene zu einem Asylbewerberheim, diese war durch diese Personen geprägt von unermesslichen Hass, toleranzlosem Niederbrüllen und Beleidigungen. Mir ist nicht zu Ohren gelangt, dass diesbezüglich Strafverfahren eröffnet worden sind. Die Gefährlichkeit dieser Strukturen ist uns heute durch die NSU-Strukturen hinlänglich bekannt.

Wenn ein Stadtrat sich zur NPD und ihrer Programmatik bekennt, indem er Mitglied dieser Partei ist, ist es besonders wichtig die Öffentlichkeit darüber zu informieren und aufzuklären. Ich selbst übe diese Informationspflicht seit Jahren aus, damit schütze ich den Staat. Ich erachte es für erforderlich und notwendig, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, welche menschenverachtenden Positionen die NPD vertritt. Mit meiner Aufklärungsarbeit leiste ich Zivilcourage. Darüber darf nicht nur geredet, sie muss nach meiner Auffassung auch gelebt werden. Für mich ist bereits der Erhalt dieses mir zur Zeit zugehenden Materials des NPD Wahlkampfes unerträglich. Man braucht sich diese Hetzschriften nur anzusehen, um den ausländerfeindlichen, menschenverachtenden Charakter dieser Partei und ihrer Mitglieder zu erkennen. Heute kann und sollte Keiner sagen, er hat es nicht gewusst…

Die NPD ist eine Nachfolgeorganisation nationalsozialistischer Strukturen des Dritten Reiches. Die Nationalsozialisten waren zu einem demokratischen Lernprozess nicht in der Lage, aus diesem Grund reichten die Bundesländer über den Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht endlich erneut einen Verbotsantrag der NPD ein, um die Verfassungswidrigkeit dieser Partei feststellen zu lassen. Gegen eine Partei und deren Mitglieder, die vom Bundesrat, der sich als Verfassungsorgan aus Mitgliedern der Länderparlamente zusammensetzt, werde ich aktiv politisch auftreten.

Vielen Dank”

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