Am 10. Januar 2013 erging beim Landgericht Leipzig das Urteil, dass das Jobcenter die Diensttelefonnummern der Sachbearbeiter offenlegen muss. Geklagt auf Zugang zu den Durchwahlnummern der mit Bürgerkontakt tätigen Mitarbeiter des Jobcenters hatte die Kanzlei fsn-recht Rechtsanwälte. "Wir begrüßen das Urteil ausdrücklich! In unserer täglichen Arbeit sehen wir, wie Hilfebedürftige durch Fehler des Jobcenters in existentielle Notsituationen geraten," hieß es damals. Geschehen ist seitdem über ein Jahr lang - nichts.

Denn das Jobcenter Leipzig wehrte sich gegen das Urteil und stellte im Anschluss einen Antrag, der mindestens Aufschub brachte. Man ging in Berufung, welche vom Landgericht Leipzig nicht zugelassen wurde. Nun liegt der Vorgang seit über einem Jahr beim Oberverwaltungsgericht Bautzen zur Prüfung vor. “Aller Voraussicht nach wird eine Entscheidung eher gegen Ende diesen Jahres zu erwarten sein,” lässt Pressesprecher Peter Kober auf Nachfrage der L-IZ mitteilen. Bis es soweit ist, ist das Urteil nicht rechtskräftig und der Zustand wie ehedem.

Von diesem zeigt sich das Jobcenter Leipzig in der aktuellen Verfahrensweise einer zentral organisierten Kommunikation über das Callcenter bis heute überzeugt. “In den letzten Jahren habe sich das telefonische Service-Center mit einer Erreichbarkeit von Montag bis Freitag und 10 Stunden täglich bewährt”, so Ronny Schleicher, Pressesprecher des Jobcenters Leipzig.

“Gern nenne ich Ihnen zwei Zahlen dazu: Im Februar dieses Jahres sind für das Jobcenter Leipzig 21.953 Anrufe eingegangen. Die damit verbundenen Anliegen der Kundinnen und Kunden konnten in 82,38 % direkt durch das Service-Center abschließend geklärt werden”, so Schleicher.

Angaben über die derzeitige Praxis bezüglich der Herausgabe der Diensttelefonnummern durch einzelne Mitarbeiter wollte man seitens des Jobcenters Leipzig hingegen nicht machen. Wie das Verfahren im Haus geregelt ist und ob es dienstliche Anweisungen zum Umgang mit den eigenen Rufnummern gibt, bleibt das Geheimnis einer Praxis, in welcher es manchmal geht und manchmal nicht. Durchaus skurrile Verfahrensweisen inklusive. So tauchte auf einem der L-IZ vorliegenden offiziellen Briefbogen des Jobcenters in mehreren Schreiben gar eine Durchwahlnummer auf, bei deren Anwahl man von einer Computerstimme freundlich an die Auskunft verwiesen wird. Die Nummer selbst – nicht existent, die Einwahl der Servicezentrale auf Nachfrage unbekannt, aber die Mitarbeiterin existiert.

Das sei natürlich keine gängige Vorgehensweise, so der Pressesprecher des Jobcenters. In einem weiteren Fall wurde die Herausgabe der Kontaktdaten mit Hinweis auf das noch nicht rechtskräftige Urteil nicht herausgegeben, obwohl die Kundin von ihrer vorherigen Sachbearbeiterin ohne Aufforderung die Daten erhalten hatte, um den Informationsverkehr zu erleichtern.
Dirk Feiertag, Rechtsanwalt der vor dem Verwaltungsgericht siegreichen Kanzlei, möchte angesichts des Durcheinanders weiterhin mehr Klarheit und erwartet die Bestätigung des Urteils durch das OVG Bautzen. Dabei sieht er mehr als nur das Jobcenter von der Wirkung des Urteils betroffen und hat weitere seltsame Beispiele in petto: “Manchmal bezweifele ich, dass es überhaupt eine organisierte Kommunikation gibt. Hier ist zum Beispiel das Jobcenter Burgenlandkreis zu nennen: Das ländlich geprägte Jobcenter weigert sich mit einer unvorstellbaren Beharrlichkeit, seine eigene Faxnummer zu veröffentlichen. So ist sich der vertretende Behördenmitarbeiter doch selbst vor Gericht nicht zu schade zu behaupten, ihm sei die Faxnummer seines Arbeitgebers spontan entfallen.

“Auch den von Pressesprecher Schleicher betonten Angaben der raschen Klärung über die Rufzentrale vertraut Feiertag nicht. Auf zirka die Hälfte aller Anrufe bei dem Callcenter des Jobcenters Leipzig erhalte Feiertag in der Praxis keine oder eine so stark verzögerte Antwort, dass sich meist das Anliegen der Mandanten bereits anderweitig erledigt hat.

“Die Hilfeempfänger benötigen den Ansprechpartner, der letztlich auch über ihr Anliegen entscheidet. `Stille Post` mag man vielleicht mit Freunden, sicher aber nicht mit einer staatlichen Behörde spielen,” bekräftigt Feiertag seine Forderungen.

Primäres Ziel der Klage sei es weiterhin, die Erreichbarkeit der Mitarbeiter des Jobcenters durch die Herausgabe der Diensttelefonnummern für den Bürger zu verbessern. Die Klage könne laut Feiertag auch zu einem Mentalitätswechsel innerhalb der Jobcenter in ganz Deutschland beitragen. “In weiten Teilen der Verwaltung erleben wir in den letzten Jahren einen Trend zu mehr Bürgernähe. Der Trend geht zu einer Verwaltung, die mit den Bürgern und nicht gegen diese Entscheidungen trifft,” so der Leipziger Rechtsanwalt.

Anders sieht es allerdings nach wie vor im Bereich der SGB II-Leistungsverwaltung aus. Seit Einführung der “Hartz-Reformen” könne man dort eine stetig zunehmende Abschottung der Jobcenter gegenüber den hilfesuchenden Bürgern beobachten. “Die Jobcenter werden zu Sonderrechtszonen ausgebaut, in denen viele bürgerfreundliche Gesetze bereits nicht mehr gelten und die für die Bürger noch verbliebenen positiven Normen systematisch und im großen Umfang gebrochen werden,” kritisiert Feiertag.

Würde der Klage auf Herausgabe der Telefonnummern stattgegeben, würde das Jobcenter ein Stück weniger anonym und die bedürftigen Menschen hätten einen direkten Ansprechpartner, mit dem sie auch telefonisch schnell Problemlagen kommunizieren können. Auch den vom Jobcenter gefürchteten Anstieg des Verwaltungsaufwandes lässt Feiertag nicht gelten. Der Verwaltungsaufwand würde sich durch eine direkte Kommunikation nach seiner Ansicht sogar verringern. Auch das Sozialgericht Berlin geht davon aus, dass ein großer Teil der einstweiligen Rechtsschutzverfahren vermieden werden könnten, wenn die Telefonnummern der Sachbearbeiter öffentlich gemacht würden. Was Kostenersparnisse für Staat und Bürger brächte.

Zur etwas seltsamen falschen Rufnummer gäbe es laut Feiertag den Weg der Dienstaufsichtsbeschwerde. Die Erfolgsaussichten seien allerdings fraglich. Wenn überhaupt, hätte ein solches Vorgehen eine Eintragung in die Personalakte des jeweils Zuständigen zur Folge.

Womit am Ende erneut niemandem gedient wäre.

Zum Interview vom 11. April 2014 mit RA Dirk Feiertag auf L-IZ.de

Erreichbarkeit und Transparenz: Rechtsanwalt Dirk Feiertag zur Klage gegen das Jobcenter

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig

http://fsn-recht.de/dokumente/Urteil%20VG%20Leipzig%205%20K%20981:11.pdf

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