Wie ist das eigentlich in Stadtparlamenten? Dürfen die Fraktionen voneinander abkupfern? Oder besteht Kopierschutz für gute Ideen? Gar im Wahlkampf, wenn man die Wähler überzeugen will, wie gerade die in der vergangenen Woche, als die FDP-Stadträtin Isabel Siebert einen Antrag der SPD-Fraktion für sich reklamierte: Qualifizierung für Tagespflegekräfte. Tolle Idee. Toller Sommerspaß, finden die Grünen. Sie hatten das Thema schon 2012 vorgeschlagen.

Denn schon damals zeichnete sich ab, dass die Stadt Leipzig jenseits der vielen Tagesmütter und Tagesväter, die dabei helfen, den Betreuungsbedarf in Leipzig abzudecken, auch jede Menge Betreuungspersonal für ihre wachsende Zahl von Kindertagesstätten brauchen würde. Erst recht, wenn sich die Landesregierung irgendwann einmal aufraffen würde, den Betreuungsschlüssel für Kinderkrippen und Kindergärten zu verbessern.

Viele Tagespflegepersonen würden sich gern qualifizieren, um danach eine Arbeit in einer der Kindertagesstätten aufnehmen zu können. Nur die Angebote wahrzunehmen, das war auch schon 2012 ein Problem.

“Der Realitätsverlust der FDP scheint tatsächlich grenzenlos zu sein”, kommentiert den Vorgang nun Grünen-Stadtrat Michael Schmidt. “Jetzt fühlt sie sich von der SPD abgekupfert… Das Gegenteil ist der Fall und dies habe ich auch in meiner Rede zum Sofortprogramm zum Ausdruck bringen wollen. Wenn man nämlich genau hinschaut, hat nämlich die SPD nicht bei der FDP abgekupfert, sondern bei uns. Ich erinnere da an eine Reihe von Initiativen, die das Thema seit 2012 auf die Tagesordnung gehoben haben.”

Und dann listet er auf: Am 18. April 2012 haben die Grünen einen Antrag “Ausbildungsoffensive für ErzieherInnen in Leipzig” gestellt, der auch beschlossen wurde (Beschluss 1341). Am 20. September 2012 wurde ein Antrag der Grünen-Fraktion zur besseren Vergütung von Tagespflegepersonen beschlossen (Beschluss 1343). Am 17. Dezember 2012 wurde daraufhin der Beschluss zur Finanzierung der Kindertagespflege gefasst, dabei unter anderem ein Änderungsantrag der Grünen-Fraktion zur berufsbegleitenden Weiterbildung von Tagespflegepersonen (Beschluss 1481; Beschlusspunkt 6) beinhaltete.

Dieser Punkt 6 lautet: “Die Stadt Leipzig führt eine Befragung unter den in Leipzig tätigen Tagespflegepersonen durch. In der Befragung soll das Interesse der Tagespflegepersonen an einer tätigkeitsbegleitenden Ausbildung zur Erzieherin/Erzieher beziehungsweise in einem sozialpädagogischen Assistenzberuf erhoben werden. Das Ergebnis der Befragung und daraus folgend möglichen Handlungsoptionen wird dem Stadtrat bis zum II. Quartal 2013 vorgelegt.”Am 23. Oktober 2013, ein Quartal später als geplant, wurde von der Verwaltung tatsächlich der Bericht zur Umsetzung dieses Beschlusspunktes 6 vorgelegt (nachzulesen dort auf den Seiten 43/44). Von 550 befragten Tagespflegepersonen antworteten immerhin 103 auf die Nachfrage. 80 von ihnen zeigten Interesse an einer begleitenden Ausbildung zum/r staatlich anerkannten Erzieher/in, 3 an einer Ausbildung zum/r Sozialassistentin/in, 6 hätten sogar gern beide Ausbildungen gemacht, 1 zeigte Interesse am Berufsbild Sozialpädagoge/in. Nur 13 zeigten kein Interesse an einer tätigkeitsbegleitenden Qualifizierung.

Am 19. März 2014 stellten dann die Grünen in der Ratsversammlung eine Anfrage zu genau diesem Thema und erhielten auch darauf eine Antwort (Anfrage und Antwort 1105).

Danach hatte die Stadtverwaltung tatsächlich mit den Ausbildungseinrichtungen vor Ort gesprochen und sich auch ans sächsische Sozialministerium gewendet, um die Ausbildungsgänge besser an die berufsbegleitende Ausbildung der Tagespflegepersonen anzupassen. Zwar verneinte das Ministerium die Möglichkeit, bot aber einen Gesprächstermin an. Und auch die Anbieter von Qualifizierungen wollen sich mit dem Thema weiter beschäftigen.

“Erst dann haben sich mit FDP und nun auch mit der SPD andere Fraktionen für das Thema interessiert und eine Initiative gestartet, was ich grundsätzlich begrüße”, sagt Michael Schmidt. “Das war bislang der aktuelle Stand. Hier sehe ich auch viel stärker den Freistaat in der Pflicht, Möglichkeiten zu schaffen. Was aus dem letzten Gespräch mit dem SMK rausgekommen ist, ist mir nicht bekannt, möglicherweise ist da die SPD aufgrund ihres Bürgermeisters schon etwas weiter im Informationsstand. Dass sich die beiden Fraktionen FDP und SPD nun darum streiten, wer von wem abgekupfert hat, ohne uns da mit einem Wort zu erwähnen, finde ich amüsant und kann darüber nur den Kopf schütteln.”

Und auch der Vorstoß der Grünen auf eine bessere Vergütung der Tagespflegepersonen geht in eine neue Runde.

Das Verwaltungsgericht Leipzig hat jetzt aufgrund der Klage einer Tagesmutter die Stadt Leipzig verurteilt, die laufende Geldleistung für die Kindertagespflege neu festzulegen. Das wird nun mit zweijähriger Verspätung auch eingeleitet.

Nach Prüfung der schriftlichen Urteilsbegründung erklärt Bürgermeister Thomas Fabian: “Die Stadt Leipzig wird keine Rechtsmittel gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Leipzig einlegen. Wir erarbeiten eine neue Berechnungsgrundlage und werden diese der Ratsversammlung bis zum Jahresende zur Beschlussfassung vorlegen.”

Der Grünen-Antrag “Ausbildungsoffensive für ErzieherInnen in Leipzig” als PDF zum Download.

Der Grünen-Antrag Vergütung von Tagespflegepersonen als PDF zum Download.

Der Beschluss zur Finanzierung der Kindertagespflege als PDF zum Download.

Die Frage und Antwort aus der Ratsversammlung vom 19. März als PDF zum Download.

Die Rede von Michael zum “Sofortprogramm” der FDP als PDF zum Download.

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