Vor 36 Jahren habe ich zum ersten Mal auf meinem Auto den Aufkleber "Atomkraft? Nein danke" befestigt. Zwei Jahre später wurde ich Pfarrer in einer Mannheimer Gemeinde, auf deren Gebiet einer der damals größten Kraftwerksfabriken stand (BBC).

Und in deren Nachbarschaft vor dem Oberverwaltungsgericht Mannheim über das (schließlich nicht gebaute) Kernkraftwerk Wyhl verhandelt und die dafür angereisten klagenden Winzer vom Kaiserstuhl bei uns im Gemeindehaus bewirtet wurden. Für mich gab es zwei Gründe, entschieden gegen diese Nutzung der Kernenergie zu votieren: eine Technologie, die als sogenanntes Restrisiko die Unbewohnbarkeit ganzer Regionen zur Folge hat und über die Nahrungskette und auf Generationen Menschenleben schädigt, darf nicht angewendet werden. Ihr liegt eine tödliche Anmaßung des Menschen zugrunde: Es wird schon nichts passieren.

Die Entsorgung des Strahlenmaterials ist bis heute nicht geklärt und kann auch nicht geklärt werden, weil niemand eine sichere Lagerung über Hunderte von Jahren garantieren kann.

An diesen Gründen hat sich für mich bis heute nichts geändert. Insofern ist auch durch den drohenden Super-GAU in Fukushima keine “neue” Situation entstanden. Vielmehr handelt es sich dabei – nach Tschernobyl und Harrisburg – um einen schrecklichen Wiederholungsfall. Solange Atomkraftwerke betrieben werden, müssen wir – unabhängig vom Sicherheitsstandard – mit solchen Katastrophen rechnen. Bald schon kann es irgendwo – aus welchen Gründen auch immer – wieder zu einem GAU kommen mit Folgen, die niemand steuern kann.Und auch eine sichere Endlagerung radioaktiven Materials ist dauerhaft nicht zu garantieren. Natürlich: Wir leben alle technisch hochgerüstet und risikoreich. Schon morgen kann ich mit meinem als sicher geltenden Auto tödlich verunglücken oder mit einem Flugzeug abstürzen. Aber die Folgen – so furchtbar sie im Einzelfall sind – sind begrenzt und in der Regel “beherrschbar”. Wir müssen uns der schlichten Erkenntnis stellen, dass wir Menschen mit der Technologie der Atomkraft genauso überfordert sind, wie es Adam und Eva mit dem Konsum verlockender Früchte vom Baum der Erkenntnis waren. Nun stehen wir wie sie nackt da und versuchen diese Entblößung mit einem Ausredenschwall notdürftig zu kaschieren.

Die Nutzung der Atomenergie ist aber ethisch weder zu verantworten noch zu rechtfertigen. Mehr noch: Sie scheint mir der Versuch zu sein, doch vom Baum des Lebens zu essen. Das wollte aber Gott durch die Vertreibung aus dem Paradies verhindern. Irina Gruschewaja von der Stiftung “Die Kinder von Tschernobyl” sagte kürzlich: “Atomkraft ist ein Krieg, der im Menschen stattfindet, im Knochenmark … Sie ist per se nicht kompatibel mit dem menschlichen Leben.”

Ja, das Funktionieren der friedlichen Nutzung der Kernenergie setzt den unfehlbaren Menschen und eine ewig andauernde Folgenbewältigung voraus. Das aber widerspricht dem biblischen Menschenbild. Darum kann es nur eines geben: jetzt! aus dieser Technologie aussteigen – mit allen Konsequenzen. Doch so weit waren die Winzer vom Kaiserstuhl, meist konservative und fromme Christenmenschen, schon vor 36 Jahren.

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