Wenn die Leute, die man elf Monate lang fast jeden Tag in den Medien sieht, im Sommer in den Urlaub fahren, dann scheint in vielen Redaktionen der Republik die Panik auszubrechen: Hilfe, das Sommerloch! - Der "Stern" verscherbelt das Sommerloch in diesem Sommer sogar an seine Leser. Als wenn acht Wochen lang tatsächlich nichts mehr los wäre im Land. Außer in Leipzig, wie es aussieht.
Seit Jahren gibt es ein ganzes Bündel von Initiativen in der Stadt, die die Zeit zwischen dem Urlaubsabflug der Immer-schon-Dagewesenen und ihrer kaum bemerkten Rückkehr mit Dingen füllen, die das Herz erfreuen oder den Kopf oder beides. Selbst die Sommerpause in den großen Häusern ist kein Grund für kulturellen Verzicht. Im Gegenteil. Für Manchen hält diese Zeit sogar besondere Leckerbissen bereit.
Ist nur die Frage: Verrät man das oder behält man das lieber für sich, damit man sich nicht wieder um die Stühle streiten muss?
Einer dieser Geheimtipps ist zwar plakatiert, aber so kryptisch, dass der Nichteingeweihte glaubt, er habe es auch bei diesen Plakaten mit Sommerfüllern zu tun – diesmal welchen, die für neugierige Stadttouristen ein bisschen Werbung machen für die Musikstadt. “Klangquartier Leipzig”. Das klingt doch wie ein Synonym, oder?
Was natürlich am Ursprung der Idee liegt, die im Jahre 2001 geboren wurde. “Damals ging es tatsächlich darum, die Zusammenarbeit zwischen den drei Leipziger Musikerhäusern deutlich zu verbessern”, sagt Dr. Dettloff Schwerdtfeger, Geschäftsführer des Bach-Archivs Leipzig. Neben dem Bose-Haus, in dem das Bach-Archiv zu Hause ist, ging es um das Mendelssohn-Haus und das Schumann-Haus als wiedergewonnene Gedenkstätten für zwei der berühmtesten Leipziger Komponisten – und als Originalwirkungsstätten.
In einer gemeinsamen Veranstaltungsserie wollten die drei Häuser darauf aufmerksam machen, wie sehr die Arbeit der drei Komponisten miteinander verbunden ist und wie grundlegend diese drei Musiker auch für das Aufblühen der Musikstadt Leipzig waren. Die Veranstaltungen streuten übers Kalenderjahr.
“Vor drei Jahren haben wir uns dann entschlossen, die Veranstaltungen zu bündeln und einen echten Schwerpunkt im Sommer zu setzen”, sagt Schwerdtfeger. Denn das Besondere an den Konzerten war auch: Sie setzten die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Leipziger Musikforschung um. Die Zuhörer bekamen neu- und wiederentdeckte Kompositionen zu hören, erfuhren Hintergründe und erlebten die Musik der Komponisten auch in Vorträgen und Lokalterminen.
Nur gingen sie im Veranstaltungsmarathon der Stadt unter. “Wenn es gut ging, hatten wir insgesamt vielleicht 400 Zuhörer”, sagt Schwertfeger. “Deswegen haben wir uns vor drei Jahren entschlossen, die Veranstaltungen zu einem Schwerpunkt im Sommer zu machen – als Brücke quasi zwischen Bachfest und Mendelssohn-Festtagen.”
Seitdem heißt das Paket “Klangquartier” – was auch auf die räumliche Nähe der drei Musikergedenkstätten anspielt. Man kann das Programm dieses kleinen Sommerschwerpunkts an den beiden Wochenenden 16. und 17. Juli und 23. und 24. Juli quasi erlaufen. “Und das Ganze ist auch wie ein Wandelkonzert angelegt”, sagt Dr. Anselm Hartinger, der für die musikalische Organisation zuständig ist.Der 40-jährige Musikwissenschaftler hat in Leipzig studiert und über Bach-Aufführungen und Leipziger Musikleben im Zeitalter Mendelssohns, Schumanns und Hauptmanns 1829 bis 1852 promoviert. Er hat Ausstellungen im Mendelssohnhaus und im Bachmuseum konzipiert, war 2003 bis 2006 Mitarbeiter am Bach-Archiv Leipzig und seit 2008 zusätzlich Redaktor des Basler Jahrbuchs für Historische Musikpraxis. Und er hat eine der beliebtesten Publikationen des Bach-Archivs geschrieben: “Vergnügte Pleißenstadt. Bach in Leipzig”.
Die wieder ist Teil in einer Reihe, in der auch Schumann in Leipzig und Mendelssohn in Leipzig gewürdigt werden.
Seinen Bach kennt er. Und er weiß, wie sich Bachs Werk in den Arbeiten von Robert Schumann und Felix Mendelssohn Bartholdy spiegelt. Das Projekt hätte auch Klang-Quadrat Leipzig heißen können, denn mit Schumanns Ehefrau Clara sind es eigentlich vier begnadete Künstler, die diese beiden Wochenenden dominieren.
Das Besondere fasst Hartinger in drei Punkten zusammen: Man kann die authentische Musik aus der Zeit an authentischen Orten erleben – und das auch noch vorgetragen mit den authentischen Instrumenten der Zeit. Von einigen der Konzerte aus den letzten Jahren gibt es auch CDs – echte Bestseller, wenn man die Maßstäbe für Klassik anlegt.
Dem Programmheft ist es für Eingeweihte zu entnehmen, welche Leckerbissen da geboten werden. Schon gleich am Samstag, 16. Juli, 17 Uhr in der Alten Handelsbörse, wenn das Ensemble Nobiles eine typische Leipziger Liedertafel der Mendelssohn-Zeit nacherleben lässt. “Wer weiß denn heute noch, welche Qualitäten Männerchöre damals hatten”, fragt Hartinger, der die Organisation des “Klang Quartiers” schon ein Jahr im Voraus beginnt, um eine Chance zu haben, insbesondere junge Musiker für den Leipziger Termin zu binden.
“Sie kommen alle mit Begeisterung und sind fasziniert davon, an solchen authentischen Orten auftreten zu können”, sagt er. Aber da sie oft auch sehr spezielle Instrumente spielen, muss Hartinger sie frühzeitig auf den Leipziger Sommertermin verpflichten.
Solche Instrumente hört man zum Beispiel am Sonntag, 17. Juli, um 11 Uhr im Mendelssohn-Haus zur Duo-Matinee. Da spielen Thomas Müller und Edoardo Torbianelli an zwei Instrumenten, wie sie im frühen 19. Jahrhundert gebräuchlich waren – der eine ein Naturhorn, der andere ein Hammerklavier. Für den Besucher des Konzerts eine Zeitreise. Aber es ging Mendelssohn seinerzeit mit Bach auch nicht anders – auch er musste Bachs Kompositionen an die moderneren Instrumente seiner Zeit anpassen – und an die veränderten Hörgewohnheiten.”Es hätte auch schief gehen können”, sagt Dettloff Schwerdtfeger über das Klang-Quartier-Projekt. Der Versuch, dem modernen Publikum so viel authentisches Hörerlebnis zu verschaffen, hätte auch auf Ablehnung stoßen können. Hat er aber nicht. Die Zuhörerzahlen sind gestiegen. Und auch Leipzig-Besucher nutzen diese seltene Chance, etwas zu erleben, was in den großen Konzerthäusern des Kontinents selten zu erleben ist. “Auch wenn sich mittlerweile eine Menge junger Leute mit diesen alten Instrumenten beschäftigen”, sagt Hartinger.
Doch auch die Kompositionen sind meist für eher kleine Räume geschrieben worden – Salons wie im Mendelssohn-Haus oder so etwas wie den Sommersaal im Bose-Haus. 30, 50, 80 Besucher – und schon ist das Konzert ausgebucht.
“Deswegen bin ich froh, dass wir auch einen neuen Vortragsort bekommen konnten, der ein ganz besonderes Flair hat”, sagt Hartinger. Erstmals ist nämlich das Foyer der Universitätsbibliothek im Musikviertel mit im Programm am 17. Juli um 19 Uhr. Der Eintritt ist in diesem Fall sogar frei. Das Programm entführt in ein ganz anderes Leipzig – das barocke Leipzig nämlich, als auch schon ein begnadeter Komponist das Amt des Thomaskantors inne hatte – Johann Hermann Schein. Die Musik des Barock wird ergänzt mit Poesie aus dem mitteldeutschen Barock. Als wichtigsten Vertreter derselben nennt Hartinger den Leipziger Dichter Paul Fleming. “Im Zusammenspiel mit der Musik aus dieser Zeit wird das ein unverwechselbare Erlebnis”, verspricht er.
Und wer tatsächlich den Raum des Klang-Quartiers erleben möchte, der kann an zwei Führungen teilnehmen. Die eine beginnt am 17. Juli um 14 Uhr am Bachdenkmal. Anselm Hartinger selbst führt die Teilnehmer auf den Spuren Bachs, Mendelssohns und Schumanns durch die Innenstadt.
Und am Samstag, 23. Juli, trifft man sich um 19 Uhr zu einer Abendführung durch das Musikinstrumentenmuseum (der vierten Einrichtung, die sich am Klang Quartier Leipzig beteiligt) und erlebt danach eine Lesung auf dem Alten Johannisfriedhof – auf der Suche nach dem Grab Johann Sebastian Bachs.
Weitere Termine findet man hier: www.bach-leipzig.de
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