Am Donnerstag, 19. April, wird es ab 19 Uhr wieder eine besondere Preisverleihung in der Alten Nikolaischule geben. Der Rössing-Preis 2012 wird vergeben. Jede Rössing-Preis-Verleihung ist etwas Besonderes. Denn dieser Preis meint die Stadt und tatsächlich jene, die etwas tun für Leipzig. Zum Beispiel das "schönste Leipzig-Buch" verfassen. Wie Andreas Reimann.

Man nimmt sie ja so hin, diese emsigen Dichter, Geschichtenerzähler, Maler, Fotografen. Sie geben der Stadt und dem, was man hierzulande für Kultur hält, ein Gesicht und einen Ton. Sie bekommen dafür selten viel Geld. Von den Gehältern teuer eingekaufter Manager für Stadtbetriebe können sie nur träumen. Und davon, dass die Stadträte im Kulturausschuss auch nur ihre Namen kennen, auch. Davon, dass die Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse den Mumm hat, sie auch einmal ins große Scheinwerferlicht zu heben, ebenfalls.

So etwas schaffen sie nur auf großen Umwegen. Was Clemens Meyer so schön vorzelebrierte. Wenn das Feuilleton in München oder Hamburg keine Lust hat, existieren originäre Stimmen aus dem Osten nicht.

Aber das war und ist ja für einen wie Andreas Reimann, 1946 in Leipzig geboren, nichts Neues. Es gibt ja zwei Methoden, das zu Deutliche zu unterbinden – die moderne: Man ignoriert es einfach. Die klassisch-diktatorische: Man sperrt die Dichter ein und verpasst ihnen Schreibverbot.

So erlebte es Reimann, den man 1966 wegen “kritischer Haltung” aus dem Literaturinstitut “J. R. Becher” exmatrikuliert hatte, im Jahre 1968. Das war das Jahr des Prager Frühlings, der Attentate auf Rudi Dutschke und Martin Luther-King. Das war auch das Jahr der nunmehr legendären “Motorbootlesung” auf dem Elsterstausee. Auch das schon tiefste Geschichte, denn dieser 1934 angelegte Stausee wurde 1976 abgelassen, um den Untergrund für den Braunkohletagebau zugänglich zu machen. Quasi halbiert, wurde 1979 das neue Becken geflutet. Was dann so ungefähr 30 Jahre lang funktionierte – bis der Stadt Leipzig die Müh und Plag mit dem See zu viel wurde. Heute wächst Gras. Man könnte ein Dampfer-Denkmal hinstellen.

Denn die “Motorbootlesung” ist nicht nur Legende. Sie steht für das andere, scharfzüngigere Leipzig, das weit vor dem Herbst 1989 wagte, den Mund aufzumachen. Dampfschiff-Kapitän auf dem Elsterstausee war der Dichter Siegmar Faust, der sich kurz zuvor Ärger eingehandelt hatte mit einem nicht-opportunen Gedicht über den Aufstand vom 17. Juni 1953. Und er hatte sich die Mutigeren unter seinen Kommilitonen und Autorenkollegen eingeladen. 30 waren es. Manche lasen, manche waren noch unbeholfen im Text.Andreas Reimann, so berichtete Gerd Neumann, las nicht, sondern zog sich während der Fahrt aus und sprang ins Wasser. Was ihm in den Augen der Allmächtigen nichts half. Zwei der Mitfahrenden wurden bald zu mehrmonatigen Haftstrafen verdonnert. Andreas Reimann zu 23 Monaten – “wegen staatsfeindlicher Hetze”. Der andere war Siegmar Faust, der zu 33 Monaten verurteilt wurde und danach in den Westen ging. Andere kamen mit Parteiausschlüssen, Exmatrikulationen und Schreib- und Veröffentlichungsverboten davon. Was trotzdem für die Betroffenen Jahre des öffentlichen Schweigens bedeutete.

Für Andreas Reimann, der sein lyrisches Talent schon früh gezeigt hatte (und das lag seit Hans Reimann ganz gewiss auch in der Familie), bedeutete das: Warten bis 1976. Dann erschien endlich sein Gedichtband “Die Weisheit des Fleischs”. Die späten 1970er sind die Zeit eines kleinen Frühlings in der DDR-Literatur. Kurzzeitig durften ein paar Verlage und Lektoren mutiger sein. In Reimanns Fall der Mitteldeutsche Verlag. 1979 kam noch “Das ganze halbe Leben”. Durch die 1980er Jahre musste sich der Dichter mit diversen Jobs durchschlagen.

Bis er sich 1993 wieder zu Wort meldete und zusammen mit Ulla Heise ein Buch vorlegte, das eigentlich auch den Rössing-Preis verdient hätte: “Leipziger Allerlei – allerlei Leipzig”. Aber den Rössing-Preis, gestiftet von den Leipziger Fotografen Renate und Roger Rössing, gab es damals noch nicht. Das ist oft so: Da machen Menschen eine gute Arbeit – nur die Preise, die im Lande vergeben werden, passen nicht dazu.Auch nicht die Dichter-Preise. Erst recht dann, wenn einer wie der durchaus zurückhaltende Andreas Reimann sich gar nicht erst in die Bewerberschlange einreiht. Das lag ihm nie. Deswegen hat er in der DDR auch nie den Orden “Banner der Arbeit” bekommen. Obwohl er fleißig war. Nur schrieb er halt keine Heldengedichte auf all die Pawel Kortschagins. Er schrieb über all die Dinge, die das Leben tatsächlich ausmachen – Liebe, Eifersucht, Verlassenwerden, Erwachen, die Freuden der Tafel, die Liebe zum Alltäglichen. Gedichte, die unter die Haut gehen, weil sie voller Wärme sind. Auch weil der Dichter das kennt, worüber er schreibend nachsinnt. So, wie er sein Leipzig kennt, über das er schon vor allen Wenden und Wirren tieftraurige, hoffnungsvolle Gedichte schrieb.

Aufgehört hat er damit zum Glück bis heute nicht. Die Connewitzer Verlagsbuchhandlung hat seine Arbeiten in Betreuung genommen. So dass seine Bücher so nach und nach alle wieder da sind. Auch die aus jungen Jahren.

Der Band “Bewohnbare Stadt”, in dem er sein Leipzig von heute besingt, erschien 2009 in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Illustriert hat ihn Rainer Ilg (1942 geboren), der als Architekt und Denkmalpfleger in Leipzig tätig ist. Er hat die markanten Schönheiten der Stadt mit flüssigem Stift auf Papier gebannt. Wer den Gedichtband durchblättert, bekommt ein sehr genaues Gefühl für das Leipzig, wie es jetzt gerade ist. Und wie es Reimann sieht und erlebt. Und das tut er ja auf seine Weise, die vielen Leipzigern sehr vertraut ist – vom “Vergnügen im Garten” über die wundersame Ruhe im Botanischen Garten bis zu diesem Vielen so vertrauten Auszug aus dem alten Haus, entweder weil’s saniert wird oder weil die Miete in Regionen entschwebt, in denen nur noch gut bezahlte Staatsdiener zahlungsfähig sind.

Für die Dichter und ihre Freunde bleiben ein paar Knochen übrig. Und dem heutigen Größenwahn schauen sie nur mit stillem Staunen zu: “Die meisten neigen hier zum übertreiben / Da sprech ich ungern lauthals von gefühlen.”

Das klingt vertraut. Und man darf durchaus Ausschau halten nach dem Café, in dem Reimann dann und wann zu finden ist mit seinen Freunden. Es ist keines der lauten, laut beschrieenen in der Innenstadt, sondern eins weiter südlich, dort, wo für den Dichter die Welt fußläufig erlaufbar ist.

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Zur Alten Nikolaischule wird er am Donnerstag dann wohl die Straßenbahn nehmen, um nach dem Brüder-Grimm-Preis der Stadt Hanau (2005) und dem Johann-Gottfried-Seume-Literaturpreis (2007) wieder einen Preis entgegen zu nehmen, mit dem mehr gemeint ist, als ein bisschen Marketing oder Bestseller-Glanz. 2010 wurde der Rössing-Preis erstmals vergeben. Er ist mit 5.000 Euro dotiert. Und eigentlich sind auch beide gemeint – Andreas Reimann und Rainer Ilg, denn gewürdigt wird der Gedichtband “Bewohnbare Stadt”.

Im Rahmen der feierlichen Preisverleihung werden Weggefährten Reimanns wie auch die Jury des Preises zu Wort kommen. Für die musikalische Umrahmung wird der Jazz-Pianist Stephan König sorgen.

www.roessing-stiftung.de

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