Wird man irgendwann sagen, dass in Leipzig die Befreiung aller Tiere begonnen hat? Eine Gruppe von jungen Erwachsenen arbeitet daran, kämpft dafür, dass Tiere nicht mehr als Bespaßungsobjekte anderer gelten, nicht mehr auf deutsche Esstische oder an deutsche Körper landen, sondern frei sind. Ein Leben ohne Zirkus, Zoo, Schnitzel und gebratene Tauben in der Luft?

Nur Insidern ist der Blog von alfred* bekannt. Könnt Ihr kurz umreißen, was Ihr tut und wer Ihr seid?

Wir sind eine Gruppe von herrschaftskritischen Menschen aus Leipzig. Eine herrschaftsfreie Gesellschaft ist im Kapitalismus nicht möglich, wir streben also eine Gesellschaft an, in der die freie Entfaltung des Menschen ohne ökonomische Zwänge möglich ist und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Sozialdarwinismus…) der Vergangenheit angehört.

Zu dieser Vorstellung gehört für uns auch, dass nichtmenschliche Tiere nicht mehr als Waren, Produktionsmittel oder Bespaßungsobjekte angesehen und ausgebeutet werden. In unserer Kritik am Ausbeutungsverhältnis des Menschen gegenüber nichtmenschlichen Tieren grenzen wir uns klar von Tierschutzpositionen ab: Wir wollen keine besseren “Haltungsbedingungen”, größere Käfige oder “humanere” Tötungsmethoden, sondern ein radikales Umdenken – nichtmenschliche Tiere sollen als Lebewesen geachtet werden, deren Interessen, wie Freiheit und Unversehrtheit, Berücksichtigung finden und ihnen ein Leben in Selbstbestimmung gewährt wird.

Klingt ehrlicherweise reichlich utopisch?

Ihre Existenzberechtigung soll sich nicht aus der Funktion für den Menschen ergeben. Uns ist bewusst, dass dieses Ziel utopisch ist – dennoch möchten wir den gesellschaftlichen Wandel in diese Richtung vorantreiben. Dabei sehen wir uns als Teil der Tierbefreiungsbewegung. Wir veranstalten Vorträge und Workshops, die verschiedene Aspekte des Mensch-Tier-Verhältnisses beleuchten. Außerdem demonstrieren wir gegen konkrete Ausbeutungsformen und für tierleidfreie Alternativen, so z.B. für einen Zirkus ohne Tiere.
Was sind “nichtmenschliche” Tiere? Und warum unterscheidet ihr nicht einfach Mensch und Tier?

Speziesismus bezeichnet eine Ideologie, nach der die eigene Spezies, der Mensch, über alle anderen Spezies gestellt wird. Dies legitimiert die uneingeschränkte Ausbeutung der anderen Spezies ohne jegliche Rücksichtnahme auf deren Interessen. Dazu gehört die duale Einteilung in “Menschen” und “Tiere”, also das Zusammenfassen aller Spezies außer dem Mensch in der Kategorie “Tier”.

Dies verdeckt zum einen Unterschiede (Spulwurm und Schimpansen werden auf eine Stufe gestellt), zum anderen die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und anderen Tieren (z.B. die Leidensfähigkeit). Der Begriff “nichtmenschliche Tiere” soll diesen Dualismus in Frage stellen.

Was sind menschliche Tiere?

Menschliche Tiere sind demnach einfach Tiere der Spezies Mensch, wobei die Bezeichnung “Mensch” schon ausreichend ist.

Laut Eurer Internetseite ist eines Eurer Ziele ein selbstbestimmtes Leben für Tiere. Wie könnte dies aussehen und was hat Euch bewogen, dieses Ziel auszurufen?

Aus der menschlichen, anthropozentrischen Wahrnehmung heraus ist es schwer, ein selbstbestimmtes Leben von nichtmenschlichen Tieren zu definieren. Deshalb fassen wir hier “selbstbestimmt” als “nicht fremdbestimmt” auf. Sie sollen nicht an der freien Entfaltung gehindert, ihre Interessen und Bedürfnisse nicht durch den Menschen eingeschränkt werden. Wir lehnen das systematische Ausbeuten und Unterdrücken von nichtmenschlichen Tieren ab, welches durch die bloße Zugehörigkeit zu einer anderen Spezies legitimiert wird.

Dazu gehört die Verwertung zu Lebensmitteln (Fleisch, Milch, Eier) oder Kleidung (Leder und Pelz), das Ausnutzen für die Unterhaltung (Zirkus, Zoo, “Haustiere”) oder für Tierversuche.
Gibt es ein konkretes Erlebnis, was Euch veranlasst hat, diesen Weg einzuschlagen?

Ein konkretes Erlebnis gibt es nicht, da wir verschiedene Einzelpersonen mit verschiedenen Erfahrungen sind, die sich zur Thematik zusammengefunden haben. Es ging keine geschlossene Idee aus einem Schlüsselerlebnis hervor, sondern wir befinden uns alle in einem stetigen Entwicklungsprozess.

In Deutschlands Küchen spielt Fleisch eine zentrale Rolle. Was muss geschehen, damit Euer Ziel irgendwann erreicht wird?

Wie schon hervorgegangen sein müsste, ist die Verbreitung des Veganismus nicht unser einziges Ziel, sondern Teil der angestrebten herrschaftsfreien Gesellschaft. Wir möchten aber trotzdem kurz auf diesen Einzelaspekt eingehen. Fleisch wird als wichtiger Bestandteil der Küche gesehen. Es kommt aber eigentlich nicht auf das Fleisch, sondern auf die Gewürze und die Zubereitungsweise an. Kaum einem Menschen würde ein unverarbeitetes rohes Steak schmecken. Und da setzen viele vegane Alternativen aus Soja, Seitan (=Weizeneiweiß) oder Lupinen an, welche die Konsistenz von Fleisch nachahmen und entsprechend mit Gewürzen zubereitet werden.

Schnitzel, Gulasch, Bolognese… alles vegan, kein Problem. Auch für andere tierliche Produkte gibt es Alternativen, so z.B. immer mehr pflanzliche Milcharten, wie z.B. aus Soja, Hafer, Reis, Mandeln und dementsprechend auch vegane Sahne und Joghurts, veganen Käse usw. Vegan zu leben bedeutet also nicht, zu verzichten, sondern genauso leckere Alternativen zu den konventionellen tierlichen Produkten kennenzulernen. Inzwischen gibt es viele vegane Kochbücher und auch vegane Restaurants in Leipzig laden zum Ausprobieren ein.

Neben dem Aufzeigen von Alternativen wird versucht, den Menschen bewusst zu machen, dass sich nichtmenschliche Tiere in einem Ausbeutungsverhältnis befinden und für den Genuss ein Leben in Gefangenschaft und Leid verbringen, denn die meisten Konsument_innen hinterfragen gar nicht, was da auf ihrem Teller liegt und dass Fleisch, Käse und Eier nicht auf Bäumen wachsen.

Die Landwirtschaft lebt vom Viehhandel. Ihnen würde eine wichtige Geldquelle wegbrechen. Was hat es damit auf sich, dass Ihr immer tierlich und nicht tierisch sagt und schreibt?

Viele Adjektive mit der Endung “-isch” sind negativ konnotiert, z.B. kindisch (/kindlich), weibisch (/weiblich), so auch das Wort “tierisch”. Die Verwendung von “tierlich” möchte dem eine neutrale Bezeichnung entgegensetzen.
Apropos Geld – was wären Eure Argumente in einer Diskussion mit Landwirten, auch im Hinblick auf andere Verdienstmöglichkeiten?

Es gibt viele Aspekte, die ökologisch gegen die tierhaltende Landwirtschaft sprechen. Ein Zahlenbeispiel ist der Verbrauch von 15.000 Litern Wasser für ein Kilogramm Rindfleisch, dem ein Wasserverbrauch von 1.500 Litern für 1 Kilogramm Getreide oder 106 Litern für 1 Kilogramm Kartoffeln gegenübersteht. 38 Prozent des weltweit erzeugten Getreides wird an “Nutztiere” verfüttert. Für die vegane Ernährung würden die Lebensmittel quasi direkt anstatt über Umwege erzeugt werden.

Eine Alternative für die Landwirtschaft wäre der biovegane Landbau. Hier wird beim Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln sowohl auf chemische als auch auf tierliche Düngemittel verzichtet, welche den Boden und die Umwelt unnötig belasten. Ein Beispiel ist der biovegane Landhof von Peter Berswald in Schleswig-Holstein. Mit seiner Anbaumethode hat er die durchschnittliche Erntemenge von vergleichbaren Biohöfen mit tierlichen Düngemitteln übertroffen. Abgesehen davon sind Profit und Arbeitsplätze für uns keine Legitimation für die Ausbeutung von Menschen und nichtmenschlichen Tieren.

Wie ist Eure Einstellung zur Haltung von Haustieren?

“Haustiere” leben immer in Herrschaftsverhältnissen. Sie stehen in Abhängigkeit zu deren Halter_in und unterliegen in Fütterung, Freilauf, Erziehungsmethoden etc. dessen Willkür. Deshalb lehnen wir grundsätzlich die Haustierhaltung sowie die Züchtung und Vermehrung ab. Bei der Betrachtung der Haustierhaltung als Auslaufmodell, also die allmähliche Abschaffung unter Rücksichtnahme auf die bereits existierenden Individuen, befürworten wir jedoch die Aufnahme von Tieren aus dem Tierheim, da die private Haltung in den meisten Fällen immer noch die angenehmere Alternative darstellt.

Aber auch hier sollte der/die Halter_in darauf achten, die eigentlichen Interessen des Haustieres wahrzunehmen und keine eigenen hineinzuinterpretieren, was eine ständige Reflexion des Verhältnisses bedeutet.

Könnt Ihr das am Beispiel einer Katze verdeutlichen?

Die Katze ist wohl das Haustier, welches am wenigsten Fremdbestimmung ausgesetzt ist (im Vergleich zum Goldfisch im Aquarium oder dem Wellensittich im Käfig). Interessen von Katzen, die dennoch wahrgenommen werden sollten, sind z.B. die Bewegungsfreiheit – durch Katzenklappen können Katzen weitestgehend selbst entscheiden, wann sie rausgehen – oder das eine Katze auch mal ihre Ruhe haben und nicht dauerhaft Schoßwärmer sein möchten.

Anm. d. Red.: Auf Bitten der Mitglieder von alfred* wurden das Interview per E-Mail geführt und keine Bilder der Macher selbst veröffentlicht.

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