Richard Gauch, den Leipzigern bekannt als Sprecher der Gruppe Gedenkmarsch Leipzig, wird es mehr und mehr mulmig, wenn er an den 9. Oktober 2012 denkt. Dann feiert Leipzig sein Lichtfest, das sich in den letzten Jahren durchaus zu einem würdigen Fest zur Feier der Friedlichen Revolution entwickelt hat. Doch diesmal hat die Stadt einen Gast eingeladen, der in Sachen Demokratie so seine ganz eigenen Vorstellungen hat.

Oberbürgermeister Burkhard Jung stellte ihn im Juli noch als Kulturminister Ungarns vor: Zoltán Balog. Aber Balog ist seit Mai Minister für “Human Ressources”, eine Art Superminister für Bildung, Gesundheit, Soziales, Kultur, Sport und Jugend und damit – neben Viktor Orbán – einer der wichtigsten Repräsentanten der national-konservativen Regierung in Ungarn.

Ungarn gehört zu den drei Ländern, die im Vorfeld der Friedlichen Revolution in der DDR eine wichtige Rolle gespielt haben: Polen und die Tschechoslowakei waren die anderen. Alle drei wurden als Gastland zu den Lichtfesten 2011, 2012 und 2013 eingeladen. Polen vor allem wegen seiner wichtigen Solidarnosc-Bewegung, Tschechien wegen des wichtigen Prager Frühlings, der vielen Ostdeutschen auf Jahre hinaus die Hoffnung gab, man könne die Systeme friedlich und von innen heraus ändern. Und Ungarn einmal wegen des wichtigen Ungarn-Aufstands von 1956 und wegen der signalgebenden Grenzöffnung im Sommer 1989.Doch das ist alles Geschichte. Und es gibt keine Sicherung, die verhindert, dass Länder, die den so schwierigen Weg in die Demokratie geschafft haben, nicht wieder zurückfallen in autoritäre oder gar diktatorische Verhältnisse. Schon der Machtanspruch einer einzelnen Partei – verbunden mit nationalistischen Untertönen – genügt, um eine Demokratie in Schwierigkeiten zu bringen. Und mit Recht beobachten viele Westeuropäer die derzeitigen Entwicklungen unter der Fidesz-Regierung von Viktor Orban.

Den Weg, den die dortigen “Reformen” genommen haben, ist ein Weg weg von Meinungs- und Pressefreiheit, hin zu nationalistischen und autokratischen Regierungsformen. Wer Mitglieder der Regierung Orban einlädt, setzt auch ein Zeichen. Und es ist zumindest erstaunlich, wenn Leipzigs Oberbürgermeister sich neben den ungarischen Minister Balog stellen will und so tun möchte, als ginge es nur um Kultur und gemeinsame Erinnerung an einen schönen historischen Moment.

“Herr OBM Burkhard Jung – Das geht gar nicht!”, findet auch Richard Gauch, der sich nun etwas ausführlich mit dem 2012 eingeladenen Lichtfest-Gast beschäftigt hat. “Ein Repräsentant der jetzigen ungarischen Regierung – das geht gar nicht!”, schreibt er in einem besorgten Brief an den OBM. Und weist so beiläufig darauf hin, wie vieles in der Leipziger Öffentlichkeit mittlerweile einfach bunte Inszenierung geworden ist. Hinter den stolz machenden Erinnerungen an den keineswegs ungefährlich Herbst 1989 aber verschwinden die so notwendigen Auseinandersetzungen um die Demokratie in der Gegenwart. Und die ist nicht nur durch die Staatsschuldenkrise in Südeuropa gefährdet, sondern auch durch die immer wieder neuen Versuche populistischer Parteien, die Macht im Land in ihrem Sinne umzudefinieren und mit den finstersten Ressentiments zu spielen. Immer wieder melden sich nach Wahlen in den verschiedensten Ländern nationalistische Säbelrassler zu Wort, denen die EU genauso schnurz ist wie der Euro.

Da kann man sich nicht wirklich einfach friedlich nebeneinander auf die Tribüne stellen, wie 1989 noch Gorbatschow neben Honecker. Das geht nicht, findet Gauch.

Sein Brief zum Nachlesen als PDF zum download.

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