Die letzte Etappe der L-IZ-Stadttour steht an. Doch die Aussichten sind schlecht. Es ist schwül, es regnet, es donnert. Aber es blitzt noch nicht. So schnell wie möglich also auf nach Knautnaundorf. Kurz vor dem Ziel werde ich abgefangen. Von Petrus und meinem eigenen schlechten Gewissen. Der Regen und die zuvor zunehmende Schwüle haben es geschafft: Ich bin komplett durchgeschwitzt. Und langsam auch proviantlos. Meine letzte Banane stopfe ich an der Westseite der Kiesgrube in mich hinein. Letzte Energie vor der letzten Etappe.

Ohne Ingolf Bauer umrunde ich die Kiesgrube. Sechs Kilometer sind es noch von hier bis in den äußersten bewohnten Winkel des Leipziger Südostens: Knautnaundorf-Randgebiet. Doch zunächst informiere ich mich an einer Infotafel über die derzeitige Nutzung des Naturbads Südwest. Angler nehmen hier eine Schlüsselrolle ein, denn durch ihre Beute sorgen sie für den einzigen Nährstoffaustrag aus dem See, der ansonsten durch die Exkremente der Wasservögel und den herbstlichen Laubfall eine Nährstoffanreicherung erfährt. Die Folge ist ein verstärktes Pflanzenwachstum, das sich übrigens auch rund um den See fortsetzt.

Auf meinem Weg nach Knautnaundorf habe ich kaum Weg-Alternativen. Die Dieskaustraße ist in Knautkleeberg die bestimmende Magistrale, die auch so aussieht, wie – ja, man möchte fast sagen – wie eine typische Leipziger Ausfallstraße. Leben verbreiten im Wesentlichen der Konsum, die Straßenbahn und die Autos, die hier langjagen. Der Rest ist – erst recht bei dem Wetter – Tristesse.Ich sehe nichts, was die Dieskaustraße auf diesem Abschnitt attraktiv macht. Kein Wunder also, dass ich nach einer kurzen Softeis-Pause – der Regen machte mit mir Pause – am Knautkleeberger Bahnhof Richtung Seumestraße abmarschiere. Es ist ja quasi schon Pflicht bei so einer Expedition, auch auf der Seumestraße zu laufen. Bis nach Syrakus werden mich meine Beine allerdings kaum noch tragen (obwohl ich trotz allem sehr fit bin), dafür schlendere ich die ruhigere, dörflichere und schönere Seumestraße entlang. Die vereinzelten Villen und die Kirche ziehen meinen Blick auf sich. Der Rest hinterlässt keinen bleibenden Eindruck.

Den hinterlässt dafür ein verwilderter Parkplatz hinter einer Tankstelle am Ende der Dieskaustraße. Hier will ich die Schienen, die gerade die Elster-Saale-Bahn nutzt, überqueren. Doch die Schranken sind unten. Zeit genug, die Dieskaustraße etwas zurückzublicken und sich zu fragen, ob denn noch irgendwann jemand die verlassenen Gebäude und Parkplätze des insolventen Autohauses Heil nutzen wird? Es würde der Straße jedenfalls helfen. Die vielen verschiedenen Pflanzen sind derzeit Schmückwerk der Verwahrlosung.

Viel gepflegter ist es dagegen in Knauthain. In diesem Straßendorf stehen Haus an Haus und Baum an Baum. Das Dorf gehörte wie Knautnaundorf und Knautkleeberg einst zum Besitz der Ritter Knuth, die im tiefen Mittelalter hier ansässig waren. Die Ritter Pflugk vertrieben sie, Knauthain wurde allerdings nach den Vorbesitzern benannt. Carl Wilhelm Müller, der spätere Leipziger Bürgermeister, nach dem auch der Park am Leipziger Hauptbahnhof benannt ist, stammte von hier und – heute mein großes Vorbild – Seume ging in Knauthain sieben Jahre zur Schule. Geschichtsträchtig und prächtig ist das Dorf. Zwar finde ich bei meinem “Durchmarsch” das Leben auch nur auf der Straße, aber die Allee gefällt mir. Ganz im Gegensatz zum Wetter.

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Schon seit der Bahnstrecke ist es nun über mich hereingebrochen. Das Unwetter ist direkt über mir, Regentropfen laufen langsam mein Gesicht herunter und springen zu Teilen von der Nasenspitze. Es donnert, es blitzt und ich nähere mich dem freien Feld zwischen Knauthain und Hartmannsdorf. Die Straße weiter zu gehen, als höchster Punkt weit und breit könnte ungesund werden. Aber was bleibt mir anderes übrig? Soll ich so kurz vor dem Ziel aufgeben? Ich schwanke.

Ganz im Gegensatz zum Beginn meiner Tour hält diesmal keiner der zahlreichen Autofahrer an und fragt mich, ob er mich mitnehmen soll. Ich bin tropfnass mir selbst überlassen und kämpfe mich durch den tiefen Morast, auch Straßengraben genannt, Richtung Hartmannsdorf. Einen Fußweg gibt es hier nicht mehr. Die Wanderschuhe halten dicht, aber gemütliches und freudbetontes Wandern hatte ich mir anders vorgestellt.

Das Donnern wird heftiger als sich vor mir die Autobrücke über die A38 entfaltet. Höher kann man hier kaum stehen. Klar kann ich durchziehen, die Chance, vom Blitz getroffen zu werden, ist trotz allem noch gering, doch warum sollte ich es riskieren? Es ist 16:45 Uhr, ich bin seit 9,5 Stunden unterwegs, habe laut meiner Wander-App 46 Kilometer in toto zurückgelegt – fünfzehn Kilometer mehr als vorhergesagt. Ich staune darüber und zweifle die Technik gleichzeitig an. Doch zunächst muss ich eine Entscheidung treffen. Ein Gartencenter am Ortsausgang macht sie mir leicht. Hier stelle ich mich unter und erkläre hochoffiziell die Tour für beendet.

Mein Fazit: Leipzig an einem Tag: Es ist möglich und enorm spannend.

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