Im Juni sollen die Bauarbeiten an der südlichen Petersstraße und der Schillerstraße beginnen. Der Straßenzug soll bis zur geplanten Eröffnung des City-Tunnels zum Boulevard und zum fußgängerfreundlichen Übergang zum S-Bahn-Zugang umgestaltet werden. Das ist der Glasklotz, der nach den Baumfällungen im Februar so nackt da steht wie ein Trafo-Häuschen, glasverklinkert. Am Freitag aber waren die Pflanzer am Werk.

Die Grünanlagenbauer der Firma Stackelitz waren am Werk, neue Bäume ins Erdreich zu hieven. Metergenau wurden die neuen Standorte ausgemessen. Denn die neuen Standorte sind – zumindest östlich des gläsernen Trafo-Häuschens – die alten. Jene Standorte, die 1858 ein gewisser Peter Joseph Lenné festlegte für allerlei exotische Bäume, die das Gelände im ehemaligen Stadtgraben in eine der schönsten Leipziger Grünanlagen verwandelten. Lenné war zu seiner Zeit der berühmteste Landschaftsarchitekt in deutschen Landen. “Wer etwas auf sich hielt, hat ihn zu sich eingeladen”, erzählt Inge Kunath, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer.

Eingeladen hat ihn damals ein Herr namens Koch, Carl Wilhelm Otto Koch, Rechtsanwalt von Beruf und seit 1849 Bürgermeister von Leipzig. Einer, der ablehnen konnte. 1875 lehnte er den ihm von der Ratsversammlung angetragenen Titel Oberbürgermeister ab. 27 Jahre lang war Koch Bürgermeister der Stadt. Er schaffte es – was einer seiner Nachfolger in seiner Amtszeit ganz bestimmt nicht mehr schaffen wird – Leipzig schuldenfrei zu machen. Und in seiner Amtszeit überschritt die Stadt die magische Marke von 100.000 Einwohnern – 1875 waren es 127.000.Die Leipziger setzten ihm ein Denkmal – es steht gleich auf dem Hügel hinter der Moritzbastei. Sie benannten auch eine Straße nach ihm – noch zu seinen Lebzeiten 1873. Das lehnte er nicht ab. Es war ein Teilstück der alten Landstraße nach Connewitz, an der Koch ein Landhaus besaß. Er wollte auch gern, dass die Straße zu einer schönen breiten Allee wird. Mit Bäumen rechts und links. Deswegen ist die Kochstraße so breit. Nur die Bäume fehlen. Und die Hauptstraße nach Connewitz wurde es auch nicht, die wurde ein Stück weiter östlich gebaut – die heutige “Karli”.

Die Anlage, die er seinerzeit bei Peter Joseph Lenné bestellte, ist heute noch in großen Teilen erhalten. Und die großen Bäume, in deren Schatten sich die Leipziger sommers ausruhen, stammen alle aus dieser Zeit. Deswegen fand man es im Amt für Stadtgrün und Gewässer auch ein bisschen schmerzhaft, als der nördliche Zugang zur S-Bahn-Station “Wilhelm-Leuschner-Platz-der-Friedlichen-Revolution” mitten in der Lennéanlage platziert wurde. Zwar “nur” in ihrem westlichen Teil.
Aber nicht nur der dort vorhandene Baumbestand musste weichen. Auch der vom Schweizer Architekten Max Dudler entworfene Glasklotz, der die Glas-Architektur der Untergrund-Station aufnimmt, will nicht passen. Er steht sperrig im Weg, als wenn er ein Denkmal der Friedlichen Einheits-Freiheit hätte werden sollen.

Da nickt nicht nur Thomas Liebscher, Inhaber des Passage-Verlages, als die Jugendstilgestaltung der Pariser Métro als möglicher Gegenentwurf zur Sprache kommt. Aber nach Paris hat man wieder nicht geschaut. Das tut man in Klein-Paris immer seltener. Was dann solche Glaswürfel ergibt.

Auch einen besonderen Baum setzten die Arbeiter der Firma Stackelitz am Freitag in die Erde, genau im richtigen Abstand von den nächsten großen Bäumen, dorthin, wo auch in Lennés Plänen damals ein Geweihbaum eingemalt war. Die Heimat der Geweihbäume ist eigentlich Nordamerika. Aber Lennés Anlage sollte auch ein bisschen exotisch sein, nicht nur die üblichen Linden und Kastanien beinhalten. Vorher gab es hier eine Baumschule, erzählt Inge Kunath.

Und als im Februar der Vorgänger-Geweihbaum gefällt wurde, machte sich eine Mitarbeiterin des Amtes für Stadtgrün und Gewässer die Mühe und zählte die Jahresringe. Es kamen 158 dabei heraus. Der Baum muss also um 1857/1858 gepflanzt worden sein im zarten Alter von fünf Jahren. Also noch zarter als das Prachtstück, das an diesem Freitag eingegraben wurde. 15 Jahre alt könnte das zarte Gewächs mit seiner Geweihstruktur und dem gelblichen Moosbesatz sein, schätzen die Fachleute. Irgendwo stand er wohl versteckt in den Tiefen einer Baumschule. So einfach ist es nicht, den passenden Ersatz zu finden, wenn man mal einen Geweihbaum sucht. Wenige Meter weiter ist ein zweites Loch gegraben. Da soll ein zweiter Geweihbaum seinen Platz finden, genau so wie in den Pflanzplänen von Peter Joseph Lenné.
Dass die Presse extra zum Pflanzen eines neuen Baumes gerufen wird, ist in Leipzig nicht ungewöhnlich. Es fehlen noch viel zu viele Bäume im Straßenraum, obwohl sie auch Teil des Klimaschutzkonzeptes der Stadt sind. Die Stadt Leipzig will in diesem Frühjahr mehr als 400 neue Straßen- und Parkbäume pflanzen – dazu gehören neben regelmäßigen Nachpflanzungen für Gehölze auch zusätzliche Straßenbäume an neuen oder jahrzehntelang verwaisten Standorten. Aber das kostet immer auch Geld.

Im Fall des Geweihbaumes fand sich ein ganz besonderer Spender: Der Geweihbaum oder Gymnocladus dioicus ist eine Spende des Passage-Verlags und seiner Autoren. Anlass der Spende ist der jetzt im Passage-Verlag erschienene Band “Leipzigs Grün – ein Park- und Gartenführer” der Autoren Petra Mewes und Peter Bennecken in Zusammenarbeit mit den Baum- und Pflanzenspezialisten Hein-Jürgen Scherschak und Peter Gutte.

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Den Band werden wir hier demnächst extra besprechen. Er wird auf jeden Fall auf viele Jahre das Standardwerk zu Leipzigs Grünanlagen. Eine Menge Arbeit steckt drin. Thomas Liebscher und Petra Mewes begannen schon vor vier Jahren, das Material für das Buch zu sammeln. Aber das Material wurde immer umfangreicher. “Irgendwann empfahlen wir dann, auch ein paar Fachleute mit dazu zu nehmen”, erzählt Inge Kunath. Denn die Anlage der Grünflächen und ihre Geschichte, das lässt sich teilweise alles noch in Archiven recherchieren. Aber bei den Pflanzen wird es speziell. Der erholungsuchende Leipziger freut sich in der Regel nur, wie das alles blüht und wie schön es aussieht. Dass in Leipzigs Grünanlagen aber auch eine Vielfalt von Bäumen und Gehölzen aus aller Welt zu finden ist, das sieht dann der Fachmann. Und kann auch was dazu erzählen.

Wie zum Beispiel zum Geweihbaum, der dann hoffentlich in den nächsten Tagen prächtig Blätter treibt. Seine volle Pracht wird er, so erzählen die Fachleute, aber erst in 50, 60 Jahren entfalten – mit einer beeindruckenden Blüte und mit Blättern, die einen halben Meter lang werden können. 18 bis 30 Meter hoch kann er werden. Da denkt man dann doch mit Bedauern an den gefällten Geweihbaum von 1858.

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