Hans-Dietrich Genscher und Günter Verheugen hielten gestern, am 29. Mai Gastreden an der Universität. Der ehemalige Bundesaußenminister und der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Kommission waren der Einladung der Juristen-Fakultät gefolgt, die den 20. Jahrestag ihrer Neugründung nach der Wende nicht mit einer Feier sondern lieber mit den Ehrengästen begehen wollte. "Die Fakultät hatte nach Kriegsende im Jahr 1946 ihre Arbeit wieder aufgenommen und wurde 1969 in die Sektion für Rechtswissenschaften umgeformt", führe Christian Berger, Dekan der Fakultät, aus. Die Wiedergründung nach der Wende geschah 1993.

“Das bedeutet auch, dass mittlerweile eine ganze Generation hier ausgebildet wurde, die Leipzig zurück auf die deutsche Landkarte der Juristen gesetzt hat”, sagte Uni-Rektorin Beate Schücking. Für Hans-Dietrich Genscher war es ein Heimkommen, denn er hatte 1949 sein erstes Staatsexamen in Leipzig abgelegt. “Und der Zug aus Halle hielt in Schkeuditz an, mit der Begründung die Lokomotive würde für den sowjetischen Militärzug auf dem Nachbargleis gebraucht”, erzählte Genscher. Und dabei war er knapp dran für seine Prüfung. “Nach zwanzig Minuten war aber Ersatz beschafft und es ging weiter. Neulich habe ich in einer solchen Situation länger warten müssen und bei dieser Gelegenheit dem Schaffner die Anekdote erzählt.”

Genscher ist der Fakultät immer noch verbunden, ist seit 2003 deren Ehrendoktor. In seiner Rede behandelte er den juristischen Auftrag der deutschen Einheit. “Ihm ist es zu verdanken, dass die deutsche Einheit auf völkerrechtlich sicheren Füßen steht”, kommentierte Christian Berger. Genscher erzählte unter anderem von den Gesprächen, die er im Vorfeld führte. “Wir reisten nach Washington, Paris, Moskau und London und stellten die Frage, wie haltet ihr es mit der Wiedervereinigung?” Heikelster Punkt sei die Anerkennung der polnischen Grenzen gewesen.
“Als ich damals vor den Vereinten Nationen erklärte, das polnische Volk müsse nie fürchten, dass die Deutschen ihre Grenzen nicht respektierten, geschah dies ohne Rücksprache mit der Regierung.” Und die Stationierung westlicher Truppen musste ausgeschlossen werden. “Als wir auf der Zwei-plus-Vier-Konferenz eine verzwickte Textpassage aufsetzten, erinnerte ich mich an meinen Leipziger Professor, der immer auf eine klare Vertragssprache gedrungen hatte. Was der wohl zu diesen Sätzen gesagt hätte?”, überlegte der 86jährige Genscher.

“Sie haben ihr eigenes Licht zu sehr unter den Scheffel gestellt”, sagte anschließend Günter Verheugen zu Genschers Rede. Verheugen ist mit Genscher lange Jahre bekannt, war er doch selbst FDP-Mitglied bevor er 1982 in die SPD eintrat und später Staatsminister im Auswärtigen Amt und Europa Kommissar wurde. Verheugen war zuständig für Industripolitik und die EU-Erweiterung. Seine Rede begann er mit einem Zitat Genschers: “Es ist schon schlimm, wenn Juristen in der Politik juristisch argumentieren. Noch schlimmer ist es, wenn Nicht-Juristen in der Politik juristisch argumentieren.” An diese Worte wolle er sich halten, so Verheugen, denn er sei schließlich kein Jurist. Verheugen hatte Geschichte, Soziologie und Politik in Köln studiert.
Sein Anliegen in Leipzig: Das schwindende Vertrauen in die Europäische Union. “Derzeit haben wir zum ersten Mal die Situation, dass nationale Interessen stärker vertreten werden als die der EU.” Jeder Staat wolle sich schließlich nicht zugunsten der Vereinigten Staaten von Europa abschaffen lassen. “Doch genau auf diese Schaffung sollten wir hinarbeiten oder zumindest das Ziel nicht aus den Augen verlieren.” Sonst drohe Europa der Abrutsch in die Bedeutungslosigkeit. “Wir sind in der Welt eine immer kleiner werdende Nummer. Ein einzelner europäischer Staat allein hätte gar keine Chance seine Interessen zu vertreten”, machte der Ex-Vize der EU-Kommission klar. Gleichzeitig forderte er mehr demokratische Legitimation für die EU. “Der Europarat und die Europäische Kommision haben mehr Macht als das Parlament. Das wird in Deutschland nicht so wahrgenommen.”

Und er sagte ganz klar: “Deutschland gehört zu den Gewinnern des Euro. Wir haben am stärksten profitiert. Das müssten die deutschen Politiker öfter und deutlicher aussprechen.” Deutschland als großes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas habe mit einer starken EU viel zu gewinnen und noch mehr zu verlieren, wenn die EU verliere.

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