In Möckern spüre ich eine versteinerte Kindergärtnerin auf, die einsam mit ihren Kindern an einer Kreuzung steht. Mein Traum von einer Fahrt auf der LE Skatebahn platzt dagegen. Ich muss unverrichteter Dinge abziehen, lausche Möckern'schen Gesprächen und folge einer trostlosen Hauptverkehrsstraße.

Warum ist eigentlich im Stadtteil Möckern, in dem ich mich befinde, seit ich unter dem Eisenbahnviadukt durchgelaufen bin, eine Straße nach Hans Beimler benannt? Ist das nicht der Typ, der bei seiner Quizshow immer lieber die Fragen hören wollte und die Antworten vorgab und früher irgendwie übers Eis geschwebt ist? Oder ist das der, der seit 28 Jahren Sonntagabend in der ARD sein fiktives Privatleben spielt und dessen erste Ehefrau aus einem unerfindlichen Grund die “Mutter der Nation” genannt wird?

An einem Straßenschild samt Namenserklärung angekommen, muss ich feststellen, dass ich mich täusche. Hans Beimler ist wahrscheinlich nie Eiskunstläufer gewesen und wohnte wohl auch nie in einer Straße namens Lindenstraße. Er ist schlicht ein Schlosser gewesen, der als politischer Kommissar des Thälmann-Bataillons im Spanischen Bürgerkrieg gefallen ist. Als 1960-1964 an dieser Stelle Plattenbauten aus der Erde gestampft wurden, erinnerte man sich offenbar an das ehemalige KPD-Mitglied und benannte die Hauptstraße dieser Siedlung nach ihm. Eine Siedlung, die unspektakulärer kaum sein kann. Plattenbauten, Nebenstraßen. Es läuft sich so dahin. Dass auf einer Freifläche gerade der Zirkus Renz parkt, wundert mich, beschäftigt mich aber nicht weiter. Ich will in die nächste Plattenbausiedlung, die 1972 – 1975 entstanden ist, benannt nach dem in der Völkerschlacht gemeinsam mit Blücher siegreichen Feldherrn Yorck. Hier in der Nähe soll das schlesische Heer die Franzosen geschlagen haben.

Doch bevor ich in das Gebiet eindringe, erregt eine Personengruppe an der Ecke Yorckstraße/Slevogtstraße meine Aufmerksamkeit. In Stein gehauen stehen sie da: Eine Frau umringt von Kindern. Nirgendwo ein Hinweisschild. Auf der Hinterseite des Sockels kann ich mit Mühe und Not H J Bomsfer lesen. Zumindest meine ich, dass es Bomsfer heißt. Die Stadtverwaltung klärt mich später auf: Es muss Förster heißen, denn Hans-Joachim Förster schuf diese Sandsteingruppe 1981, deren Aussage sich mir spontan nicht erschließt. Ich laufe die Slevogtstraße Richtung Norden und werde willkommen geheißen. An einer Laterne ist ein Schild der Leipziger Messe angebracht, auf dem eindeutig “Willkommen” in verschiedenen Sprachen geschrieben steht. Wer kam denn auf die Schnapsidee, in der Slevogtstraße Messebesucher zu begrüßen? Mir bleibt wenig Zeit, darüber nachzudenken, denn kurz darauf biege ich in die Diderotstraße ein. Die LE Skatebahn ist mein Ziel.
Gern hätte ich sie mir genauer angesehen, als es das verschlossene Tor zuließ. Der Schaukasten daneben bietet auch nur unzureichende Aushänge. Öffnungszeiten scheint es in dem Sinne nicht zu geben, einzig auf ein Schnuppertraining für Kids montags und mittwochs wird verwiesen.

Fahren könnte ich jetzt sowieso nicht, mein Knie schmerzt. Eine Zyste in der Kniekehle macht sich bemerkbar und das nach drei Stunden und vielleicht gerade mal einem Drittel der Strecke. Bevor ich roste, gehe ich lieber die Treppen hinunter, die mich zur Skatebahn geführt haben. Von hier muss man nur noch die Straße überqueren, um der 68. Mittelschule einen Besuch abstatten zu können. Doch es sind Ferien und außerdem wird hier gerade geräumt, wie es scheint. Die Schule soll ja aus- und in das sanierte Schulgebäude an der Breitenfelder Straße einziehen. Das sogenannte Sachsengras steht allerdings noch reichlich in den Fenstern der Plattenbauschule. Im Wohngebiet haben die Häuser schon mehr Geschosse als noch beim Beimler, Hans, hier ist auch alles verwinkelter.
Die zuständige Postfrau kennt sich naturgemäß gut aus, kurvt sie doch durch das Gebiet als wäre es nichts. Mehrmals kreuzt sie meinen Weg und kommt schließlich kurz vor mir zum Stehen, um ein Schwätzchen mit einem älteren Ehepaar zu halten. Ein Gespräch wie ein Stereotyp für Smalltalk:

Das Ehepaar: “Das Wetter macht einem schon zu schaffen.”
Postfrau: “Uns gefällt es auch nicht, aber wir können es uns nicht aussuchen.”
Das Ehepaar: “Na ja, wir kommen ja kaum raus.”
Postfrau (ins Wort fallend): “Nee, sie kommen ja kaum raus.”
Das Ehepaar: “Na und die Wohnung können wir auch nicht lüften. Das hat ja keinen Zweck. Geht ja kein Wind.”
Die Postfrau (ins gesamte Satzende fallend): “Jaja, nee, nee, das hat ja keinen Zweck.”

Ein herrlicher Dialog.

Mehr zum Thema:

Von Nord nach Süd- die zweite L-IZ.de-Stadttour (6): Leblos in Wahren
Auf meinem Weg durch Wahren …

Möckernscher Markt: Platzfläche zwischen Georg-Schumann-Straße, Slevogtstraße und Knopstraße wird 2014 umgestaltet
Der Bereich zwischen Georg-Schumann-Straße …

Möckern: Die äußere Hülle des Werner-Heisenberg-Gymnasiums wird ab 2014 saniert
Die äußere Hülle des Werner-Heisenberg-Gymnasiums …

KWL warnt vor Trickbetrügern
Aus aktuellem Anlass warnt die KWL …

Grüne zur verschleppten Verkehrsberuhigung in Möckern und Gohlis: Tempo 30 ist ein Muss
Wir brauchen Tempo 30 in allen Wohngebieten …

Tempo 30: Stadtratsbeschluss für Kirschbergstraße und Möckernsche immer noch nicht umgesetzt
Eigentlich hat es der Stadtrat im September …

Fördergebiet Einkaufsstraße: Neues Magistralenmanagement für die Georg-Schumann-Straße
Das Magistralenmanagement Georg-Schumann-Straße …

Von hier aus mache ich mich zu den Plattenbauten in Richtung Süden auf. Schon von Weitem sehe ich eine, für einen Hauseingang ungewöhnliche Ansammlung von Hausrat. Ein Mann im schwarzen Band-T-Shirt, Chucks und Glatze steht davor, dreht sich gerade eine und spricht nebenher mit einer Bekannten, die aus dem Fenster direkt neben dem Hauseingang lugt. Offensichtlich hat er auf die Stadtreinigung gewartet, die nun mit orangefarbenem Vehikel direkt vor seiner Haustür hält. Die Müllmänner richten noch einmal die Handschuhe, dann kann’s losgehen.

Ich halte mich hier weiter auf und laufe an der natürlich zum Wohngebiet dazugehörigen Kaufhalle, heute ein Konsum, vorbei und erreiche den Park neben der Auferstehungskirche. Ich wundere mich doch sehr, dass hier kurz nach 11 Uhr schon eine handvoll Männer mit Flaschengetränk in der Hand um eine Bank herumstehen. Oder gehört das zum Stadtteilbild dazu, was sich zunehmend verschlechtert, als ich wieder die Georg-Schumann-Straße erreiche? Die Auferstehungskirche samt Denkmal für die siegreiche Armee für Yorck und Blücher gehören noch zu den Höhepunkten dieses Streckenabschnitts.

Der Zustand der anliegenden Magistrale schockiert mich einmal mehr. Es ist laut, es ist dreckig, vor verfallenen Häusern wuchert das Gestrüpp empor. Haustüren sind beklebt und beschmiert. Ein Mann versucht, mit einem Spachtel zumindest grob die Aufkleber von einer Haustür zu entfernen. Auf einem Weg Richtung Kirschbergstraße folgt mir ein Mann mit zwei Kauflandtüten in der einen und einer braunen Flasche in der anderen. Er torkelt mir zaghaft hinterher. Wenn ich es nicht selber gesehen hätte, würde ich es für ein Klischee und eine “Story” halten…

Erschreckend allerdings, wie schnell sich ein Stadtbild ändern kann …

Mehr im Internet:
www.kirche-leipzig.de/?ID=4893&kirche_id=219&style=1

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar