Wandernd von Lützschena nach Liebertwolkwitz, das bedeutet 500 Minuten und über 30 Kilometer Wegstrecke. Doch was fällt einem auf, wenn man einen ganzen Arbeitstag auf verschlungenen Wegen nur durch die Stadt läuft? Manchmal wünschte ich mir auf meiner Tour, in der Zeit reisen zu können und denselben Weg vor 100 und vor 200 Jahren laufen zu können, um den enormen Wandel zu begreifen, dem eine Stadt ausgesetzt ist.

Karten können immer nur eine Idee davon geben, wie sich Leipzig verändert hat. Und wer will nicht mal in ein altes Bild springen, um mal “dabei gewesen zu sein”. Aber das ist nur Spielerei, einer der wahnwitzigen Gedanken, die mir auf meiner Tour gekommen sind.

Es entwickelten sich allerdings ob meiner Beobachtungen auch ein paar Fragen:

Erstens: Wo ist eigentlich der Leipziger Einzelhandel hin? Mir scheint, als wenn Einzelhandel heute Handel mit Essen ist. Fressbuden gibt es reichlich in der Stadt, aber wo ist der Tante-Emma-Laden, wo ist der echte Bäcker von nebenan, in dem keine Pauschalkraft, sondern im besten Fall der Besitzer selbst noch bedient, wo der Name noch für Qualität steht? Solche Geschäfte, die feste Teile der Wohngebiete sind, die jeden kennen und die jeder kennt, habe ich auf meiner Tour vermisst. Das Bild wird beherrscht von Discountern, von großen Baumarktketten und von den Branchengrößeren bei den Bäckern, die jeglichen Konsum untereinander aufgeteilt haben.Und wo sind in unserer Stadt eigentlich die Mülleimer? Die leere Waffelröllchen-Packung trage ich von Probstheida bis zum Ortsausgangsschild mit mir herum. Immer auf der Suche nach einem Papierkorb, den man nur an einer Haltestelle findet. Aber es ist doch möglich, dass ich auch in einer Nebenstraße meine Bratwurstpappe oder meine leere Flasche entsorgen will. Als ich wieder zu Hause bin, frage ich bei der Stadtreinigung nach.

“Die Papierkorbentsorgung wird über Steuermittel bezahlt. Das Geld reicht kaum aus, um rund 3.300 Papierkörbe ca. 344.000 Mal pro Jahr zu leeren, den Inhalt zu entsorgen und die (Vandalismus-)Schäden zu beseitigen. Eine Erweiterung der Behälterzahl ist aus finanziellen Gründen nicht möglich”, erklärt mir Ute Brückner.Und weiter: “Die Untersuchungen in Leipzig und in anderen ähnlichen Kommunen haben gezeigt, dass der Papierkorb an sich noch nicht ein Garant für Sauberkeit ist. Viele Bürger lassen die Abfälle fallen, wo sie gerade stehen, auch wenn ein Papierkorb in unmittelbarer Nähe vorhanden ist”, so Frau Brückner weiter. Interessante Studie. Sauberkeit beginnt eben doch mit der Erziehung im Elternhaus.

Für über 30 Kilometer brauchte ich acht Stunden 20 Minuten, binnen vier Stunden bin ich trotz größerer Umwege von Lützschena bis zur Nikolaistraße gelaufen und dann in derselben Zeit vom Augustusplatz bis zum Ortsausgang. Ich habe einmal mehr gemerkt, dass man in Leipzig vieles erlaufen kann. Niemand wird auf die Idee kommen, von Lützschena in die Nikolaistraße zu laufen, statt die Bahn oder das Auto zu nehmen. Aber vielleicht sollte man das Laufen bei den regelmäßig steigenden Preisen im öffentlichen Nahverkehr durchaus als Alternative in Betracht ziehen. Ist umweltschonender und gesünder. In einer Zeit, in der alles in Windeseile passieren muss, kann man auch in einer ruhigen Nebenstraße gut entschleunigen, wie es heute so schön heißt.

Und: Man sieht auch noch mehr von seiner Stadt. Ich weiß nicht, wann ich sonst mal in den Schlosspark Lützschena, den Güntz-Park oder auf den Alten Johannisfriedhof gekommen wäre. Die Stahmelner Straße wäre ich vermutlich nie entlang gelaufen, genauso wenig den Weg rund um das Wohngebiet Franzosenallee. Und hätte ich mich jemals gefragt, wer Josef Sliwanski, Fritz Zalisz, Heinrich Hermann von Claußbruch oder die Hermunduren waren? Hätte ich jemals ins Wahrener Rathaus geschaut?

Mir ist auch bewusst geworden, wie viele Straßen und Häuser es in unserer Stadt gibt, wie viele sogenannte “Dreckecken”, wie viele schöne Seiten sie hat. Zu glauben, dass diese Stadt jemals von allen Problemen und “Dreckecken” befreit ist, ist reine Utopie. Aber die Hoffnung darauf, dass sich die Entscheidungsträger dafür einsetzen, sollte man haben dürfen. Es ist das, was von ihnen erwartet wird – vor allem ist es die Politik, die die Zahl der Probleme durchaus minimieren könnte. Und mit Sicherheit lohnt sich auch für Leipzigs Politiker mal ein langer Spaziergang durch die Stadt, um Leipzig aus anderer Perspektive zu sehen. Dann gehören auch die Zeiten, in denen Stadtbezirksbeiräte nicht mal die Straßen in ihrem Gebiet kennen, der Vergangenheit an …

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