Das, was bleibt, wenn man alle Mauern einreißt, hinter denen man die eigene Persönlichkeit vor den Gefahren unserer Zeit zu schützen versucht, wenn man sich all der Masken entledigt, nach denen unsere Gesellschaft immer mehr verlangt, das ist, was etwas über einen Menschen sagt. Leider bleibt nur von den wenigsten Menschen nach Entfernen von Mauern und Masken noch etwas übrig. (Roland Hemmpel - 2006)

Ich habe in meinem Leben viel erlebt, Positives wie Negatives, das ist der Grund warum ich gleich im ersten Absatz polarisiere, mir ist es inzwischen weitestgehend egal ob ich mit meinen Worten dem Rest der Welt auf die Füße trete oder nicht. Ich habe die gutbürgerliche Fassade des gepflegten Mittelstandes der 80er Jahre zusammenbrechen sehen, durfte als Jugendlicher erfahren was sich wirklich dahinter abspielt. Damals gab es RTL 2 noch nicht, sonst hätte man daraus sicher ein Serienformat fürs Vorabendprogramm gemacht.

Ich weiß wie es ganz unten am Boden aussieht, war mit dem “Bodensatz” per Du und habe dazu gehört. Nicht sonderlich schön dort, stickig, dreckig, raues Klima und doch herrscht eine gewisse Verbundenheit und Hilfsbereitschaft untereinander. Ich habe “Höhenluft geschnuppert” als Jungunternehmer in den entsprechenden Kreisen, in unmittelbarer Nähe Deutschlands größter Finanzmetropole Frankfurt am Main. Designeranzug, Breitling am Arm, 5er BMW, alles geliehen und gemietet natürlich, aber das interessierte niemanden, es zählte was man darstellt… Die Luft dort oben ist äußerst dünn und sie stinkt.

Ich habe auf Risiko gespielt, habe gewonnen und verloren, bin auf die Nase gefallen, wieder aufgestanden und habe weiter gemacht… in mehreren Lebensbereichen und natürlich nicht zeitgleich, wäre ja zu einfach.

Nein, das ist kein Lamentieren wie böse doch das Leben zu mir war, das war es nie. Ich will diese Erfahrungen auf keinen Fall missen, keine Einzige, sie schärfen den Blick auf das was einem wirklich etwas bedeutet. Man muss nur hinsehen.
Als ich 2008 aus der südhessischen Kleinstadtidylle nach Leipzig zog wusste ich nicht was mich erwartet. Man bricht ja schließlich nicht alle Tage sämtliche Zelte hinter sich ab und fängt mal eben so 500 km weiter ein komplett neues Leben an. Aber es war notwendig um nicht die eigene Persönlichkeit unwiderruflich hinter dicken Mauern eines gutbürgerlichen Klischees einzukerkern. Den ausschlaggebenden Impuls mit der Entscheidung für den Zielort, nämlich Leipzig, setzte letzten Endes dann die tollste Frau der Welt als sie hier eine Promotionsstelle bekam. Gegangen wäre ich aber auf alle Fälle, raus aus dem Leben das sich wie das eines Anderen angefühlt hat.

Es hat funktioniert. Hier in Leipzig kann ich meine, zugegeben etwas schwierige und schräge Persönlichkeit entfalten und mich sogar als Künstler ausprobieren. Man wird hier nicht komisch angesehen wenn man(n) mit langen Haaren im schwarzen Ledermantel durch die Stadt läuft. Man wird hier nicht gemieden, wenn man nicht den Humor des gesellschaftlichen Durchschnitts hat… Mario Barth fand ich noch nie witzig und Stefan Raab… ach lassen wir das, sonst werde ich beleidigend.

Nein, in Leipzig kann ich mich entfalten und einfach so sein wie ich will. In Leipzig kann ich mich als Grafiker und Fotograf selbständig machen und trotzdem exzentrisch sein, auch wenn das heißt nicht zu jedem potentiellen Kunden kompatibel zu sein. In Leipzig reicht mir ein mittleres dreistelliges monatliches Einkommen zum Leben, nicht luxuriös, dafür glücklich. Ich brauche kein smartes Telefon, bin so schon beruflich genug im Web unterwegs. Ich brauche keinen Laptop mit einem angebissenen Apfel drauf, ein weniger hippes Gerät kann das gleiche. Ich brauche auch keinen Großbildfernseher mit wer weiß wie vielen hundert Kanälen, ich schaue “Leben” nicht Fernsehen. Denn die Bildqualität ist um Längen besser als Full-HD und man hat echten Surroundklang, nicht so eine billige Dolby-Simulation.

Genau das ist es was Leipzig ausmacht. Leipzig ist einfach anders, Leipzig ist offen, vielseitig, bunt und tolerant… zumindest meistens. Wenn nicht mal wieder ein paar aufgespießte Schweineköpfe auf einem Grundstück hinterlassen werden auf dem eine Moschee gebaut werden soll, oder Familien mit Kindern die aus einem Kriegsgebiet (!) geflohen sind, mit Fackeln und Hassparolen begrüßt werden. Das sind dann Dinge die ich nie verstehen werde. Ich meine das löst doch keine Probleme, es schafft höchstens neue.
Was rede ich? Ich bin ja bloß ein komischer Kreativer der gerne Schwarz trägt und sich in der Regel erst mal anschaut wer da neu ankommt, bevor er entscheidet ob er das jetzt blöd findet oder nicht. Meiner Meinung nach eine gute Taktik. Lösungsorientiert, auf die Weise lernt man übrigens coole Leute kennen und kann Konfliktpotential im Vorfeld friedlich klären indem man einfach mal offen ist. Ein Grund warum ich die Initiative “Leipzig hilft” bewundere und gelegentlich auch selbst unterstütze. Aber irgendwie ist das mit dem lösungsorientierten Denken sowieso recht schwierig, nicht nur in der angesprochenen extremen Ecke (und in der gegenüber genauso).

Auch in der Politik tut man sich allgemein recht schwer damit sinnvolle, praktikable und vor allem nachhaltige Lösungen zu schaffen. Es gibt unzählige Beispiele auf Bundes-, Landes- und regionaler Ebene. Das Hochwasser im Frühjahr 2013 hat dies aber besonders veranschaulichend bewiesen. Nachhaltiger Hochwasserschutz funktioniert nur über Regions- und Landesgrenzen hinaus. Es nützt nichts immer höhere Dämme zu bauen, umso mehr Probleme bekommt die nächste Region flussabwärts und wehe so ein Superdamm bricht doch mal… um so verheerender sind dann die Folgen.

Es hat den Anschein als denken sich diverse Entscheidungsträger im wahrsten Sinne des Wortes “nach uns die Sintflut”, sie verlagern Probleme nur, lösen sie aber nicht. Nachhaltiger Hochwasserschutz braucht Ausgleichsflächen, viele und große Ausgleichsflächen. Ja dann macht das doch endlich und lasst Euch nicht, wie irgendein unbekannter Lokalpolitiker (dessen Name mir inzwischen wieder entfallen ist) von “rechtlichen Belangen” davon abhalten. Auf Bundes- bzw. internationaler Ebene ist es doch auch kein Problem für unsere ach so fähigen Politiker sich mal eben ihre eigene Rechtsgrundlage zu basteln.

Aber anscheinend sind internationale Überwachungsabkommen wie ACTA oder Konzernsponsoring wie TTIP, jeweils nebst der Entmündigung der Bevölkerung, wichtiger als Existenzen und Menschenleben.

Nein, die Welt ist nicht perfekt und das Leben kann zuweilen echt anstrengend sein. Es gibt viel zu kritisieren und viel zu tun um unsere Probleme aus der Welt zu schaffen aber genau das ist der Reiz an der Sache.

Früher wollte ich einfach nur schnelle Kohle machen, das war mein Traum. Die bracht man ja schließlich um immer mehr, immer besseren, immer schnelleren und immer den neusten Krempel zu haben der einen nur davon abhält wirklich zu leben.

Heute versuche ich auf verschiedene Arten Menschen zu inspirieren. Durch meine Arbeit, durch Gespräche, Vereinsarbeit, “böse” Beiträge in sozialen Netzwerken oder durch diesen, für den ein oder anderen sicher recht schrägen, geistigen Erguss in einer meiner Lieblings-Beitragsreihen der L-IZ.

Ich sehe täglich Menschen die gelangweilt sind, unzufrieden, gar lethargisch und denke mir “na dann ändert doch was daran…”, aber vielen fehlt einfach die nötige Inspiration, der kleine Stups der den Stein ins Rollen bring. Sollte ich es geschafft haben mit meinen Worten auch nur einen Menschen auf eine Art und Weise inspiriert zu haben, dass ein Stein ins Rollen kommt und ein Loch in eine Mauer reißt, dann hat sich mein Traum für dieses Jahr erfüllt. Schaut durch das Loch nach draußen, da ist das Leben, das ist der Stoff aus dem Träume gemacht sind.

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