Wir sind das Volk! Alle Jahre wieder wird vor allem in Leipzig am 9. Oktober der Friedlichen Revolution von 1989 gedacht. Die Losung ging um die Welt. Dass dieser epochemachende Spruch allerdings einem Flugblatt von Pfarrer Christoph Wonneberger in modifizierter Form entnommen wurde, wissen viele nicht. Und auch sonst ist die Figur des Pfarrers, der die Friedensgebete ins Leben gerufen hat, wenig bekannt.

Wonneberger wurde am 5. März 1944 in Wiesa geboren und kam über die Umwege Taucha und Dresden nach Leipzig. Stark engagiert in der offenen Jugendarbeit stieß er immer wieder auf die Widerstände der zweiten deutschen Diktatur, ohne sich von diesen in seiner Arbeit beeinträchtigen zu lassen. Im Buch “Widerstehen. Pfarrer Christoph Wonneberger” skizziert Anderas-Peter Pausch die Lebensstationen im Wirken des Mannes, der für viele unsichtbar blieb. Wir haben mit dem Autor des Buches gesprochen:

Wie kam es zu der Idee, ein Buch über Christoph Wonneberger zu schreiben?

Das Vorhaben entstand in Zusammenarbeit mit dem Archiv Bürgerbewegung, für das ich schon andere Projekte realisiert habe. Christoph Wonneberger ist nach 1989 infolge eines Schlaganfalls über zwanzig Jahre in Vergessenheit geraten. Weil die Person für die Entwicklung der Friedlichen Revolution alles andere als unwichtig ist, haben wir überlegt, wie wir Wonnebergers historische Leistung würdigen können. Es kam dann ziemlich schnell zu der Idee, eine Publikation zu entwickeln.

Welche Quellen und Materialien wurden im Zuge der Recherchen verwendet?

Es gibt vereinzelt Interviews aber keine Primärliteratur. Ich habe einen zweifachen Weg gewählt. Einmal habe ich ein Interview verwendet, das im Archiv Bürgerbewegung bereits 2008 geführt wurde. Andererseits war für mich als Sozialwissenschaftler und Historiker klar, dass ein Aktenstudium unumgänglich ist, um aufzuzeigen, wie Konfliktreich das Wirken von Wonneberger war.

Bei dem Archivgut aus acht Archiven musste natürlich sorgsam ausgewählt werden. Vor allem bei den Stasiakten, weil in diesen immer versucht wurde, Sachverhalte so darzustellen, dass sie der beobachteten Person zum Nachteil gereichen.

Darüber hinaus gab es zwei Gespräche mit Wonneberger, um Lücken zu Füllen und Detailfragen zu klären. Den engen persönlichen Kontakt gab es allerdings nicht. Der Blick von außen spielte schon eine große Rolle.

Dazu gibt es noch kurze Beiträge von Wegbegleitern, die aus verschiedenen Lebensphasen stammen. Darunter ist auch Erhardt Eppler, der als ehemaliger Bundesminister Wonneberger zum alternativen “statt”-Kirchentag getroffen hat. Dieser Besuch war für ihn sehr prägend, wie er schreibt. Denn bereits im Juni 1989 wurden im Rahmen einer öffentlichen Podiumsdiskussion dort Wege zur Deutschen Einheit aufgezeigt.

Was macht Wonneberger so besonders, was sind seine herausragenden Leistungen?
Eine der wichtigen Ideen Wonnebergers war die Initiative Sozialer Friedensdienst, die als Gegenbewegung zur allgemeinen Wehrpflicht konzipiert wurde. In der DDR gab es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Es gab allerdings die Bausoldaten, die den Waffendienst aus beispielsweise religiösen Gründen verweigern konnten, aber trotzdem dem Kriegshandwerk dienen mussten.

In den sozialen Bereichen wurde im Gegensatz zur Aufrüstung kein Geld ausgegeben. Diese Erscheinung hat Wonneberger aufgegriffen und seine Idee vom Sozialen Friedensdienst entwickelt. Durch erheblichen Druck seitens der SED auf die Kirchenleitung musste er dann Teile seiner Idee aufgeben. Seitdem stand das Thema jedoch auf der Agenda der alternativen Friedensbewegung.

Im Rahmen des Sozialen Friedensdienstes entstanden auch die sogenannten Friedensgebete. Allerdings hatten die Gebete Anfangs noch nicht die politische Sprengkraft, wie später. Die Form der politischen Friedensgebete als Ort der politischen Meinungsäußerung ist seine Idee.

Wonneberger hat mit seiner Tätigkeit immer auch versucht die gesellschaftskritischen Kräfte in der Dresdner Weinbergsgemeinde oder in der Leipziger Lukaskirche mit einzubinden. 1987 übernahm er die Friedensgebete in der Nikolaikirche, baute diese zum einem Zentrum oppositioneller Gruppen aus und vereinte diese mit ihren unterschiedlichen Forderungen.

Darüber hinaus muss man anerkennen, dass Wonneberger gegen starke Widerstände die Freiheitsrechte einforderte und das Land verbessern wollte, dessen legitimatorische Defizite er klar erkannt hat.

Welche Rolle spielte die Kirche im Zusammenhang mit der Protestbewegung 1989? Wie ist die Rolle zu bewerten?

Eine andere Organisation kam gar nicht in Frage. Keine Organisation konnte Andersdenkende integrieren, wie es die Kirche tat. Für die oppositionellen Kräfte war es auch rein räumlich ein Ort, an dem man sich treffen, seine Meinung kundgeben und eine Form der Gegenöffentlichkeit schaffen konnte.

Es wurde und wird gern geschrieben, dass unter dem Dach der evangelisch-lutherischen Kirchen sich alle versammeln konnten. Das ist allerdings zu allgemein gefasst. Auch innerhalb der Kirche gab es Kräfte – neben den IMs auch konservative Kreise, die die kritischen Köpfe nicht gern gesehen haben.

In Zwickau wurde beispielsweise eine Ausstellung der Frauengruppe FEMI von innerkirchlichen Kritikern zerstört. Themen wie Schwangerschaftsabbrüche waren auch dort nicht erwünscht.

Insgesamt handelte es sich um ein sehr konfliktreiches Verhältnis. Es ist nicht so, dass die gesamten Evangelische Kirchen mit offenen Armen aufriefen, in die Kirchen zu kommen und Gesellschaftskritik zu üben.

Sie haben mit Ihrem Buch einen Beitrag zur Erinnerungskultur geleistet. Wie bewerten Sie die Erinnerungskultur bezüglich der DDR-Vergangenheit?

Es gibt einige Institutionen die sich in Leipzig sehr intensiv mit diesem Thema befassen. Dazu gehört natürlich das Archiv Bürgerbewegung, das Museum an der Runden Ecke und das Zeitgeschichtliche Forum. Und es gibt natürlich auch das Lichtfest.

Wäre es nicht jenseits der massentauglichen Bilder wichtiger auch die Hintergründe stärker in den Vordergrund zu rücken?

Natürlich sollte man das Thema anhand verschiedener Projekte vertiefen. Besonderes Interesse gilt den Personen, die hinter der Bewegung stecken. Das Nahebringen eben dieser Personen demokratisiert die Angelegenheit enorm.

Wer es mag soll gern ein Denkmal setzten. Das kostet viel Geld, das gern auch in anderer Form verwendet werden kann. Vor allem im schulischen Bereich zum Teil auch an Universitäten sehe ich große Defizite was die Aufarbeitung der DDR-Geschichte angeht. Es fehlen Angebote für die jüngere Generation. Es wäre schön, wenn Projekte wie beispielsweise das Wonneberger-Buch in den schulischen Bereich eindringen würden. Aber da fehlt leider noch das Interesse.

Andreas Peter Pausch ist Historiker, Kultur- und Politikwissenschaftler. Der 1971 in Weimar geborene Autor hat bereits mehrere Ausstellungen zur Zeitgeschichte, Zeitzeugen- und Archivprojekte für das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V., für die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Zeitgeschichtliches Forum Leipzig und für die Robert-Havemann-Gesellschaft Berlin konzipiert. Neben seinem neusten Buch erschien 2004 “Waffendienstverweigerung in der DDR: … das einzig mögliche und vor dem Volk noch vertretbare Zugeständnis”.

Andreas Peter Pausch, Metropol-Verlag 2014, 22,00 Euro

Zum Metropol-Verlag im Netz: www.metropol-verlag.de

 

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