Die Flamingos im Leipziger Zoo haben es derzeit nicht leicht. Da haben sie sich nun jahrelang als rosarotes "Begrüßungskomitee" am Beginn des Zoo-Rundganges bewährt, standen tapfer auf einem Bein in ihrem kleinen Bassin, das eigentlich eher für drei, vier Goldfische ausgelegt war. Und nun mussten sie umziehen. In einen sonnigen Stall, wo nix los ist. Nur am Freitag ging mal die Tür auf und hundert Kameraobjektive erschreckten die Vögel: Was ist los? Was soll das?

Die Presse durfte mal kurz gucken: Sie sind noch da. 83 an der Zahl. 71 Chileflamingos, acht Kubaflamingos und vier, die immer übrig bleiben, wenn durchgezählt wird. Oder zwei Mal gezählt werden, weil sie gewackelt haben. Was auch nicht so wichtig ist: Hauptsache, es gibt genug Fische für 83 Flamingos. Und mal wieder ein bisschen Auslauf. – Sachte, sagt Zoodirektor Jörg Junhold. Das braucht Zeit. “Wir werden die Vögel in den nächsten Tagen nach und nach an ihr neues Domizil gewöhnen.”

Fertig ist es schon. Und zu viel versprochen hat Dr. Jörg Junhold auch nicht vor zwei Jahren, als er nonchalant das Bild an die Wand warf: Hier kommt eine große Lagune hin. Ein großes Netz drüber. Gibt’s zwar noch nirgends so, kriegen wir aber hin. Denn: Flamingos können fliegen.

Sollen sie in Leipzig auch. Ab jetzt. Wenn sie sich raustrauen aus ihrem Stall in die neu gebaute Lagune, 1.500 Quadratmeter groß, mit einem Holzsteg in der Mitte, über den die Menschen laufen dürfen und staunen. Einmal unter lauter Flamingos sein! In Leipzig ist das in den nächsten Tagen möglich. Auch wenn es ein bisschen Zeit braucht. Flamingos sind nicht so mutig wie Pfeifenten. Die haben sich am Freitag, 18. Juli, schon wagemutig in den neuen Pool gestürzt. Ihnen ist ziemlich egal, ob Trubel ist – Hauptsache Wasser. Da pfeift man vor Freude. Und freut sich, weil keine Flamingobeine die gute Aussicht versperren. Alles ist neu.
Der Termin wurde gehalten. “Wir wollten unbedingt zum Ferienbeginn fertig sein”, sagt Zoodirektor Jörg Junhold an diesem Freitag, 18. Juli, zur Mittagsstunde bei 29 Grad Celsius, die sich wie 39 anfühlen. Ein halbes Stündchen wird das zur Eröffnung geladene Publikum in der Sonne gegrillt. Oder lässt sich grillen. Denn der Zoo hat drei brasilianische Samba-Tänzerinnen bestellt, die das Publikum unterhalten, bis alle wichtigen Gäste da sind – die Sozialministerin, der Oberbürgermeister, die Landtagsabgeordneten, die Freunde vom Freundeskreis. Die Presse ist sowieso da. Und bekommt erst mal drei sportliche Tänzerinnen vor die Linse, bis die Speicherkarte voll ist.

Dann kommen die Reden. Reden müssen sein, wenn Dinge fertig sind. Aber Obacht: Es könnte noch kleben unter den Schuhsohlen. Denn der Fertigstellungstermin war mehr als sportlich. Der letzte Beton wurde erste eine Stunde vor Eröffnung zwischen die Steine geschmiert. Das letzte Baufahrzeug bekam gerade so die Kurve. Und auch Irmela von Nordheim von DNR Daab Nordheim Reutler fand das sportlich. 16 Monate hat das Projekt für das neue Teilstück des Leipziger Zoos auf der Südseite der Parthe gebraucht von Planung, Projektierung, Baubeginn im September 2013 bis zur Eröffnung am Freitag. Zehn Monate reine Bauzeit.
Der erste Teil von Südamerika ist nun fertig. Deswegen auch die brasilianischen Samba-Klänge. Oder waren es kubanische?

Architektin Irmela von Nordheim jedenfalls fand es sportlich, auch weil es immer wieder Druck gab: Die Anlage muss fertig werden bis zu den Ferien. Ferien sind Hochzeit im Zoo. Da muss was gezeigt werden! – Und das Leipziger Zoo-Publikum hat sich daran gewöhnt, dass es immer wieder Neues gibt, seit Jörg Junhold mit großer finanzieller Unterstützung der Stadt den “Zoo der Zukunft” baut. Nicht allein. Er verliert jetzt seinen besten Mann: Rasem Baban. Seit 2002 war Baban beim Zoo Leipzig, war als Prokurist der Stellvertreter von Junhold und hat einzelne Projekte wesentlich vorangetrieben. Auch das größte. Junhold nennt ihn deshalb “Mr. Gondwana”. Ab 1. August ist Bavan Direktor des Münchner Tierparks Hellabrunn. Dort ist man froh, so einen hochkarätigen Mann bekommen zu haben, nachdem man seinen eigenen hochkarätigen Direktor – Dr. Andreas Knieriem – an Berlin verloren hat. In dieser Liga spielt der Leipziger Zoo. Die Mühe und das Geld, das Projekt “Zoo der Zukunft” zu starten, zeigen Wirkung.

Auch bei den Besucherzahlen, die seit Eröffnung von Gondwanaland zeitweise über 2 Millionen stiegen. 2013 waren es etwas über 1,8 Millionen. Aber daran war wirklich der lange, ewige Winter schuld, der vor allem das Osterfest vermasselte – und damit die Besucher abschreckte.

2014 war der Start sonniger. Gleich im Frühjahr konnte die neue Amurleopordenanlage in Betrieb gehen.
Und die Flamingos können auch pünktlich umziehen. Wenn sie denn wollen. Das weiß man noch nicht. Aber warum sollte es ihnen nicht gefallen? Die 1.500-Quadratmeter-Lagune ist in lichter Höhe von einem feinen Drahtnetz überspannt. Zehn Meter hoch. Da kann man schon ein Stückchen flattern. Das Netz fällt kaum auf. Nur wenn man den Masten mit dem Blick folgt, die wie schiefe Lagunenbäume aussehen, bemerkt man es. Irmela von Nordheim nennt es ein “Forschungsprojekt Netz für die Voliére”. Denn das Netz sorgte zwischenzeitlich für einigen Trubel: Woher nehmen, wenn’s das nicht im Baumarkt gibt?

Mit dem Rochlitzer Porphyr, der jetzt das Gebäude des Zoo-Shops umkleidet, war es einfacher. Den gibt es ja quasi in der Region. Man muss nur genug davon bestellen.

Der Zoo-Shop stand noch bis Sonntag, 13. Juli, in der alten Einflugschneise des Zoos. Ein Container war das mit rund 100 Quadratmetern Fläche. Praktisch über Nacht wurde er leer geräumt, weggeräumt und die Fläche gesäubert. Und über Nacht wurde der neue Zoo-Shop im neuen Gebäude am Südufer der Parthe eingeräumt, fast fünf Mal so groß: 460 Quadratmeter mit allem, was einen Zoobesucher begeistern könnte, wenn er Abschied nehmen muss. Denn eigentlich ist der Shop jetzt der neue Ausgang des Zoos. Wer hier – schwer bepackt mit Flamingos, Äffchen und Faultieren – ins Freie tritt, steht auf der neu gebauten Brücke über die Parthe. Steinwürfel laden noch mal zum Verschnaufen ein. Und auf der Ostseite eine Bank am Geländer.
Das Eröffnungspublikum durfte am Freitag die andere Richtung nehmen: erst drei feurige Tänzerinnen, dann drei feurige Reden, dann Band durchschnippeln und dann in den Shop, Flamingos bestaunen, die es hier in allen Rosatönen gibt, auch wenn in der Lagune noch keine zu sehen sind. Tritt man zooseitig aus dem Shop, kommt man auf einen kleinen südamerikanischen Marktplatz. Man soll spüren, dass man hier im Thementeil “Südamerika” des Leipziger Zoos ist, sagt Junhold. Sogar ein alter, bunter Schul- und Überlandbus steht da.

Hier kann man noch ein bisschen Siesta machen am Ende seines Zoorundgangs. Und das Geld zählen, bevor es mit den Kindern durch den Zoo-Shop geht. Um die Ecke findet man hier auch die dazu gehörenden südamerikanischen Toiletten. Und durch einen der schon bekannten Felsentunnel kommt man hier in die Lagune. In ein paar Tagen wird man hier seine Freude haben an den rosa Wattebäuschen über dem Wasser, den Flamingos. Für die sich OBM Burkhard Jung regelrecht begeistern kann. Denn Flamingos sind sehr symbolische Vögel. Mit ihren eleganten Hälsen formen sie herrliche Liebessymbole. Ab und zu ist das auch im Leben von Oberbürgermeistern wichtig.

Und die Vögel beherrschen eine große Kunst: stundenlang auf einem Bein zu stehen. Ein Vorbild für viele Lebenslagen, meint Burkhard Jung.

Auf einem Bein aushalten und das Gleichgewicht wahren, bis es endlich weiter geht. Oder bis man die Luft rauslassen kann. Politik als Balancierkunst. Wieder was gelernt.

Aber es sind trotzdem noch keine Flamingos da. Die frisch gebackene Lagune ist leer. Bis auf ein Pfeifen von Zoodirektor Jörg Junhold die ersten Bewohner ins Becken dürfen: acht Pfeifenten, die gleich mal hören lassen, warum sie so heißen. Ihnen werden noch weitere Vögel folgen – Sichler und Löffler. Und – wenn sie sich trauen – 71 Chileflamingos. Waren es nicht 83? – Nein: Acht kommen aus Kuba und das zählt – sehr zum Bedauern von Fidel und Raul Castro – nicht zu Südamerika, sondern zu Mittelamerika. Also müssen die Kubaflamingos in den nächsten Tagen ihre Koffer packen und sich neue Tierparks suchen. Was packt ein Flamingo in seinen Koffer?

Aber wer füllt die Lücke? – Das sollen die Chileflamingos selber tun. In der Volière ist Platz für 100 Flamingos, sagt Jörg Junhold. 150, sagt er. Es könnten auch mal 200 werden. Die Population ist groß genug. Da können jetzt ruhig ein paar Liebschaften entstehen. Die Meldungen aus dem Zoo könnten wir ja schon auf Vorrat schreiben: “Nachwuchsfreuden bei den Chileflamingos!”

Westlich der Lagune sieht es dann wieder sehr bekannt und vertraut aus. Hier wird künftig noch gebaut. Robben und Pinguine sollen ja auch noch einen neuen Tobeplatz bekommen.

Aber die Baumannschaft ist erst mal fertig. Am Ende war’s – so Irmela von Nordheim – wie eine Weltmeisterschaft. Drei Tage mit Nachtschicht – ohne Nachspielzeit und Elfmeterschießen. Trotzdem alles fertig: 4.200 Quadratmeter neu bebaut und gestaltet für 4,9 Millionen Euro. Der Zoo-Shop ist jetzt nicht nur der größte Plüschtier-Supermarkt der Stadt. Er hat jetzt auch eigene Geschäftsräume im ersten Stock des Gebäudes. Alles passt sich recht harmonisch in das Ensemble alter Zooeingang und Kongresshalle ein. Sagt die Architektin. Wer’s selber beurteilen will, muss schon selber hingehen und sich das anschauen. Vielleicht so Ende nächster Woche, wenn damit zu rechnen ist, dass die ersten 71 mutigen Flamingos in ihrer Lagune stehen und sich wundern, wie groß die Welt sein kann und wie hoch.

Und weil man hier am Ende des Rundgangs durchkommt, ist das ein schöner rosa Moment zum Verharren und Nachdenken. Bevor man wieder hinüber wechselt in die Welt der Menschen.

Weitere Infos zum Zoo
www.zoo-leipzig.de

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