Es ist irgendwie eine kuriose Situation in Leipzig. Vermutlich, so legen es zumindest derzeit anonym verbreitete Bekennerschreiben nahe, entlud sich kurzzeitig die Frustration wegen einer verfahrenen Asyl-Situation in Berlin-Kreuzberg auch in Leipzig. Zumindest attackierten in der Nacht des 27. Juni Unbekannte das Technische Rathaus, in welchem die Ausländerbehörde untergebracht ist mit Steinen, Flaschen und Farbe. Was hier als Verärgerung gegen behördliches Handeln gemutmaßt werden könnte, traf irgendwie auch auf einmal die Geschäftsstelle der Leipziger Grünen. Wen dies irritiert, der liegt wohl richtig. Jürgen Kasek, Sprecher der Grünen Leipzig jedenfalls versteht die Motivation der Täter kaum.

Verstehen Sie diesen Anschlag der offensichtlich linken Täter in Leipzig auf die Grünen-Geschäftsstelle?

Viele von uns können die Wut über das Geschehen in Berlin nachvollziehen. Unser Leitsatz ist kein Mensch ist illegal und viele Parteimitglieder sind in Flüchtlingsinitiativen engagiert auch und gerade in Leipzig. Den Anschlag kann ich persönlich nicht nachvollziehen und glaube, dass er all denen, die mit Mitteln des zivilen Ungehorsams protestiert haben und all jenen die sich für eine andere Asylpolitik einsetzen einen Bärendienst erweist.

Im anonymen Bekennerschreiben heißt es “Refugees Welcome” – wie stehen die Leipziger Grünen zu diesem “Schlachtruf”?

Ich kann immer nur wieder darauf verweisen, dass viele Mitglieder und der Kreisverband die Initiativen unterstützt haben, Kontakt zu Flüchtlingsheimen aufgebaut haben, dort Spenden gesammelt haben und immer wieder ihre Stimmen gegen Rassismus und für menschenwürdige Zustände erhoben haben. Auch wir stehen hinter dem Slogan “Refugees Welcome” aus Überzeugung heraus, dass Geflüchtete, Menschen, die aus Hunger und Not und nicht selten aus Angst um ihr Leben zu uns kommen, unsere Solidarität verdienen. Das alles klammert das Bekennerschreiben aus, das nichts außer Wut artikuliert, frei von jeder notwendigen Reflektion und Analyse.

Sie haben sich immer auch persönlich für das Recht auf Asyl eingesetzt, auf Demos, in Debatten. Wie bewerten Sie den Angriff auf die Geschäftstelle der Grünen in Leipzig persönlich?

Mit dem Angriff sind ja alle gemeint die bei den Grünen in Leipzig sind, viele davon, siehe oben, persönlich engagiert für Flüchtlinge. Ich persönlich kann die Wut verstehen, aber die Sachbeschädigung ist eben keine Lösung sondern eine Narretei, eine Dummheit die das Gegenteil des Angestrebten erwirkt. Wer aus Solidarität zu den Mitteln der Sachbeschädigung greift, gibt denjenigen Argumente die für eine Verschärfung sind und für ein härteres Vorgehen der Polizei.

Zum vermutlichen “Grund” für die Anschläge auf das Technische Rathaus und die Geschäftsstelle der Leipziger Grünen – die Flüchtlingsproblematik in Berlin Kreuzberg. Soweit bekannt ist, handelt es sich bei dem Thema vorrangig um ca. 40 Personen, deren Asylbewerberanträge bereits abschlägig beschieden wurden. Was hätte die Kreuzberger Bürgermeisterin anders, besser machen können, als es hieß, die Unterkunft in der Ohlauer Straße sei zu räumen?

Der Leiter des Bauamtes hat ein Amtshilfeersuchen an die Polizei gestellt, die daraufhin tätig geworden ist. Dass hätte nicht geschehen dürfen. In unserem Programm steht der Leitsatz, dass kein Mensch illegal ist und es wird ausdrücklich klar gestellt, dass sich die Betroffenen zu Recht gegen behördliche Schikanen und staatliche Ausgrenzung wehren. Allerdings muss man in diesem Zusammenhang auch sehen, dass es vor allen Dingen Berlins Innensenator Henkel (CDU) war, der immer wieder die Räumung und ein brutales Vorgehen forciert hat.

Fakt ist, dass die Polizei dem Bezirk ein Ultimatum nach der Besetzung der Schule gestellt hat und dass die Grünen in Berlin sich offensichtlich uneins waren. Wer hier die Grünen einseitig für alles verantwortlich macht klammert den strukturellen Rassismus der Behörden aus und entlässt die Landesregierung, die das Problem hätte lösen können, aus der Verpflichtung.

Wie ist die grundsätzliche Verteilung der Befugnisse zwischen einem Bürgermeister einer Stadt/eines Stadtteils und dem jeweiligen Innenministerium des Landes (Berlin/Sachsen) bei sogenannten “Abschiebeverfahren”?

Dass Asylverfahrens- und Aufenthaltsgesetz sind Bundesgesetze. Bedeutet, dass die Prüfung ob einem “Ausländer” politische Verfolgung droht, ausschließlich dem Bundesamt für Migration und ggf. den Verwaltungsgerichten obliegt. Die Asylsuchenden werden nach einem bestimmen System (“Königssteiner Schlüssel”) verteilt. Die Länder regeln über die jeweiligen Flüchtlingsaufnahmegesetze (in Sachsen SächsFlüAG), die Verteilung und Unterbringung. Das Ausländeramt der Stadt Leipzig ist für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Gesetz über Aufenthalt (AufenthaltsG), die Erwerbstätigkeit und Integration in die Stadt Leipzig zuständig. Bedeutet Asylanträge werden grds. beim BAMF gestellt und bearbeitet.

Dass Abschiebeverfahren, die Ausweisung, ist ein ausländerrechtlicher Verwaltungsakt nach dem Aufenthaltsgesetz der die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes beendet und zur Ausreisepflicht führt. Die Abschiebung ist dagegen ein Zwangsmittel, aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz, mit dem der unrechtmäßige Aufenthalt beendet wird. Allerdings hat die Behörde ein Ermessen und kann den weiteren Aufenthalt dulden, vgl. § 60 a Abs 2 S. 2 AufenthG.

Für eine geplante Festnahme und gewaltsame Abschiebung bedarf es dagegen vorher eines richterlichen Beschlusses. Die Innenministerien der Länder sind dabei die jeweils oberste Ausländerbehörde und damit für alle Grundfragen zuständig. Im Ergebnis haben die Städte oder im Berliner Fall einzelnen Bezirke kaum Spielraum.

Welche konkreten Möglichkeiten hat ein Bürgermeister, also analog auch in Leipzig, die Verfahren von Asylbewerbern nach bestehender Rechtslage zu beeinflussen, wenn die Anträge durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abschlägig beschieden wurden?

Wenn die Ausreisepflicht besteht, kann die jeweilige Ausländerbehörde das ganze wie schon gesagt noch dulden. Wie die Abschiebungen umgesetzt werden und wie der Ermessensspielraum ausgeübt wird, kann das jeweilige Bundesland durch eine Verordnung regeln. In Sachsen beispielsweise brüstet sich der Innenminister damit, dass Flüchtlinge hier besonders schnell abgeschoben werden, auch im Winter.

Dass dabei Familien zerrissen werden und zum Teil die Verfahren noch gar nicht abgeschlossen sind, spielt da keine Rolle. Was die Stadt kann ist das was sie im maßgeblichen Stadtratsbeschluss zur Unterbringung von Berechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz getan hat.

Festlegen, dass die Unterbringung menschenwürdig sein muss. Aber wie gesagt im Prinzip ist ein Großteil der Asylgesetze von einem strukturellen Rassismus durchzogen. Im Ergebnis ist die Stadt oder eben der Bezirk nur ausführende Ebene ohne eigene Befugnisse. Dass Problem in Berlin war, dass durch den Kompromiss vom Oranienplatz Hoffnung entstanden sind, die der Bezirk angesichts der Berliner Landesregierung und des CDU geführten Innensenats gar nicht halten kann. Dass Problem an der Stelle heißt, man muss es so deutlich sagen, Deutschland.

Welche Mittel und Wege stehen nach einem abschlägig beschiedenen Asylantrag dem Betroffenen oder den Unterstützern offen?

Die Wege des normalen Verwaltungsverfahrens, bedeutet Widerspruch, der keine aufschiebende Wirkung entfaltet und Klage vor den Verwaltungsgerichten. Die Unterstützer können die Betroffenen im Verfahren unterstützen und müssen vor allen Dingen versuchen Druck zu entwickeln um dadurch die Tür für eine Duldung zu öffnen. Gewalt oder Sachbeschädigung bewirkt da eher das Gegenteil.

Soeben wurden die Einreiseländer Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina in einer Novellierung des Asylgesetzes im Bund als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Im Weiteren sollen ca. 300 Bearbeiterstellen im Bund mehr geschaffen werden, um die steigenden Asylbewerberzahlen zu bearbeiten. Wie bewerten die Leipziger Grünen diese Schritte auf Bundesebene?

Wir lehnen diese Regelung ab, da die Rechtsfolge ist, dass politische Verfolgung als Asylgrund für Menschen aus diesen Ländern ausgeschlossen ist. Die Regelung minimiert die Rechtsschutzmöglichkeiten betroffener Menschen stark und trifft insbesondere die ethnische Minderheit der Roma und anderer. Die Regelung ist nichts anderes als ein Angriff auf das im Grundgesetz festgelegte Asylrecht. Die Probleme die auf kommunaler Ebene entstehen sind dadurch zu lösen indem die Kommunen unterstützt werden.

Aber das ist leider für viele Landesbehörden auch und gerade in Sachsen ein Fremdwort. Dass deutsche Asylrecht man muss es so hart sagen, ist von einem rassistischen Grundkonsens durchzogen.

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