Die Degrowth-Konferenz ist vorbei. "Die was?" werden sicherlich einige fragen, was angesichts der mäßigen öffentlichen Präsenz hinsichtlich eines so wichtigen Themas nicht ungewöhnlich ist. Bei der Konferenz, die Anfang September mit rund 3.000 Teilnehmern an der Universität Leipzig tagte, handelte es sich weder um ein weiteres Treffen der Wave-Gothic-Scene, noch um eine Messe für die neuesten Pflanzenvernichtungsmittel.

Der Begriff Degrowth – zu deutsch Entwachsen oder Schrumpfen, auch Wachstumsrücknahme – steht repräsentativ für eine Bewegung von Menschen, die in vielerlei Hinsicht auf die verheerenden Folgen einer entfesselten ökonomischen Wachstumsideologie aufmerksam machen wollen. Die Generalkritik der Konferenz richtete sich demnach gegen Wachstum als ökonomisches Dogma mit all seinen ökologischen und psychosozialen Folgen.

Nach Meinung der Wachstumskritiker sei das stete wirtschaftliche Wachstum angesichts vergänglicher Ressourcen auf Dauer nicht ohne irreversible Folgen für Mensch und Natur zu erkaufen. Deswegen müsse man mit der Zurücknahme des Wachstums diesen Tendenzen begegnen. Nun ist aber noch nicht ganz klar, was mit Wachstum hier gemeint sein soll.

Wachsen ist in erster Linie das Spezifikum aller Organismen und beginnt bereits bei der Zellteilung. Dieses biologische Axiom wird durch unsere mentale Struktur ergänzt, welche selbst stetigem Wachstum unterworfen ist. Wir wachsen mit unseren Aufgaben, sagt des Volkes Mund. Gewachsen wird also überall, die Zelle tut es, der Organismus in seiner Gesamtheit tut es, sogar das Universum dehnt sich immer weiter aus – kurz: alles wächst.

Wenn alles im Wachstum begriffen ist, stellt sich die Frage, welcher Art von Wachstum entwachsen werden soll? Entwachsen heißt dabei auch immer, sich emanzipieren zu können, nicht mehr so sehr abhängig zu sein von äußeren Einflüssen.

Handelt es sich also bei dem Versuch, weniger zu haben, um mehr zu sein, wirklich um einen emanzipatorischen Akt? Ist nicht vielmehr der erzwungene Verzicht, der einen falsch verstandenen Asketismus zeitigt, der Rückschritt auf eine längst überwunden geglaubte Stelle der Menschheitsgeschichte? Sollten nicht längst die Maschinen unseren Wohlstand erwirtschaften, während wir im Zeitwohlstand verharren?

Gegen das allgemein vorherrschende Wachstum von allem können die Degrowther also eigentlich nichts einwenden. Wenn sie es täten, würden sie sich selbst und ihre Bewegung, die stetig zu wachsen scheint, negieren und ihre Reduktionsforderungen wären ein autoaggressiver Akt, ein negativ verstandenes, asketisches Ideal, das sich gegen sich selbst wendet und vernichtet.

Hier stehen wir an steileren Stufen … Worum geht es also? Gehen wir zurück zur Zelle. Wächst diese ungehemmt, entstehen Tumore, die dazu führen, dass der Organismus nicht lebensfähig gehalten werden kann. Er stirbt. Wachstum um des Wachsens willen, so der amerikanische Schriftsteller Edward Abbey, ist die Ideologie der Krebszelle. Nimmt man dieses Verständnis eines entfesselten, ziellosen Wachstums, dann wird klarer, wogegen sich die Postwachstumsbewegung zu richten scheint.

Wachstum sei, so der Grundtenor der Konferenz, durch die Konkurrenz der Unternehmen, die der Logik “Wachse oder weiche!” folgen, begründet. Der unweigerliche Weg in den Untergang sei daher nur durch Suffizienz, soll heißen durch die Reduzierung des Konsums von Gütern, die einen hohen Ressourcenverbrauch fordern, zu verhindern. Alle bisherigen Versuche, ein umweltverträgliches Wachstum zu erzeugen, seien nicht nur gescheitert, sondern hätten zu einer eklatanten Verschlechterung der ökologischen Situation geführt. Die ökologischen Schäden seien nur umgewandelt worden in eine andere Form.

Wissen wir jetzt, welcher Wachstum gemeint sein soll? Fluchtpunkt aller Argumentation scheint die “Ökonomie der verbrannten Erde” zu sein, in die zum Schluss noch Salz gestreut wird, auf dass eben gerade nichts mehr wachse. Die Ausbeutung der Ressourcen, ihre Verschwendung um der Profitmaximierung willen ist es, die den Stein des Anstoßes ins Rollen bringt. In diesem Sinne ist das vorherrschende Wirtschaften ein Wille zum Ende des Wachstums durch entfesselten Wachstum. Diese karzinogene Logik ist allen entfesselten Wachstumsdogmen inhärent. Womit Wachstum natürlich nicht per se als krankhaft einzustufen wäre. Wie machen wir es also besser? Ist Degrowth das Patentrezept? Sicherlich nicht.

Jörg Huber kritisiert in seinem Artikel der neuesten Ausgabe der Bahamas den Ökologismus als Leit- und Überwissenschaft, der selbst totalitär sei und im Gegenzug jedes analytische Denken verteufle. Anhand der Fracking-Debatte entlarvt er die Beschwörung der Naturharmonie, wie sie auch auf der Konferenz anzutreffen war, als Metapher für den Ausstieg aus dem Realitätsprinzip und für die kollektive Einübung in den Irrationalismus. Auch das Ideal der Win-Win-Situation habe mit der Natur wenig bis gar nichts zu tun. “Denn eine Welt, in der alle Risiken kalkulierbar und alle Wechselwirkungen kontrollierbar sind, existiert nur als ökologisches Phantasma”, so Huber.

Das communistische Labor translib aus Lindenau formuliert in seinen 16 Thesen zur Degrowth-Bewegung ihre Aufgabe wie folgt: “Ökologische Kämpfe müssen ein Terrain der Auseinandersetzung für Kommunistinnen heute sein. Sie zu unterstützen und sich das Bewusstsein über die ökologische Katastrophe(n) anzueignen ist notwendig … Unsere Aufgabe wäre es zu erklären, warum und wie diese destruktive Dynamik in der Produktionsweise begründet ist. Die kommunistische Position ist durch eine systematische Kritik des Ökoreformismus und die Ausarbeitung einer Strategie, in der sich ökologische Kämpfe mit den Kämpfen gegen die Privatisierung und für eine wirklich gesellschaftliche Daseinsvorsorge verbinden können, zu stärken.

Dafür wäre es grundlegend, sich des falschen Gegensatzes von Konsumismus auf der einen und Verzichtsethik auf der anderen Seite zu entschlagen. Stattdessen muss ein Begriff von Reichtum entfaltet werden … Das radikale Bedürfnis nach einem qualitativen Reichtum erfährt in der Form einer individualistischen Lebenskunst eine einseitige Scheinlösung, welche die Trennung des Menschen von der Waren-Welt nicht aufhebt, sondern nur im sattsam bekannten Modus der Verinnerlichung verleugnet … Die Freisetzung disponibler Zeit ist ein Potential, das durch die Entfaltung der Produktivkraft der Arbeit in ihrer kapitalistischen Form möglich wird, das aber nur durch die Aufhebung dieser kapitalistischen Form verwirklicht werden kann.”

Ohne Überwindung des Kapitalismus kein Viel-Besser-Land! Da die Weltrevolution jedoch ob der verführenden Potenz des neoliberalen Diktats ausbleibt, weil dem Menschen vorgetäuscht wird, er wäre frei, sieht die Lage nicht allzu günstig aus.

“Gerade die bestehenden Verhältnisse sind es, die bekämpft werden; …”, schrieb der irische Schriftsteller Oscar Wilde in seinem Text “Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus”. Jeder Entwurf, der sich den bestehenden Verhältnissen anpasse, sei falsch und töricht. Denn man wisse über die Natur des Menschen nur eines, nämlich dass sie sich beständig verändere. “Die Systeme, die scheitern, sind jene, die auf der Beständigkeit der menschlichen Natur aufbauen und nicht auf ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung.”

Nun scheint aber gerade die Fähigkeit der herrschenden Ordnung, sich an die Veränderungen anzupassen ein entscheidender Schritt gewesen zu sein, nicht zu fallen. Die neue Weltordnung hat mittels ihrer gar nicht so diffusen Strukturen, die jeder, der sehen will und verstehen kann, und mittels der vielen Sedativa, die verabreicht werden, eine Welt geschaffen, die sich selbst von innen her zerstört. Vielleicht ist der Krebsfraß gar nicht mehr therapierbar. Vielleicht sind es aber auch nur die letzten Eruptionen eines im Sterben liegenden Systems, das mit aller Macht, alles, was ihm nicht gleich ist, mit ins Verderben ziehen will. Wer weiß das schon.

Klar bleibt dabei allerdings eins: Das Immer-mehr-haben-wollen, in dem Glauben dadurch mehr zu sein, ist Ausdruck einer narzisstisch gestörten Menschheit, die sich im Leiden selbst verewigt, obwohl sie bemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Eine solche Menschheit, der vermehrt die Grundbedürfnisse wie Sicherheit, Beziehung, Bindung, Geborgenheit entzogen werden, wendet dieses Fehlen gegen sich selbst und frisst sich auf, wird dabei aber nicht satt, obwohl sie sich immer weiter aufbläht. Dieses Suchtverhalten, sucht nach dem, was verschwunden ist, und enthält immer das vor, was es verspricht. Vielleicht hat das alles am Ende wieder etwas mit dem traumatischen Wiederholungszwang zu tun. Wenn ja, dann müsste einfach nur die innere Struktur dieses Zwangs analysiert werden, um ihm zu entwachsen. Denn eines will der Wiederholungszwang immer – aufhören!

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