Im Interview: eine 1982 in Mazedonien geborene Frau, die 2010 mit ihrer damals neunjährigen Tochter vor der gewalttätigen Familie flüchtet und im Landkreis Leipzig in einem Asylbewerberheim untergebracht wurde. Heute lebt sie mit ihrer Tochter in einer eigenen Wohnung im Landkreis Leipzig. - Genauso unterschiedlich, wie "wir Deutschen" sind, genauso unterschiedlich sind auch "die Flüchtlinge", die immer nur als eine Masse gesehen werden. Ein Blick in das Leben einzelner Asylsuchender, in ihre Erlebnisse, ihre Ängste, ihre Sorgen.

Warum bist du nach Deutschland gekommen?

Wegen meinen Eltern, meinem Mann und der Kultur. Ich hatte viele Probleme mit meinem Mann. Er wollte noch eine zweite Frau und hat mit Heroin gearbeitet. Er hat selbst viele Drogen genommen und mich immer geschlagen. Die Polizei in Mazedonien hat mir nie geholfen. Mein Vater wollte meine Tochter nicht, weil sie aus dem Blut meines Mannes ist. Als ich meinen Mann dann verlassen habe, weil er mich umbringen will, habe ich mehrmals die Stadt verlassen. Als ich zurück kam, wurde ich dann auch von meiner Familie verstoßen. In ihren Augen war ich immer die Schlampe. Um die Ehre der Familie zu bewahren, wollte mich dann auch mein Vater umbringen.

Richtete sich die Gewalt deines Mannes nur gegen dich oder auch gegen deine Tochter?

Mein Mann hat auch meine Tochter geschlagen. Als sie noch klein war, hat er sie immer, als sie geweint hat, an den Haaren oder Armen gefasst und gegen die Wand geworfen.

Wolltest du gezielt nach Deutschland oder in ein anderes europäisches Land?

Ich wollte nach Deutschland kommen. Meine Cousine in Deutschland hat gesagt, hier gibt es gute Gesetze und Hilfe für Ausländer.

Auf welchem Weg bist du nach Deutschland gekommen?

Ich bin mit Bus gekommen. Zwei Tage sind wir gefahren. Danach war ich zwei Tage bei meiner Cousine in Deutschland. Dann bin ich nach Karlsruhe in ein Lager gegangen und habe mich angemeldet und die haben mich nach Chemnitz ins Heim geschickt.

Gibt es irgendetwas, was du aus deinem alten Leben vermisst?

Meine Mama.

Was hast du gedacht, wie es weitergeht in Deutschland?

Ich habe gedacht, ich gehe von dem Heim weg und von dem Stress. Als ich dann hierher gekommen bin und das Heim und die Leute gesehen habe, das war für mich doppelt Stress. Die haben mir zwei Metallschränke und ein Metallbett gegeben. Das war wie Knast.

Wie war es beim Bundesamt?

Ich habe nicht mein ganzes Problem erzählt. Ich hatte Angst und habe mich viel geschämt wegen meinem Problem und konnte das den Leuten nicht sagen.

Wie war dein Verhältnis zu anderen Asylsuchenden im Heim?

Es gab viel Streit. Alle haben Stress und sind aggressiv geworden. Alle sind verrückt dort und psychisch krank geworden.

Welches Sondergesetz ist für dich am schlimmsten?

Das ist ganz schwer, wenn du nicht arbeiten gehen darfst. Das Geld reicht nicht. Wenn du nach Berlin willst, brauchst du Urlaubsschein. Das ist ganz schwer, wenn du gehst in Ausländerbehörde und du willst was. Sie verstehen dich auch nicht und sagen, du musst dort nicht gehen.

Weißt du, warum es diese Gesetze gibt?

Nein.

Du hast Depressionen bekommen. Wie ging es dir in Mazedonien?

Ich hatte auch in Mazedonien Angst. Ich bin auch wegen der Angst hierher gekommen. Ich habe gedacht, ich kann nach Deutschland kommen und mit meiner Tochter ein ruhiges Leben haben. Aber auch hier habe ich jede Nacht Angst. Ich habe jede Nacht Angst, wann kommt die Polizei? Das kann ich nicht vergessen. Ich passe jeden Tag auf, dass mein Mann kommt, mein Vater kommt oder die Polizei kommt und mich zurück schickt.Wie war es, als deine Antwort auf dein Asylantrag kam?

Das war nicht gut. Deutschland hat mir gesagt, ich muss wieder zurück gehen. Ich habe gedacht, was mache ich jetzt, wo gehe ich hin? Warum hat mich Deutschland nicht verstanden? Warum sehen sie nicht, dass ich schwierige Probleme habe? Damals habe ich immer gedacht, dass ich mich umbringen werde und meine Tochter irgendwo in Jugendamt bringe. Das sage ich ehrlich.

Wie geht es deiner Tochter in Deutschland?

Meiner Tochter geht es jetzt gut. Früher ging es ihr sehr schlecht. Wir sind nach Deutschland gekommen und haben im Heim gelebt. Sie konnte auch unsere Probleme nicht vergessen. Dann war sie in der Schule und ein Jahr hat nie ein Kind mit ihr gesprochen oder gespielt, weil sie ein Ausländer ist. An ihrer Schule war sie die einzige Ausländerin. Jetzt haben wir eine Wohnung und es geht ihr etwas besser. Sie war 3 Monate im Krankenhaus in einer Tagesklinik, weil sie viel Angst hatte und immer dachte, ihr Papa kommt her und macht mich tot. Sie hatte vor allem Angst und starke Kopfschmerzen. Das Heim war auch sehr schlecht für meine Tochter. Wir hatten ein kleines Zimmer und immer siehst du Probleme. Alle Leute leben für eine Küche und es ist so laut dort. Nie hat man seine Ruhe.

Was denkst du, wie es mit dir weitergeht? Wie siehst du die Zukunft?

Ich weiß nicht. Ich habe trotzdem Angst und warte auf nichts Gutes. Ich habe total viel Angst, dass ich nicht in Deutschland bleiben darf.

Was denkst du, was passiert, wenn du zurück nach Mazedonien musst?

Also, das ist 100%, dass mein Vater mich umbringt oder mein Mann oder ich muss meine Tochter irgendwo lassen und weggehen. Dann wollen die auch meine Tochter mit 13 Jahren verheiraten. Ich finde das nicht gut, aber in meinem Land ist das normal. Ich will mit meiner Tochter leben, aber ich denke immer was Schlechtes. Ich will meine Tochter hier in Deutschland lassen, dass sie nicht diese scheiß Kultur sehen muss. In meinem Land sagen sie immer, wenn du krank bist oder was schlecht ist, ja du betest nicht und du bist ein Teufel. Die fragen nicht, welche Probleme hast du oder was habe ich gelebt und gesehen. Sie sagen nur, ich mache immer »haram«. (Anmerkung: Das ist ein arabisches Adjektiv und bezeichnet im Islam das Verbotene oder Unerlaubte.)

Welches Ereignis aus Mazedonien kannst du nicht vergessen?

Viel. Ich will nicht sagen.

Wie stellst du dir deine Zukunft vor, wenn das Bundesamt positiv über deinen Antrag entscheidet?

Vielleicht ich denke, dann geht mir besser. Ich habe keine Angst vor Polizei. Ich will auch wie ein Mensch leben und nicht jeden Tag denken, wann kommt die Polizei und bringen mich zurück. Ich will mit meiner Tochter wie Mensch leben. Wir sind nicht nur nach Deutschland gekommen, um zu essen und zu schlafen.

Welche Hoffnungen hattest du, als du nach Deutschland gekommen bist? Hast du gewusst, was dich erwartet?

Ich habe nicht gedacht, dass ich so leben muss, in Heim. Ich habe gedacht, ich gehe irgendwohin und bekomme Hilfe. Aber nicht so wie Heim. Dort lebst du mit Kakerlaken und Maus. Das war totale Katastrophe. Kannst du nicht schlafen und nicht das Licht aus machen, weil sonst Kakerlaken kommen. Das war was ganz anderes. Das habe ich alles nicht gewusst.

Wo hast du Deutsch gelernt?

Das habe ich selbst gelernt und durch meine Tochter.

Hast du engere Kontakte/ Freundschaften zu Deutschen? Ist es schwer, mit diesen in Kontakt zu treten?

Ja, das ist sehr schwer. Ich weiß nicht. Die gucken uns so klein wie Ausländer. Die haben nicht viel mit uns Kontakt. Wenn wir gehen in die Straße, niemand sagt »Hallo«. Ich hätte gerne mehr Kontakt zu Deutschen. Die sind so ruhig und ganz andere Kultur. Ich denke, wenn ich mit deutschen Leuten bisschen Kontakt habe, ich vergesse mein Problem und meine Kultur.

An wen wendest du dich bei Fragen und Problemen? Bekommst du Hilfe?

Ich habe niemanden.

Was sollte Deutschland anders/besser machen?

Ich wollte in Deutschland, dass die Recht geben und dass die wissen, dass wir sind auch Mensch. Nicht immer alle wie Ausländer gucken und uns klein gucken.

Was willst du der Welt da draußen sagen?

Die Leute sollen wissen, wir haben viele Probleme und sind deswegen hier. Sie sollen nicht denken, wir sind nur hier gekommen, um Geld zu nehmen oder um zu essen und zu schlafen. Wir sind hier, weil wir viele Probleme in unserem Land haben.

Hast du schlechte Erfahrungen mit Deutschen gemacht?

Ja, manche sagen “Warum kriegst du das alles hier?”. Die denken, wir kriegen alles. Die wissen nichts. Ich will auch wie ein Mensch arbeiten und abends nach Hause kommen und nicht den ganzen Tag rumsitzen.

Was ist momentan dein größter Wunsch?

Ohne Angst ein Leben leben. Ich möchte eine Garantie, dass niemand mich umbringt, dass ich ein ruhiges Leben habe, ohne Angst. Dass niemand mich wie eine Schlampe anguckt. Das ist mein Wunsch.

Information zum Interview: Dieses hier in leicht gekürzter Form wiedergegebene Interview wurde im April 2012 mit einer Asylsuchenden, die die ersten Jahre in einer Gemeinschaftsunterkunft und später in einer eigenen Wohnung im Landkreis Leipzig untergebracht war, auf Deutsch von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Bon Courage e.V. geführt. Trotz der Angst der Asylsuchenden vor späteren Konsequenzen waren diese bereit, die Gespräche zu führen und stimmten einer anonymisierten Veröffentlichung zu. An der Lebenssituation der Flüchtlinge hat sich seitdem nicht viel geändert. Das Thema ist genauso aktuell wie vor zwei Jahren. Das vollständige Interview mit dieser und vielen weiteren Asylsuchenden finden Sie in der Broschüre “Von außen sieht es nicht so schlimm aus …” des Bornaer Bon Courage e.V.

Hier ist die Broschüre erhältlich: www.boncourage.de/index.php5?go=856

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