Wie organisiert man einen Austausch zwischen Menschen, die seit zwei Wochen in Leipzig gegeneinander demonstrieren? Antwort: Mit klaren Regeln. Diese lauteten auf dem Diskurs-Forum: Redner haben vier Stรผhle zur Verfรผgung, um Platz zu nehmen und zu sprechen, der Rest der Anwesenden hรถrt zu und niemand spricht lรคnger als drei Minuten. GrรถรŸtenteils gelang dies. Als Erkenntnisse des ersten Dialogabends am vergangenen Dienstag in der Volkshochschule blieben, dass es viele besorgte und unzufriedene Menschen gibt, deren Unzufriedenheit teilweise wegen verfehlter Politik berechtigt ist und leider oft auf Muslime projiziert wird.

Doch nicht nur darum geht es den Menschen, die es dieser Tage unter zahlreichen โ€žGIDAโ€œ-Varianten auf die StraรŸe treibt. โ€žIch fordere eine bessere Informationspolitik des Freistaates und der Stadtverwaltungโ€œ, sagte ein Wiederitzscher, der von Plรคnen, im ehemaligen Bundeswehrkrankenhaus eventuell eine Erstaufnahmeeinrichtung zu schaffen, zu spรคt und indirekt erfuhr. In der Tat scheint es ratsam, die Bรผrger frรผhzeitig und prรคzise zu informieren, um beispielsweise bestimmte ร„ngste wie die vor einem Verfall von Grundstรผckspreisen im Umfeld einer Erstaufnahmeeinrichtung frรผhzeitig wahrzunehmen. Und gegebenenfalls gemeinsam Lรถsungen zu erarbeiten. Dies vermisste eine andere Bรผrgerin.

Deswegen war es wichtig, dass die Volkshochschule, zahlreiche Bรผrgerrechtler, die sich schon 1989 fรผr mehr Demokratie und Beteiligung der Bรผrger engagierten, und die Stiftung Friedliche Revolution, die die Forderungen der 89er-Bewegung weitertragen mรถchte, gemeinsam eingeladen hatten. Mittlerweile ist auch klar, dass es eine Fortsetzung des Dialogs am Dienstag, den 3. Februar, geben muss. Wie genau dieser stattfindet, das planen die Organisatoren noch, auch, wie das Format weiter verbessert werden kann. Mรถglicherweise mรผssen einige persรถnliche Angriffe stรคrker unterbunden werden, die zu Beginn der Veranstaltung die Stimmung aufheizten und von den eigentlichen Themen weg und rasch auf Nebengleise fรผhrten.

So gab es ร„uรŸerungen gegenรผber einigen Studentinnen, die sich so angegriffen fรผhlten, dass sie die Aula der Volkshochschule fรผr eine Zeit lang verlieรŸen. Unter ihnen Studentin Miriam. โ€žIch studiere und mein Freund ist Moslem. Ich zweifle an der Menschlichkeit und hรถre Dinge, die mir Angst machen, wenn sie um sich greifen. Wenn hier gesagt wird, dass Kinder Angst vor Moslems haben mรผssen oder Menschen, die auslรคndisch aussehen, ist das fรผr mich Rassismus. Ich habe in acht Monaten in Tansania in einer muslimischen Gemeinde keinen Menschen kennengelernt, der gutheiรŸen wรผrde, was Extremisten wie die des Islamischen Staats tun.โ€œ Damit begegnete sie einer MeinungsรคuรŸerung, es werde durch die Aufnahme von Flรผchtlingen โ€žAntisemitismus importiert.โ€œ

Studentin Miriam fรผhlte sich von manchen ร„uรŸerungen angegriffen. Foto: Sebstian Beyer
Studentin Miriam fรผhlte sich von manchen ร„uรŸerungen angegriffen. Foto: Sebstian Beyer

ร„hnlich platt und mit einer guten Reaktion an diesem Abend begegnet das Politikerbashing, welches immer weiter um sich greift. Von Renรฉ Hobusch, Stadtrat der Leipziger FDP, an diesem Abend zusammengefasst: โ€žEs wird zu viel von Gruppen gesprochen, wo differenziert werden mรผsste. Es sind nicht โ€ždie Muslimeโ€œ schuld, nicht โ€ždie Politikerโ€œ oder โ€ždie Medienโ€œ, Denn Verallgemeinerungen dieser Art waren auch hier hรคufig zu hรถren. โ€žIch wechsle lieber die StraรŸenseite, wenn einer aussieht wie ein Muslim oder so wasโ€œ, war eine der ร„uรŸerungen, die andere nur schwer ertrugen.

Nach anfรคnglichen argumentationslogischen Schwรคchen zog Vernunft unter allen Teilnehmern ein und ein Hinweis auf die AuรŸenpolitik des westlichen Bรผndnisses, die auch von Gewalt in muslimischen Lรคndern geprรคgt ist, machte scheinbar nachdenklich. โ€žWir mรผssen doch versuchen, dass an dieser Stelle Gerechtigkeit einzieht und ein Ausgleich mit den muslimischen Lรคndern stattfindet.โ€œ Ansonsten liefere man doch Extremisten geradezu die Grรผnde, sich ebenfalls mit Gewalt zur Wehr zu setzen.

Womรถglich ist es wichtiger, sich miteinander zu unterhalten, als gegeneinander zu demonstrieren, zumindest unter den 150 Anwesenden regte sich ernsthaftes Interesse an einem Dialog. Probleme, die weitere Gesprรคche und auch der Lรถsung bedรผrfen, zeigten sich auch bei der als ungerecht empfundenen Verteilung des Wohlstands, bei ungleichen Bildungschancen und einer fehlenden Beteiligung der Bรผrger und damit der fehlenden Wahrnehmung des eigentlichen Souverรคns seitens der Politik. Noch einmal fasste Beate Tischer die ร„uรŸerungen von 28 Bรผrgern zusammen: โ€žEs ging am Anfang sehr stark um Finanzen, die Informationspolitik ist ein groรŸes Anliegen, sowie die Probleme in der Stadt. Auch die Definitionen von Rassismus und Islamismus waren den Beteiligten wichtig, die Medienschelte und Kritik daran mit starken Argumenten ist ein weiteres Thema. Es braucht, wie zum Abschluss noch einmal Miriam sagte, โ€œnoch viel Kommunikation.โ€œ

Renรฉ Hobusch brachte die Dinge auf den Punkt. Foto: Sebstian Beyer
Renรฉ Hobusch brachte die Dinge auf den Punkt. Foto: Sebstian Beyer

Auch hier brachte es Renรฉ Hobusch auf den Punkt: โ€žHรถren wir auf, Verantwortung immer anderen zuzuschieben. Politik ist kein dankbares Geschรคft, aber ich habe eine groรŸe Bitte: Bei aller berechtigter Kritik, die ich auch verstehe, weil Politik viel vom Inszenieren und der Selbstdarstellung lebt. Aber sehen Sie genau hin, wem Sie mit Ihren ร„ngsten folgen.โ€œ Er erinnerte angesichts der Debatte um Asyl und Flรผchtlinge in Sachsen auch daran, dass zu Beginn des Jahres 1990 auch die DDR-Bรผrger kaum die D-Mark erwarten konnten und somit auch ein groรŸes Volk von โ€žWirtschaftsflรผchtlingenโ€œ gewesen seien.

Das Vorbereitungsteam bemรผht sich nun um eine Fortsetzung des Dialoges, der natรผrlich noch keine Fragen abschlieรŸend klรคrte, diese aber einmal zu Tage treten lieรŸ und unter dem Strich sehr gesittet verlief. Rolf Sprink gab allen Anwesenden noch einen der wichtigsten Sรคtze der Friedlichen Revolution auf den Weg: โ€žKeine Gewalt!โ€œ und erntete dafรผr allenthalben Beifall. Die Diskussion ging auch vor den Tรผren der Volkshochschule weiter, so dass der Abend auf jeden Fall Menschen teils stark unterschiedlicher Meinungen zum Austausch derselben brachte.

So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:

Es gibt 3 Kommentare

Bedanke mich fรผr Ihre Hinweise. Das mit Herrn Hobusch deshalb, weil er an diesen Abend anwesend war und kurze Ausfรผhrungen gemacht hat. Gleiche oder รคhnliche Bemerkungen hรคtte ich fรผr alle Ausfรผhrungen jedes Vertreters einer Partei, egal welcher, in Sachsen machen kรถnnen.
Starke Bauchschmerzen habe ich bezรผglich Ihrer Gedanken, dass das Phรคnomen, wonach die Politik in den vergangenen mindestens 10 Jahren nur von Selbstinszenierung lebte, mit dem Umzug der Regierung nach Berlin begann. Auch wenn ich schon berufsbedingt eine erhebliche Phantasie haben musste, bin etwas รผberfordert Ihren Gedanken zu folgen. Bleiben wir in Sachsen. Die Selbstinszenierung der Politik begann mit dem Tag der Wiedervereinigung! Sehr viele Vertreter der damaligen Blockparteien und Kirchen haben Kรถnigreiche und Fรผrstentรผmer aufgebaut, also keine demokratischen Verwaltungen. Ich muss zugeben, dass es fรผr den Unbeteiligten sehr schwer war, das zu erkennen. Die Leute hatten mit sich zu tun, um sich erst einmal zurecht zu finden. Eine komplizierte und brisante Thematik. Falls Sie Hinweise haben mรถchten, ich bin gerne bereit Sie zu unterstรผtzen.

Auch wegen dieser beschรคmenden Rolle der Politik halte ich es fรผr wichtig, dass die Bรผrgerinnen und Bรผrger ihren Unmut darรผber zum Ausdruck bringen, wobei ich Gewalt โ€“ egal auf welcher Seite โ€“ strikt ablehne. Es ist deshalb wichtig, weil die Politik (hier speziell in Sachsen) nichts รคndern will. Davon habe ich wahrscheinlich mehr Kenntnisse, als mancher annimmt.

Danke fรผr den Beitrag, Finanzrevisor Pfiffig.

Ich bin allerdings der Meinung, dass uns ein Blick auf eine Partei alleine nicht voran bringt. Herr Hobusch sagte etwas sehr Richtiges an diesem Abend, Politik lebte in den vergangenen mindestens 10 Jahren nur von Selbstinszenierung. Eine Debatte รผber die Inhalte fand viel zu selten statt, da die Konzepte ja alternativlos waren. Ich wรผrde sogar so weit gehen, dass dieses Phรคnomen mit dem Umzug der Regierung nach Berlin begann. Eine Interviewserie hierzu habe ich in Planung, warte aber noch auf Antworten der Angefragten.
Um auf den Dialog zurรผck zu kommen: Dieser ist finde ich wichtig, da ich keine gespaltene Gesellschaft wie in den USA erleben mรถchte. Bei einem Besuch vor 2001 und zwei Besuchen in der gleichen Gastfamilie nach 2001 zeigte sich, dass es inzwischen in der US-Gesellschaft nicht mehr mรถglich ist, einen politischen Diskurs zu fรผhren. Die Ansprรผche an โ€œpolitical correctnessโ€ verdammen zur Meinungslosigkeit, da jede pointierte Meinung als Angriff empfunden wird. Lassen wir es nicht dazu kommen und reden oder streiten sogar miteinander, denn das ist Demokratie. Auch wenn einige Sรคtze fielen, die in einer Demokratie nach meiner persรถnlichen Vorstellung keinen Platz haben, ist es doch wichtig zu verstehen, wo diese Positionen herkommen um auf grundsรคtzliche Probleme unseres politischen Systems nach รผber 60 Jahren zu kommen.

Mehr hierzu folgt im Laufe der Woche.

โ€œAuch hier brachte es Renรฉ Hobusch auf den Punkt: โ€žHรถren wir auf, Verantwortung immer anderen zuzuschieben.โ€

Ein sehr vernรผnftiger Satz. Ich habe persรถnlich nichts gegen Herrn Hobusch. Da ich davon ausgehe, dass er diesen Satz auch als Vertreter der FDP gesagt hat, einige kurze Bemerkungen dazu. Herr Hobusch, ich habe sehr groรŸe Bauchschmerzen. Vor der Landtagswahl in Sachsen war die FDP mit rasender Geschwindigkeit (schneller als das Motorrad eines fรผhrenden Vertreters der FDP) auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Sie tat mir leid! Nein, ich hatte mich keineswegs aus Mitleid darum bemรผht, die FDP von der Notwendigkeit der Reform der kommunalen Finanzkontrolle zu รผberzeugen. Speziell in Sachsen. Ich fรผhrte viele Gesprรคche. Davon erwies sich nur ein einziges als sachlich und fachlich ansprechend. Ich bin mir zu 100,0 % sicher, dass die FDP mit dieser Thematik und meiner Unterstรผtzung, eingeschlossen meines Lehrbuches โ€œFinanzrevisor Pfiffig aus der DDRโ€, spielend die 5,0 % Hรผrde geschafft hรคtte. Es fรผhrte jedoch kein Weg in die (Beton)Kรถpfe der FDP โ€“ mit einer Ausnahme (Frau Schรผtz). Weshalb hat da die FDP keine Verantwortung รผbernommen? Weshalb ist man lieber in der Versenkung verschwunden, als diese (meine) Hand auszuschlagen? Welche Leute waren dafรผr verantwortlich. dass dieser rettende Strohhalm ausgeschlagen wurde? Ich bin nun unverschรคmt, was ab und zu sein muss. Es war kein Strohhalm! Es war tatsรคchlich ein sehr komfortables Urlauberschiff, was ausreichend Platz fรผr Politiker der FDP aus vielen Bundeslรคndern gehabt hรคtte. Aber jeder ist bekanntlich seines Glรผckes Schmied.

Ich war zu dieser Veranstaltung. Mir ist es gelungen, die Thematik โ€œFinanzen/Kontrolle der Steuergelderโ€ fรผr weitere tiefgrรผndigere Diskussionen zu empfehlen, wo ich meine Hilfe angeboten habe. Ich hoffe, dass auch die zahlreichen Vertreter der Medien davon etwas mitbekommen haben. Irgendwann muss doch auch dort Vernunft einziehen.

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