Faszinierende Buchmenschen zu treffen, die nicht herumjammern. Dies machen Geschäftsleute zwar sehr gerne – aber Bastian Salier eben nicht. Seinen Ausführungen zum Leipziger Buchmarkt, zum Büchermachen an sich und zu Kudernatschs Wurstgedichten zu folgen, bereichert das eigene Empfinden. Und stimmt hoffnungsvoll. Volly Tanner traf ihn beim Milchkaffee.

Hallo Bastian Salier. Hier in der wundervollen Slow Bakery zu sitzen und den morgendlichen Milchkaffee zu trinken ist eine feine Sache. Und dazu noch dieses schöne Buch geschenkt zu bekommen – von Dir, das ist richtig gut. André Kudernatschs wundervolle „Wurstgedichte“. Wie kommt es denn, dass André jetzt bei Dir publiziert?

André Kudernatsch und ich kennen uns schon lange. Wir gehören ja beide der Thüringer Community in Leipzig an und haben uns lange darüber ausgetauscht, wo man bitte in Leipzig halbwegs ordentliche Bratwürste herbekommt. Mein empfindlicher Thüringer Magen verträgt nicht so viele andere Gerichte. Aber im Ernst: Wenn man in Leipzig etwas mit Büchern und/oder Kleinkunst – an der Grenze zur Großkunst – zu tun hat, dann begegnet man sich irgendwann automatisch. Bei uns lagen die Anknüpfungspunkte zwischen „Kudernatschs Kautsch“ und einer MDR-Sendung namens „Spaßstraße“. Kudernatsch hatte sich verkleidet und auf den Dresdner Elbterrassen Touristen erschreckt, während ich als Regisseur hinter der versteckten Kamera eine Menge Zigaretten geraucht habe.

Später habe ich dann einen Verlag gegründet beziehungsweise von meinem Vater übernommen, der sich vor allem mit der Region Südthüringen/Franken beschäftigt. Da kamen mir Andrés Kolumnen aus dem Erfurter Stadtmagazin „Blitz“ gerade recht. Wir haben daraus eine kleine Buchreihe gemacht: „Das Beste an Erfurt ist die Autobahn nach Jena“, „Dieser Zug hält nicht in Weimar“ und der dritte Band, der gerade in Vorbereitung ist, soll heißen „Du wirst nicht alt im Thüringer Wald“.

Die Wurstgedichte sind sozusagen ein kleines Nebenbei-Produkt. Einige sind ja schon in anderen Wurstbüchern erschienen, die aber leider nicht mehr erhältlich sind, weil es die Verlage nicht mehr gibt. Nun hoffe ich, dass wir der erste Verlag sind, der die „Wurstgedichte“ überlebt. Der großartige Zeichner Thomas Leibe aus Halle hat das kleine Büchlein sehr gescheit und brüllend komisch illustriert.

„Wurstgedichte“ sorgte ja schon für Aufruhr. Ich erinnere mich an einen PETA-Aufmarsch damals zur Buchmesse. Hatten die einfach keinen Humor? Wer ist denn für dieses Buch Dein Publikum? PETAs ja eher nicht.

Ja, ich glaube, das war die einzige angemeldete Demo, die jemals zur Leipziger Buchmesse stattfand. Das hat noch nicht mal Sarrazin geschafft. André hatte mir vor der Veröffentlichung des neuen Buches davon erzählt, denn wer ahnt schon, welch ein Politikum ein paar Witze über Würste auslösen können. Aber wir haben keine Angst vor dem militanten Arm der Veganer. Diesmal gab es den Anruf einer PR-Agentur, die im Auftrag eines milliardenschweren Fleischkonzerns agierte. Die Chefs dort hatten ein Problem mit einem der Gedichte, in dem es um ein beliebtes und nicht unumstrittenes Kinderprodukt geht. Wir haben uns aber geeinigt: Es wird keinen Shitstorm unsererseits geben. Übrigens wurde gegen jenen (ungenannt bleiben wollenden) Konzern gerade vom Bundeskartellamt eine Geldbuße in Millionenhöhe verhängt. So hat halt jeder sein Päckchen zu tragen.

Ansonsten läuft das Buch ganz gut in den Museumsshops des „Deutschen Fleischermuseum“ in Böblingen sowie des „1. Deutschen Bratwurstmuseums“ in Holzhausen. Man kann es aber auch ganz einfach in der Buchhandlung kaufen und zum Beispiel seinem Lieblingsmetzger zum Geburtstag schenken.

Was verlegst Du denn noch so bei Salier?

In der Hauptsache Regionalia. Mein Vater hatte 1990 den Verlag Frankenschwelle gegründet. Der etwas eigentümlich klingende Name rührt von einem kleinen Gebirgszug, der das Werratal im Süden begrenzt und sozusagen die natürliche „Schwelle“ zwischen Thüringen und Franken bildet. Der Name war tatsächlich Programm, denn nach dem Mauerfall gab es auf beiden Seiten einen großen Bedarf an heimatkundlicher Literatur. Den hat mein Vater mit großer Sachkenntnis und verlegerischem Gespür gedeckt: Mit Koch- und Sagenbüchern, Chroniken, geschichtlichen Darstellungen, Biografien. Und er hat das Thema „Dunkelgräfin von Hildburghausen“ nach langer Zeit wieder auf den Schirm der Heimatforscher geholt.

Nachdem er dann in Rente ging, habe ich das Verlagsgeschäft übernommen, wohl wissend, dass es von Leipzig aus schwieriger würde, die regionalen Interessenten in Südthüringen zu bedienen, zumal die Auflagenhöhen immer mehr sinken, und immer mehr kleine Buchhandlungen und Verkaufsstellen vor Ort aufgeben. Meine Frau und ich haben dann versucht, das Verlagsprogramm in verschiedene Richtungen zu erweitern, sind aber letztlich doch wieder zu den Wurzeln zurückgekehrt.

Seit drei Jahren gibt es ein zweites thematisches Standbein des Verlages, das recht gut angelaufen ist: Freimaurerei. Das ist natürlich auch ein Special-Interest-Thema mit einem begrenzten Kundenkreis, aber sehr spannend und eine Herzensangelegenheit.

Neben all dem Verlegersein hast Du ja noch andere Standbeine. Welche sind dies denn?

Von Haus aus bin ich Journalist. Ich habe 1995 in Leipzig mit dem Journalistikstudium begonnen und bin letztlich hier hängengeblieben. Nach meinem Volontariat beim MDR habe ich vor allem für die Unterhaltung des MDR-Fernsehens gearbeitet, bis heute, vor allem als Autor für die Talkshow „Riverboat“. Das ist mein eigentliches Standbein. Der Verlag ist eher Spielbein.

Nächstes nachzufragendes Thema ist die heutige Verlagslandschaft, ganz speziell im hiesigen Landstrich – hat das Buch Zukunft, ganz platt gefragt: ist es manchmal nicht ermüdend und mürbemachend auf Qualität statt auf „Feuchtgebiete“ zu setzen?

Das Buch hat unbedingt Zukunft, genauso wie Fernsehen und Internet Zukunft haben. Jedes einzelne Medium hat seinen ganz speziellen Reiz. Beim Buch ist es das haptische Erlebnis. Und ich glaube, dass bei vielen der Reiz des Analogen – eine Geschichte linear zu verfolgen, ohne sich in Links oder irgendwelchen technischen Spielereien zu verlieren – auch weiter eine große Rolle spielen wird. Jemand, der ein Buch liest, möchte nicht Akteur sein, sondern sich mitnehmen lassen in eine andere Welt, oder er möchte sein Bildungsniveau erhöhen und etwas erfahren. Aber nicht auf Wikipedia-Art, sondern auf intellektuelle Weise: Nicht Wissen vermehren, sondern Bildung erhöhen. Das ist ein Unterschied. Die Zahlen beweisen das, der Buchmarkt wächst, allen Unkenrufen zum Trotz.

Über Qualität darf man sich in diesem Zusammenhang sowieso keine Illusionen machen: Wenn die „Feuchtgebiete“ oder „Shades of Grey“ dazu beitragen, dass Leute, die sonst keine Bücher lesen, sich mal wieder dazu durchgerungen haben, doch eines in die Hand zu nehmen, ist das völlig in Ordnung. Es gibt schlimmeren Unsinn, der tagtäglich durch die verschiedensten Medien verbreitet wird.

Wenn wir über die Verlagslandschaft hierzulande sprechen, dann gibt es da schon wieder recht erfreuliche Entwicklungen. Die Leipziger Verlage sind allesamt keine Bestsellerverlage und Leipzig wird auch nie wieder Buchstadt sein – so wie vor 1933. Aber trotzdem ist die Stimmung gut, die meisten Kollegen sind sehr bemühte Einzelkämpfer, tolle Kollegen mit großartigen Ideen. Ich selbst bin ein Fan der Bücher des Kollegen Lehmstedt: Großartig gemachte Bildbände, sauber recherchierte Darstellungen. Vor solchen Leistungen muss man heute umso mehr Respekt haben. Das macht Laune und zeigt: Qualität lohnt sich in jedem Fall. Sie ist für die meisten kleinen Verlage überhaupt die einzige Chance. Der ganze Einheitsbrei der Konzernverlage mit ihren austauschbaren Titeln und uninspirierten Halbjahres–Schnellschuss–Programmen interessiert mich auch als Leser nicht die Bohne.

Wie trüffelsuchst Du Deine Autoren? Oder wirst Du manuskriptüberschwemmt?

Ich habe mal mit einem Kollegen gesprochen, der ganz genervt war, weil er jede Woche mindestens drei Manuskripte für Liebesromane angeboten bekam. Wenn jetzt jemand, der die Branche kennt, meint: Was nur drei, das ist aber beschämend wenig! Der sollte wissen: der Kollege hatte einen Adressbuch-Verlag.

Ich verlege ja vor allem Sachbücher, nur selten Belletristik, und dann eben auch nur ganz bestimmte Themen. Der Buchhandel hat bestimmte Erwartungen an einen Verlag. Diese Erwartungen sollte man grundsätzlich erfüllen. Es nützt nichts, wenn man mit einem Bauchladen voller toller Titel durch die Gegend zieht, die einem selbst alle riesig gefallen, aber die niemand bei einem erwarten würde. Davon hat niemand was: Der Verleger verliert Geld und der Autor verdient keins.

Im Regionalen habe ich meine Autoren, kenne sie teilweise schon sehr lange, sie sind ausgewiesene Experten für ihr Gebiet und können gut schreiben. Da kommen natürlich auch immer wieder neue Autoren hinzu, aber die müssen auch eine entsprechende Expertise mitbringen, bekannt sein.

Ich verstehe die Autoren, die mühsam einen Regional-Krimi zusammengeschrieben haben und viel Lob von ihrer Familie und ihren Freunden dafür bekommen haben. Die möchten natürlich jetzt auch bei Lehmanns oder Hugendubel auf dem Bestsellertisch ihren Namen sehen. Aber das meiste, was unaufgefordert kommt, ist wirklich nicht gut oder es passt einfach nicht ins Programm. Viele Autoren würden sich viel Leid ersparen, wenn sie als erstes auf die Homepage des Verlages gehen, um zu schauen: Was machen die da eigentlich, passt das dort rein, bin ich nicht woanders besser aufgehoben?

Und mit diesem klaren Statement, lieber Bastian, verschwinden wir jetzt wieder beide in unsere eigenen Universen. Danke, Bastian.

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