Da geht der Tanner in die AKASH, weil er Räucherstäbchen braucht, um diese zu verschenken, damit ein befreundetes Paar die neue Wohnung von schlechten Einflüssen enträuchern kann - und bleibt fasziniert an der Außenfassade kleben. Wochen später steht er dem Schöpfer gegenüber - und dieser hält ein Buch in der Hand. Und es ist nicht Gott oder einer seiner Zeugen, sondern André Martini. Pflichtbewusst kommen die beiden Lausbuben ins Gespräch.

Hallo André Martini. Fein Dich zu treffen. Und dann gleich mit Deinem neuen Buch in der Hand. Das wird ja bestens besprochen. Wird’s denn auch gekauft? Und worum geht es überhaupt?

Ich habe den neuen Stadtführer für Kinder vom Seemann Henschel Verlag illustriert und mitentwickelt. Zusammen mit Sandy Schmied und dem Verlag haben wir versucht, das besondere Flair von Leipzig (soweit das auf achtzig Seiten überhaupt geht) für Kinder nachvollziehbar zu machen. Alles mit sehr viel Liebe zum Detail – hat was von einem Comicalbum.

Im Vorfeld hatte ich ein Konzept zum Buch entwickelt, welches mit Karten und groben Übersichten spielt und die Stadt in fünf farbige Abschnitte und das Umland unterteilt. Man kann so die Stadt leicht erkunden und lernt dabei eine Menge über die Geschichte, die Kultur, bekannte Personen, Milieus und regionale Eigenheiten. Die einzelnen Texte sind eher kurz und kinderfreundlich aber es setzt sich beim Lesen langsam ein komplexes Puzzle der Stadt zusammen. Es gibt auch ein paar Rätsel – alles ein bisschen witzig und bunt.

Ich sah kürzlich das neue Plakat von “Wilde Kräuterey”, welches Du ja auch gestaltet hast – und die Außenfassade vom AKASH in der Zschocherschen Straße auch. Ist das so ein bisschen Dein Style? Dieses verspielt-indisch-spirituell-nachhaltig-ökologisch Bunte?

Ich glaube, ich habe da stilistisch ein sehr breites Spektrum und das richtet sich natürlich nach den Aufträgen – Werbung ist Image und gerade Kleinunternehmen setzten besonders in Leipzig auf individuelle Gestaltungen und Inhalte. Plakate, Flyer, Webseiten dürfen oder sollen wieder besonders sein. Meist kriege ich ja die Aufträge, weil den Leuten meine Art gefällt. Dann komme ich ja eigentlich von der Kunst und damit kann ein simples Plakat für mich auch oft eine Spielform von  Kunst sein. Denk doch nur mal an die Plakatkunst der DDR und der anderen osteuropäischen Länder vor der Wende. Da gab es mal eine große Kultur.

Der Computer hat in den 90igern alles etwas glatt gebürstet – heutzutage zeichnen die Leute wieder, schauen in die 60iger und 70iger Jahre und retroisieren das Bunte und Schrille von damals in die oftmals technische Leere von heute.

Ja klar – aber Du … ?

Gut, ich hinterfrage die Sachen auch gern, weswegen mir so glattes Zeug wenig Spaß macht. Billige Effekte oder inhaltsleere Formenspielereien liegen mir nicht so – meine Professorin hat mich mal beim Diplom gefragt, was für mich der Unterschied zwischen Kunst und Design ist. Tja und wenn man dann so heute durch die Galerien schlendert verwischt diese Einteilung sowieso zusehends. Die Werbung wird immer schneller darin, aktuelle Kunststile aufzusaugen und zu banalisieren und die sogenannte Kunst verkommt immer mehr zur Formenspielerei und Marketingplattform für Geldanlagen. Warum also nicht den Spieß bewusst umdrehen? Warum nicht die Werbung benutzen, um Kunstformen in den öffentlichen Raum zurückzuführen. Plakatwände nannte man mal die Galerien der Straße. Es können echte Kulturträger sein, inspirierend und energiegeladen, die einem den Zeitgeist viel innovativer spiegeln als ein Galeriebesuch es könnte. Plakate von mir werden ziemlich oft geklaut und landen in WG-Küchen an der Wand.

Wenn ich Deine Vita so durchstöbere – von Großröhrsdorf bis Leipzig und Halle – und dabei all das sehe, was Du schon geschaffen hast, denke ich, dass dies auch mehr Menschen wissen sollten – kannst Du bitte einen Abriss über Dein Leben und Schaffen geben?

Also, mit dem Zeichnen, das fing sehr früh an – war eher spielerisch aber hat mich immer begleitet. Habe auch sehr früh gemalt und habe dann nach der Wende eine Ausbildung zum Textilmustergestalter abgeschlossen. Daher kommt  wohl manchmal der ornamentale Ansatz in manchen Arbeiten. Als ich damit fertig war hatte man gerade alle diese Textilbuden abgewickelt. Habe mich dann ein bisschen im Theatermilieu herumgetrieben und mich mit allerlei Jobs durchgeschlagen. Da wollte ich noch Bühnenbildner werden. Erst später reifte die Ambition, Kunst zu studieren. Das hab ich dann an der Burg in Halle gemacht. Viel Malerei und Skulptur zu Anfang aber irgendwie war mir diese Kunstwelt zu schräg und widersprüchlich.

Habe im Studium dann mit Trickfilm angefangen. Figuren bewegen und  Geschichten erzählen, das lag mir. Ich hab da einige Projekte angefangen, Drehbücher und Konzepte geschrieben und verschiedene Filmideen entwickelt. Auch zwei Kurzfilme im Studium realisiert. Leider sieht es in Mitteldeutschland mit Animation ziemlich trübe aus.

Habe mich dann nach dem Studium selbständig gemacht und da hat mir dann meine Vielseitigkeit enorm weitergeholfen. Das hat mir mein Überleben gesichert und war bis jetzt sehr abwechslungsreich. All meine Talente konnten in die Aufträge einfließen und ich habe mich dabei enorm weiterentwickelt. Da  waren Ausstellungskonzepte für Museen dabei, Illustrationen für Kinderbücher,  Werbestrecken für Festivals, kleine animierte Werbeclips und immer wieder Flyer und alle möglichen Plakate und Logos. Seit ein paar Jahren bemale ich auch manchmal Fassaden (zum Beispiel das Kaffee WB in Schleußig). Im Sommer kann das eine sehr angenehme Arbeit sein. Da würde ich mir mehr Aufträge wünschen.

Ich hab in all den verschiedenen Projekten sicherlich oft eine wiedererkennbare Handschrift aber ich experimentiere auch viel herum und versuche, immer neue  Bildsprachen für das jeweilige Projekt zu entwickeln. Thematisch liegen mir historische Themen sehr. Da kenne ich mich ziemlich gut aus und habe die nötige Detailbesessenheit. Ich hab ja mit Eventfilm z.B. einen animierten Kurzfilm über die Thomaner zur Bachzeit realisiert (Singen,Beten, Halleluja  – auf YouTube) oder 2013 in Borna eine vielbesuchte Ausstellung zur Völkerschlacht mitgestaltet: http://1813.museum-borna.de

Komplexe Stoffe konzeptionell zu durchdenken und durchzuarbeiten macht eben auch ziemlich viel Spaß. Aber nebenher mach ich gern meine eigenen Sachen oder kritzle im Skizzenbuch herum.

Woran arbeitest Du denn derzeit? Am letzten Buch hast Du ja eine neue Bestzeit im Schnellillustrieren erreicht – ist das der neue Weg? Immer schneller, immer mehr, immer grööööößer?

Höher schneller weiter – ich weiß nicht. Qualität macht mich eher an. Jetzt habe ich gerade ein weiteres Kinderbuch fertig illustriert. Ein Mittelalter-Mit-Mach-Buch. Das ist eine Zusammenarbeit vom Seemann Henschel Verlag mit dem Grassimuseum – das ganze Buch ist voller Spiele und Rätsel. Es gibt ein Comic, ein Figuren-Mixmax, ein Poster und Sticker mit mittelalterlichen Alltagsgegenständen. Es vermittelt spielerisch die Epoche des Mittelalters sowohl für Jungs als auch für Mädchen. Das ganze Buch ist im Stil der Buchmalerei des 13. und 14. Jahrhunderts gestaltet, mit einem Schuss Comicstil – sehr bunt und ornamental. Ansonsten möchte ich gerade arbeitstechnisch eher ein bisschen entschleunigen. Mehr Zeit für eigene Sachen finden und reisen. Das ist immer eine etwas schwierige Balance, wenn man davon lebt.

Danke André. Und kein Stress.

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