Zum Jahreswechsel sollte Zeit und Muße sein, zurückzublicken und in sich zu gehen, die Gedanken auf Reisen zu schicken und vielleicht auch eigene Sichten zu hinterfragen. Um dann ausgeruht und gestärkt weiterzumachen. Oder etwas zu ändern. Tanner fragte bei Menschen nach und ließ sie reden, frei nach Heinrich Böll (im Aufsatz "Die humane Kamera" 1964) "...dass die Menschen nicht überall gleich, sondern überall Menschen sind, deren Menschwerdung gerade erst begonnen hat."

2015 bimselt ja gerade aus. Welches Thema hat Dich denn in diesem Jahr besonders bewegt und warum?

Ich sitze gerade erkältet, entzündet und ansteckend auf der Couch, man kann also sagen, ich habe ordentlich die Nase voll von 2015. Im Ernst, das Thema, das heraussticht in diesem Jahr, war bzw. ist natürlich die Pegida-Misere und alles, was da so dranhängt, auch für mich. Vor etwas mehr als einem Jahr war ich entsetzt, welche Auswüchse Frust und Beschränktheit annehmen können und nun, Ende 2015, bin ich es immer noch, vielleicht noch mehr denn je. Nur hat sich zu meinem Entsetzen langsam auch Resignation gesellt. Ich habe einige Flüchtlinge getroffen dieses Jahr und ich fand sie alle nett und ihre Geschichten meist unfassbar tragisch.

Ich habe auch viele “besorgte Bürger” getroffen dieses Jahr und ich fand sie alles andere als nett. Sie machen mir Angst, sie machen mich wütend, sie kotzen mich an. Und mir fehlt derzeit ein für mich zufriedenstellender Ansatz, wie ich damit umgehen soll bzw. kann, dass ich mitten unter so vielen hässlichen Deutschen lebe und in einem Europa, das seine Tore vor notleidenden Heimatlosen verschließt. Das war ein dunkles Jahr für die Menschlichkeit.

Und von Deinen ganz persönlichen Erlebnissen. Welches war das Einschneidenste?

Auch ein Unschönes, leider. Einer meiner langjährigen Weggefährten ist dieses Jahr überraschend gestorben. Wir haben seit unserer Kindheit sehr viel Zeit miteinander verbracht, nur in den letzten Jahren sind wir uns beide aus dem Weg gegangen. Wir waren beide zu stolz, daran etwas zu ändern, bis es dann zu spät war. Das hat mich ziemlich beschäftigt und mir sehr deutlich gezeigt: das Leben ist verdammt kurz, vor allem viel zu kurz für falschen Stolz.

Zum Leben gehört ja auch Entwicklung, wenn’s gut geht, sogar Geistige. Befindest Du Dich da gerade auf einem Weg? Besonders, da zwischen den Tagen und im Jahresumbruch ja gerne auch Zeit ist für Tiefgang? Berausch uns bitte mit Deiner Sicht der Dinge.

Wie anfangs bereits erwähnt, befinde ich mich momentan eher abseits des Weges, kränkelnd auf der Couch. Wenn das durchgestanden ist, ist wahrscheinlich Weihnachten und einen “Weg der geistigen Entwicklung” werde ich wohl frühestens 2016 wieder betreten. Der geht dann hoffentlich weiter in Richtung musikalische Verwirklichung und kreative Betätigung in dem von meinen Kollegen und mir in diesem Jahr ausgebauten Studio in Leipzig. Übrigens mit einem Kamin und einem Bücherregal mit 1.800 Büchern der perfekte Ort für geistigen Tiefgang, um an dieser Stelle mal etwas subtile Werbung einzustreuen. “Zwischen den Jahren” erhoffe ich mir eher Müßiggang statt Tiefgang und zwar von einem Kurzurlaub in einer Hütte mit Kamin an einem See in Mecklenburg. Wir werden ausgiebig nichts tun, viel essen, spazieren gehen und diverse preisgekrönte Gesellschaftsspiele spielen.

Was wünschst Du Dir von Deinen Mitmenschen im neuen Jahr und warum?

Ich wünsche mir weniger Stolz und mehr Nachsicht, weniger Selfies und mehr Selbstlosigkeit. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Kunst des Aufeinander-Zugehens und Einander-Verzeihens vom Aussterben bedroht ist. Wie oft sagt jemand “Das hab ich nicht mehr nötig”, “Nicht mit mir” oder “Mit solchen Menschen bin ich fertig”. Ich finde, dass Freundschaften zu oft irgendwelchen selbst geschaffenen Prinzipien im Weg stehen. Oder anders gesagt: dass unsere selbst geschaffenen Prinzipien uns selbst im Weg stehen. Ich wünsche mir, dass wir alle ein bisschen weniger an uns selbst denken, ein bisschen weniger nach rechts und links schauen und ein bisschen öfter über unseren Schatten springen.

Ich las gerade folgenden weisen Satz: “Dick macht nicht, was man von Weihnachten bis Neujahr isst, sondern was man von Neujahr bis Weihnachten isst.” Da sind wir beim Genusse. Wie ist’s mit dem Speisen und Trinken bei Dir an den Tagen? Was gibt es auf die Teller? Besonderheiten?

Ich speise in der Regel während der Feiertage bei meiner Mutter und da steht traditionell die Pute hoch im Kurs. Da ich jedoch seit einigen Weihnachten dem Fleischgenuss entsage, kauft meine Mutter nur noch einen kleinen Vogel. Ich verzichte also auf das – zugegebenermaßen leckere – Tier und freue mich stattdessen außerordentlich auf die Klöße, das Rotkraut und die Champignons. Das wird ein Fest!

Und welche Wünsche möchtest Du Dir selber 2016 erfüllen?

Ich möchte gern gelassener werden, was ich aus eigener Erfahrung aber meist zu verkrampft versuche. Außerdem möchte ich ein bisschen weniger Realist und etwas mehr Optimist sein, wobei ich da eher pessimistisch bin. Die Sache mit dem Sport, dem Bier und dem Rauchen, da will ich mir selbst lieber auch nicht zu viel versprechen. Daneben würde ich gern ordentlich Schlagzeug spielen lernen und mehr Zeit für Prokrastination haben. Beides auf einmal geht aber auch nicht. Deswegen: schaun mer mal.

Bist Du glücklich? Fühlst Du Dich schön?

Wie bereits erwähnt, befinde ich mich völlig verschnupft auf der heimischen Couch. Eine echte Männergrippe. Von Glück und Schönheit bin ich also gerade ziemlich weit entfernt.

Danke für Deine Antworten.

Danke für dein Interesse!

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar