Das Bundesverfassungsgericht hat am 6. Dezember sein Urteil zur Entschädigung der Energiekonzerne für den Atomausstieg gesprochen. Neben den energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten enthält die Urteilsbegründung wichtige Aspekte, die auch für andere gesellschaftliche Bereiche von Bedeutung sind. Darauf weist Uwe Hitschfeld hin, dessen Büro nun seit Jahren die Frage untersucht, wie viel Akzeptanz Technologiegroßprojekte brauchen.

Denn die sorgen ebenso seit Jahren für Negativschlagzeilen, egal ob der nun augenscheinlich von niemandem gewollte Tiefbahnhof Stuttgart 21, Stromtrassen durch den Bayerischen Wald, ein Großflughafen BER oder diverse Autobahntrassen mitten durch Naturschutzgebiete.

Die Großprojekte erzählen in der Regel von einem technikgläubigen Zeitalter, das ungefähr 50, 60 Jahre zurückliegt, von stolzen Ingenieuren, die glauben, alles verwirklichen zu können, wenn sie nur genug Geld dafür bekommen, und von Managern, die auch mal mit dem Kopf durch die Wand gehen, um Projekte gegen alle Widerstände durchzusetzen.

Sind die Bürger einfach nur halsstarrig? Die einschlägigen deutschen Großmedien haben ja den Begriff „Wutbürger“ nicht auf die besorgten Rentner von Dresden gemünzt, sondern damit den Bürgerprotest gegen das milliardenschwere Bahnhofsprojekt in Stuttgart diskreditiert. Das sich nun als genauso teuer herausstellt, wie schon damals vorgerechnet wurde. Von nicht ganz so wortgewaltigen Medien.

Und nun scheint auch endlich in die Rechtsprechung so ein Gedanke einzufließen, dass sich Großprojektanten eben nicht einfach über die Betroffenheit der Bürger hinwegsetzen können. Denn für wen bauen sie eigentlich? Nur für Investoren?

„Ich sehe im Urteil neue und folgenreiche Aspekte für die Einführung von neuen Technologien und modernen Infrastrukturen in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil die Spielräume des Gesetzgebers bei der Beurteilung von Technologien definiert. Es räumt dem Gesetzgeber das Recht ein, eine Technologie nicht nur auf der Grundlage von objektiv messbaren Faktoren zu beurteilen, sondern auch auf der Grundlage der ‚öffentlichen Akzeptanz‘“, hebt Uwe Hitschfeld, Geschäftsführer des Hitschfeld Büro für strategische Beratung Leipzig, hervor.

Mit seinen Studien hat er sich wirklich zu einem Experten in Sachen Akzeptanzmanagement profiliert. Die Deutung und Interpretation dieses Urteils werde die interessierte Öffentlichkeit, Juristen und natürlich die Energiewirtschaft noch einige Zeit beschäftigen. Aber auch andere Branchen täten gut daran, sich intensiv mit der Urteilsbegründung auseinanderzusetzen, stellt er fest.

Wobei Akzeptanz viele Seiten hat: Sie sorgt nicht nur dafür, dass Bürger solche Projekte eher akzeptieren, wenn sie frühzeitig in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. (Das kann nämlich auch zur Farce werden, wie bei der Startbahn Süd des Leipziger Flughafens erlebt.) Die Beteiligung sorgt auch für mehr Transparenz – und sie erzwingt diese sogar. Wo keine belastbaren Zahlen auf dem Tisch liegen, wird man die Zustimmung der Betroffenen nicht bekommen können. Es kommt nicht auf die „alternativlose“ Lösung an, sondern auf eine, die mehrheitlich auch Zustimmung findet.

„Die Richter unterstreichen mit dem Urteil die Rolle von Akzeptanz als strategischer Erfolgsfaktor für Technologien und Projekte. Der Umgang mit einer Vielzahl von akzeptanzkritischen Projekten – von Stuttgart 21 über den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Ausbau der deutschen Stromnetze bis hin zur Olympiabewerbung – hat gezeigt: Es geht nicht allein um die technisch beste Lösung, es geht darum, eine gesellschaftlich akzeptierte Lösung zu finden“, betont Hitschfeld. „Dies lässt sich leicht auf die Einführung von Technologien übertragen, in die zurzeit große Erwartungen gesetzt werden: die Einführung von Smart Metern, das autonome Fahren, die Elektromobilität u. a. m.“

Was geschehen könne, wenn Akzeptanzbildungsprozesse nicht von Beginn an Berücksichtigung fänden, sei bei der gescheiterten Einführung der CCS-Technologie in Deutschland in Erinnerung. Dasselbe lässt sich zum Fracking sagen. Oder vom geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt aus Sicht Uwe Hitschfelds zugleich Deutschlands Weg in eine Akzeptanzgesellschaft. Ohne Berücksichtigung von Akzeptanz und öffentlichem Vertrauen sowie verstärkte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in Entscheidungsfindungs- und Meinungsbildungsprozesse ließen sich in Deutschland keine Technologien und Projekte mehr durchsetzen, so die Bewertung des Leipziger Akzeptanz-Beraters.

„Jeder zweite Deutsche ist bereit für bürgerschaftliches Engagement – sei es für oder gegen Projekte“, erläutert Uwe Hitschfeld. Neben persönlichen Motiven – die stärkste Triebfeder für Engagement – würden sich mehr als 40 Prozent der Deutschen auch engagieren, wenn die „gesellschaftlichen Spielregeln“, wie Information, Mitbestimmung oder Transparenz, im Rahmen eines Projekts verletzt würden – auch, wenn die Befragten von dem Projekt nicht direkt betroffen wären.

„Diese unsere Forschungsergebnisse zeichnen schon länger ein ganz anderes Bild, als man es gemeinhin von unserer angeblich politikmüden, individualisierten Gesellschaft erwarten würde“, betont Uwe Hitschfeld.

Auf der anderen Seite glauben über 50 Prozent der in einer deutschlandweit repräsentativen Studie Befragten, dass die bisherigen Aktivitäten von Vorhabenträgern, Politik und Verwaltungen im Zusammenhang mit mehr Bürgerbeteiligung, Transparenz und Akzeptanz nicht ehrlich gemeint sind.

Was das Augenmerk auf die zunehmend kritische Sicht der Bürger auf eine Politik im Obrigkeitsstil lenkt. So richtig begriffen haben einige Politiker noch nicht, wie viel Vertrauen sie mit „Basta“-Politik verspielen – und wie viele Chancen, wenn sie Bürger nicht in Entscheidungsfindungen einbeziehen.

So ein bisschen Eigenlob möchte Uwe Hitschfeld dann doch noch loswerden: „All das bringt das Büro Hitschfeld schon lange zu der Erkenntnis, die es in Akzeptanzbildungsprozesse für seine Kunden einbringt, dass Akzeptanz, Partizipation und öffentliches Vertrauen die Basis für Projekterfolg und -umsetzung im 21. Jahrhundert sind. So setzt das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Atomausstieg ein zeitgemäßes Signal, in welche Richtung sich unsere Gesellschaft bewegt. Nicht nur für die Energiekonzerne setzt das Urteil ein Zeichen, es gilt für alle Wirtschaftsbereiche und die Bürgergesellschaft insgesamt.“

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