Schon die Vorfreude ist riesig. Eine Woche aussteigen, Urlaub pur, so richtig. Handy aus, kein Strom, kein fließend Wasser. Wobei der letzte Punkt erst noch geklärt werden muss, vielleicht fließt das Wasser in den schwedischen Seen Glafsfjorden und Värmeln ja doch. Noch kenne ich die Gruppe nicht, mit der ich eine Woche lang paddeln werde und ein Stück Anreise über Berlin mit dem Flieger nach Göteborg liegt noch vor mir. Leider soll sich das am Mittsommer-Tag als nicht ganz so einfach erweisen.

Schon am Flughafen Tegel fällt auf, dass viele Schweden auf der Heimreise sind um das Fest nicht zu verpassen, das nicht immer auf den 21. Juni fällt (siehe Link). Ich unterhalte mich kurz mit einem schwedischen Vater, der mit den beiden Töchtern auf dem Weg zum Rest der Familie ist: “Die beiden sind schon aufgeregt, wir wollten das Familientreffen auf keinen Fall verpassen.” Ein paar Studenten aus Göteborg kommen aus Miami und fliegen über Berlin nach Hause, sie sehen nicht so aus, als könnten sie nach einer Woche Party, Party, Party noch in die Nacht feiern. “Dieses Jahr werde ich mich einfach früh ins Bett kuscheln und die Feier sausen lassen”, bestätigt Lasse den äußeren Eindruck. Immerhin kassiere ich noch ein Lob für die drei Sätze Schwedisch, mit denen ich ihn ansprechen konnte. Bei seiner Antwort allerdings muss ich passen und auf Englisch nachfragen.

Das Einsteigen in die Maschine beginnt mit Verspätung, der Flughafen Otto Lilienthal in Berlin-Tegel kann die zusätzlichen Flugbewegungen offenbar schlecht kompensieren, die durch die Fehlplanungen beim Bau des Schönefelder Großflughafens entstehen.
Gut nur, dass Urlaub ist, so hetzt mich schließlich niemand. Und die Aussicht auf das Göteborger Umland beim Anflug auf den Flugplatz Landvetter entschädigt für vieles. Schweden trägt den Namen “Land der 1000 Seen” völlig zurecht. Abgesehen von den kleinen Ortschaften erblickt das Auge viel Wald und eben jene vielen Seen verschiedener Größen. Bis zu den beiden größten reicht der Blick nicht, den Vänern-See werde ich später noch vom Zug Richtung Karlstadt zu Gesicht bekommen. Nochmals steigt die Vorfreude auf das Naturerlebnis, dem aber die Ankunft in Schwedens zweitgrößter Stadt voraus geht.

Der Transfer mit dem Flughafen-Bus ist unkompliziert. Statt brav am Automaten anzustehen, zahle ich gleich per EC-Karte beim Fahrer, der auf Nachfrage die freundliche Antwort erteilt, dass ich auch gleich eine Rückfahrt für meinen Rückreisetag lösen kann. So spare ich noch ein paar Kronen. Die Fahrt geht vorbei am größten Freizeitpark Schwedens, dem Liseberg, vor allem das Riesenrad macht ihn zu einem Orientierungspunkt auf meiner Fahrt ins Stadtzentrum. Eigentlich hatte auch ich einen Besuch hier geplant, dann allerdings mit einer Übernachtung in Göteborg. Das klappt leider nicht, denn zum Zielort fahren am Samstag keine Busse, so ländlich liegt er ein paar Stunden entfernt. Also suche ich mir ein Restaurant, mittags ist auch das in Schweden noch bezahlbar, abends freilich würde die Reisekasse gleich schwer belastet. Dann hole ich mir im Touristenbüro eine Wegbeschreibung zur Jugendherberge, um dort eine Übernachtung vor dem Rückreisetag zu buchen. Wiederum gerate ich an einen freundlichen Schweden und bekomme gleich Hinweise zu Sehenswürdigkeiten auf dem Weg.
Da gibt es die Markthalle, das Theater, den Fischmarkt, allerdings ist schon zu sehen, dass der Mittsommer-Abend ansteht. Viele kleine Geschäfte sind geschlossen, die Banken sowieso und lustige Fähnchen baumeln über viele Straßen. Ab und an sieht man junge Mädchen mit Blumenkränzen im Haar, auch das eine Tradition an diesem Feiertag. Angekommen bei der Jugendherberge in der Olivedalsgatan buche ich die benötigte Übernachtung und gönne mir für den Rückweg zum Bahnhof lieber die Straßenbahn. 15 Kilogramm Gepäck im Rucksack nehmen mir die Lust auf eine Fortsetzung des Stadtrundgangs. Angekommen muss ich mich erst einmal zum Verkaufsschalter durchfragen, da ich an den Bahnautomaten nur mit einer Kreditkarte zahlen könnte, die ich nicht besitze. Der Zug hat 15 Minuten Verspätung, das passiert also nicht nur der Deutschen Bahn. “Wir holen aber sicher noch etwas auf” versichert der Schaffner, denn ich mache mir Sorgen, den Bus in Säffle, einem kleinen Halt an der Strecke, zu verpassen.

Die Sorge erweist sich gleich in zweierlei Hinsicht als unbegründet. Erstens holen wir tatsächlich die gesamte Verspätung in den knapp eineinhalb Stunden Fahrtzeit auf, andererseits kommt der Bus erst gar nicht. Leider hatte die Gesellschaft Värmlandstrafik weder auf ihrer rein schwedischen Seite noch in den Fahrplänen hier vor Ort darauf hingewiesen, dass auch die Bediensteten scheinbar schon in den Midsommar geschickt wurden. So warte ich eine halbe Stunde vergeblich und entschließe mich dann eine Pappe zu malen und zu trampen. “Stömne” heißt mein Zielort und das leicht dümmliche Grinsen der ersten Vorbeifahrenden scheint mir ein “Viel Spaß, da will doch keine Sau hin!” sagen zu wollen.
Lustigerweise treffe ich genau die beiden jungen Männer eine Viertelstunde auf dem Parkplatz eines Fastfoodlokals und sie erkundigen sich ernsthaft wo “Stömne” denn läge. “Das ist Richtung Arvika”, nenne ich den Namen der einzigen Stadt in der Nähe und werde gefragt: “Was kannst du uns bieten, wenn wir dich da rauf fahren.” Ich versuche es erstmal mit dem Preis der Busfahrkarte und stoße auf wenig Gegenliebe. “Dann hätte ich noch eine Flasche Wodka, die ich euch geben könnte.” Immerhin folgt schon ein Blick auf die Karte im Smartphone, wie weit denn die Strecke wäre. “Okay dafür bringen wir dich da hin.” Alkohol als Ersatzwährung funktioniert also dank der horrenden Steuern in Skandinavien und ich komme recht günstig weg. Mohammed und Mohammed heißen meine beiden Helfer, wie ich auf der Fahrt erfahre. Entweder sie sind keine strenggläubigen Moslems oder sie haben schon einen Abnehmer für den Hochprozentigen, das ist ihre Angelegenheit. “Du hast Glück, in Säffle gibt es nicht viele nette Leute”. Muss wohl stimmen, denn in Säffle gibt es insgesamt nicht viele Leute und die sitzen scheinbar schon mit ihren Familien zusammen.

Angekommen in Stömne bin ich erleichtert und freue mich über den Blick auf den See, der ab morgen befahren wird. Mohammed und Mohammed fahren zurück und ich bin ihnen ehrlich dankbar. Von einem Mitarbeiter des Veranstalters werde ich herzlich begrüßt, sogar zum Abendessen komme ich noch rechtzeitig und lerne schon zwei der Teilnehmer für die folgende Kanu-Woche kennen. Jochen und Bernd haben schon eine Woche in der ehemaligen Schule gewohnt, die nun als niedliche Herberge hier im 80-Seelen-Dorf dient. Gepaddelt sind sie auch schon, aber auch Wanderungen und Radausflüge standen auf dem Programm.

Natürlich wurde auch hier Midsommar gefeiert und die “Majstång” steht noch. Laut der schwedischen Wikipedia kommt dieser Teil der Bräuche wirklich aus Deutschland, wobei die “Majstång” hier auf der kleinen Wiese vor einer Scheune einem Maibaum nicht sehr ähnlich sieht. Gemeinsam haben beide, dass sich das Dorf versammelt und singt, und wie Koch Jörg erzählt, danach eine Runde mit einem Traktor und geschmückten Anhängern dreht. All das wird noch einmal in gemütlicher Runde in einem der ehemaligen Klassenzimmer rekapituliert, bis ich mich dann doch aus Vernunftgründen in mein Zelt begebe, gespannt auf die restlichen Teilnehmer, die am Vormittag mit dem Bus ankommen werden und auf die Erlebnisse, die die Paddelwoche bringen wird.

Wikipedia-Eintrag zu Midsommar in Schweden:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mittsommerfest#Schweden:_Midsommar

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