Und es geht ein alter Mann die Straße hinab. Bleib kurz stehen, denkt er, das Herz reißt, die Hand liegt schwer auf dem Stock, der Oberkörper begräbt beide. Drei Kinder, zwei Mädchen und ein hoch geschossener Rotschopf toben am Bordstein entlang - "Ein Hut, ein Stock, ein alter Mann ...". Vor, zurück, zur Seite, ran - er schmunzelt. Wie lang ist das jetzt eigentlich her?

Lange hat er hart am Bau gearbeitet, selbst zwei Kinder “durchgebracht”, viele kurze und lange Wege zwischen diesem Moment, als er selbst noch vom alten Mann sang und hier, wo er nun steht. Ein Bus surrt an ihm vorbei, hält und mit einem Zischen entlässt die Tür hastende Menschen. Natürlich alle fleißig und pünktlich, so wie er – immer früh aufm Platz, immer eine korrekte Steuererklärung, freitags mit den Kumpels um die Häuser und alle Tage hilfsbereit bei den Nachbarn – bis zum Moment der Ruhestandsfeier.

Hab ich schon zu lang gelebt? Fast scheint es so. Zu Hause ist die Heizung seit Jahren auf den Stern gestellt, mit der Jacke in der Wohnung oder draußen – kein Unterschied. Irgendwann stand die Frage frieren oder essen. 68 Jahre sind vielleicht genug? Er versucht den nächsten Schritt, das Herz zieht, die schlechten Zähne auch, der Asphalt fängt an vor seinen Augen zu schwimmen.

Ein Hut, ein Stock, ein armer Mann. Der Rotschopf sieht ihn langsam nach links kippen. Vor, zurück, zur Seite, ran. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lächelt Heidi Klum von einem Plakat herab. Menschen hasten vorbei, drei Kinder stehen an einem Bordstein und schauen.
Duuu? Was soll ich mit dieser Geschichte?

Weiß nicht? Dir einen Reim drauf basteln?

Naja – nun komm, Du willst ja schon sagen, dass der Wulff irgendwie Kohle abgreift, die ihm nicht zusteht und dass ehrlich eben nicht den längsten hat!

Du hast die Geschichte nicht ganz begriffen, es geht irgendwie um mehr – so ins Moralische hinein und die Frage, was wir für Regeln haben wollen. Und im Übrigen heißt es den Längsten – großes “L”.

Boah, bist Du vulgär. Gerade Du! Erst Moralapostel spielen, rührselige Geschichten von total ausgedachten, sterbenden, armen Männern, die natürlich selbst immer ehrlich und gradlinig waren und dann so etwas – schäm Dich! Auch dafür, dass Du ihn vor Kindern hast umfallen lassen.

Scham? Aus welchem Jahrhundert kommst Du denn? Keiner von denen die wirklich Geld haben, zahlt noch in die Rentenkassen ein, die Sozial- und Gesundheitssysteme verröcheln aus den gleichen Gründen still, Europa verreckt langsam an einer schweren Gallenkolik und dieser Präsidentenunfall kämpft seit Monaten in aller Öffentlichkeit nur noch um sein leistungsloses Steuergeschenk bis ans Lebensende, während sich dieses nutzlose Finanzerpack die Nutten kommen lässt! Und Du redest von Scham???

Ich glaube, jetzt verstehe ich langsam. Ziemlich verdreht das ganze. Aber was die Klum in der Geschichte zu suchen hat, ist vollkommen unverständlich – wahrscheinlich einfach ein wenig Verbalabfall am Wegesrand.

Es ist nur eine kurze Geschichte.

Wem willst Du denn das jetzt noch weiß machen?

Wir reden einfach morgen weiter – einverstanden?

Einverstanden.

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